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Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel (Archivbild).
© Yves Herman/REUTERS

Streitfall Europa I: Die Hinterzimmer-Politik untergräbt den Glauben an Demokratie

Um die Vergabe der Top-Jobs in der EU wird gestritten. Demokratie ist mehr als ein Wort, sagt unser Autor. Sie ist ein Prinzip. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ach, Europa. Da wird gefeiert, dass sich der Rat der 28 Staats- und Regierungschefs auf ein Personalpaket verständigt habe, was doch gar nicht selbstverständlich gewesen sei. Aber was das für die Institutionen bedeutet, spielt eine untergeordnete Rolle?

Die Frage beantwortet sich klar, wenn es um die Demokratie als grundlegendes Prinzip geht. Aus übergeordnetem Grund kann sie dann nur „Nein“ lauten. Und müsste Folgen haben. Wenn nicht, würde es die EU noch bedauern. Denn sie hatte sich für diese Europawahl ausdrücklich ein Votum für immer weniger Hinterzimmerpolitik vorgenommen. Das Gegenteil ist eingetreten. Und das soll jetzt gut gefunden werden, um die Institutionen nicht weiter zu schwächen. Nach dem Motto: Bloß nicht mehr darüber reden, es könnte ja doch noch einer darauf kommen.

[Eine Gegenposition zu diesem Text lesen Sie hier]

Es sollten nur offizielle Spitzenkandidaten in Frage kommen

Es fängt beim Parlament an. Sogar die Präsidenten der EU-Staaten hatten unter Hinweis auf die öffentlich und offiziell angestrebte Demokratisierung der Entscheidungen in und für Europa zur Wahl gebeten, ein historischer Vorgang. Die Präsidenten wussten ja, dass die nächste Kommission untrennbar mit dem Ausgang der Wahl verbunden sein würde. Zitat: „Das Europäische Parlament ist entschlossen, nur Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu akzeptieren, die zuvor als offizielle Spitzenkandidaten ihrer Parteien für die Europawahl 2019 in den Wahlkampf gezogen sind.“

Die Wähler sind getäuscht

Stand heute: Das Prinzip ist keines mehr. Die Wähler sind getäuscht und das wird sich auswirken. Wer soll noch glauben, was die Kandidaten sagen? Wer will überhaupt noch für die Spitze kandidieren? Und wer kann sich doch eigentlich gerade jetzt, in Zeiten von Brexit und anderen Herausforderungen mitten in der EU, keine Glaubwürdigkeitsverluste leisten? Das Parlament.
Auch die Kommission wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sie hätte – für einen Moment sah es danach aus – den intelligentesten, erfahrensten und durchsetzungsstarken Präsidenten haben können, vielleicht den besten je. Stattdessen bekommt sie die inzwischen schwächste Ministerin aus dem deutschen Kabinett, die um ihren Ruf und ihre Position kämpfen muss. Mit ihr eine Kommission von Gnaden der Rechtspopulisten, angeführt von Viktor Orbán, die die Demokratie in der EU immer aufs Neue auf eine harte Probe stellen. Was Rückwirkungen aufs Parlament hat, das sich nicht auf die Unterstützung eines Spitzenkandidaten verständigen konnte. Jedenfalls bisher nicht.

Frau Lagarde wurde wegen Veruntreuung schuldig gesprochen

Dass die Europäische Zentralbank, fraglos auch eine Institution von Bedeutung, von einer Frau geleitet werden soll, ist gut. Ist überfällig. Noch besser wäre es aber, sie verstünde etwas von der Arbeit der Notenbanken. Das hat der als IWF-Chefin seit 2011 geschätzten Christine Lagarde bisher niemand nachgesagt. Dafür ist sie wegen der Veruntreuung von 400 Millionen Euro im Fall Bernard Tapie in Frankreich schuldig gesprochen worden.
Der Außenbeauftragte, der neue Ratsvorsitzende: Gravierende Einwände gibt es auch gegen sie. Die das Parlament auch ignorieren soll.

Das hehre Ziel Europa wirkt überholt

Vor diesem Hintergrund wäre der EU-Rat insgesamt gut beraten gewesen, sich nicht über alle anderen und die Institutionen hinwegzusetzen. Das Transnationale, ein hehres Ziel Europas, wirkt jetzt wie überholt: von der Vergangenheit. Die Interessen von Hunderten Millionen, abzulesen am Wahlergebnis, sind von gestern. Es sei denn, sie spielen dann doch noch eine Rolle.

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