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Machtkampf: Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer.
© REUTERS

Regierungskrise: Die Grenzen des Populismus

Die CSU hat sich anstecken lassen vom Simplizismus der Populisten, der Symbole schätzt statt echter Lösungen. Angela Merkel verdient Hochachtung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Selten hat ein Tag so anschaulich gezeigt, wie verheerend die Auswirkungen des Populismus auf die Migrationspolitik sind. Die Denke des Populismus boykottiert Nachhaltigkeit und schafft Probleme, statt sie zu lösen.

Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt haben in ihrer Angst vor der AfD und der bayerischen Landtagswahl Mitte Oktober eine Regierungskrise angezettelt, die am Montag lediglich ausgesetzt wurde. Zwei Wochen gab Seehofer Merkel Zeit, bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni, um das Unmögliche zu schaffen: Europäische Maßnahmen zu verhandeln, die „wirkungsgleich“ wären mit der Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze.

Die CSU unterminiert damit die beste und nachhaltigste Lösung für das Problem, das sie identifiziert hat, nämlich dass Asylbewerber, die schon in einem EU-Land registriert sind, nach Deutschland weiterreisen und Deutschland sie gemäß der Dublin-Verordnung ins Land lassen muss, um ihren Status rechtlich sauber zu klären.

Die beste Lösung ist natürlich nicht die Zurückweisung an der Grenze, sondern eine Reform der Dublin-Bestimmungen und eine gemeinsame europäische Asylbehörde, wie sie Emmanuel Macron und Angela Merkel vorschlagen. Doch das Europa, in das Seehofer Merkel jetzt unter großem Zeitdruck – und damit mit einer schlechten Verhandlungsposition – schickt, wird diese Lösung nicht beschließen. Ungarns Viktor Orbán, der neue italienische Innenminister Matteo Salvini und die rechtskonservative österreichische Regierung sind sich einig: Sie wollen mehr Grenzsicherung im Mittelmeer und Asylzentren in den afrikanischen Transitländern und lehnen eine weitere Vergemeinschaftung des Asylsystems ab.

Populismus fokussiert auf Symbole

Und noch ein Populist lauert. Auf beispiellose Weise brach US-Präsident Donald Trump am Montag mit allen diplomatischen Gepflogenheiten und setzte nur eine Stunde nach Merkels und Seehofers Pressekonferenzen einen Tweet ab, in dem er behauptete, „die Migration“ erschüttere die deutsche Regierung. In den USA kritisieren derzeit auch viele Republikaner die Praxis, illegale Migranten an der mexikanischen Grenze von ihren Kindern zu trennen – ein brutaler Versuch der Abschreckung. Trumps Tweet sollte diese Praxis womöglich legitimieren.

So funktioniert populistisches Denken – und so boykottiert es stets die vermeintlichen Ziele. Es fokussiert auf Symbole – in der Migrationspolitik ist das Abschreckung und eine Grenze, die entweder offen oder geschlossen ist. Eine wahrhaft nachhaltige Migrationspolitik aber würde Grenzen schaffen, die weder nur offen noch nur geschlossenen sind: ein Europa umgeben von Pufferzonen in Transitländern, starken Außengrenzen im Süden und Südosten und Offenheit und Vergemeinschaftung im Inneren

Populistische Politik lebt außerdem von der dauerhaften Krisenbehauptung (Trump) und vom vermeintlichen Zeitdruck (Seehofer). Der Zeitdruck ist künstlich, die Krise ein Mythos: Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist rückläufig; die große Koalition hat die Voraussetzungen geschaffen für jene zähen politischen Prozesse in Europa, die es jetzt braucht.

Die CSU hat sich anstecken lassen vom Sofort-Simplizismus der Populisten, der Symbole schätzt statt echter Lösungen. Angela Merkel verdient Hochachtung dafür, dass sie sich dieser politischen Philosophie so entschlossen entgegenstellt.

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