Daniel Günther: „Die Deutschen werden Merkel noch vermissen“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther über die Kanzlerin, das Kandidatenrennen der CDU und seinen Einsatz für den „Spurwechsel“. Ein Interview.
- Maria Fiedler
- Antje Sirleschtov
Herr Günther, am nächsten Wochenende wählt Ihre Partei einen oder eine neue Vorsitzende. Warum haben Sie sich nicht beworben?
Da bin ich ganz klar: Seit gerade einmal eineinhalb Jahren bin ich Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Und wenn ich mir schon jetzt – also noch vor dem Ende der ersten Wahlperiode – Gedanken darüber machen würde, was ich als Nächstes tue, dann hätte ich mich besser gar nicht erst wählen lassen.
Angela Merkel wird nach 18Jahren die Führung der CDU abgeben. Welches Erbe hinterlässt sie?
Ein Erbe, auf das wir und auch sie stolz sein können. Angela Merkel hat beinahe in der gesamten Zeit großartige Wahlerfolge erzielt. Ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger hinterlässt sie eine Basis, auf der wir alle gemeinsam aufbauen können, damit die CDU Volkspartei bleibt. Denn das ist das Ziel: Das in den letzten Monaten verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen, damit wir als Union wieder in Richtung 40 Prozent kommen.
Was ist aus Ihrer Sicht die bedeutendste Leistung, die Merkel für Ihre Partei erbracht hat?
Man muss allein das anerkennen: Angela Merkel ist es gelungen, über 18 Jahre hinweg die Union als führende politische Kraft in Deutschland zu verankern. Und dass es ihr jetzt auch noch gelingt, die Parteiführung zu verjüngen und einen geordneten Übergang zur nächsten Generation zu gestalten, das nötigt mir höchsten Respekt ab. Denn das ist eine Leistung, die ihren Vorgängern nicht gelungen ist. Ich bin mir sicher: Wir werden Angela Merkel noch vermissen, wenn sie aus der Politik ausscheidet. Das gilt für die Deutschen insgesamt und erst recht für die CDU.
Der CDU-Vorsitzenden Merkel wurde lange Zeit bescheinigt, die Partei modernisiert und für breitere Wählerschichten wählbar gemacht zu haben. Heute sind die Umfrageergebnisse der Union im Keller. Was ist schiefgelaufen?
Es war richtig, dass Frau Merkel ihre Partei programmatisch immer auf der Höhe der Zeit gehalten hat. Denn gerade eine konservative Partei muss sich immer wieder den Herausforderungen der Zeit stellen. Sie muss sich fragen, ob sie auf der Grundlage ihrer Werte und Überzeugungen noch Antworten auf die Fragen der Gesellschaft geben kann, die in die Zukunft weisen. Über viele Jahre hinweg ist das gut gelungen. Dass die Umfragen jetzt im Keller sind, hat nichts mit dem Modernisierungskurs der Union zu tun. Es ist in erster Linie dem Bild der Union zu verdanken, das wir in diesem Sommer abgegeben haben. Glücklicherweise scheinen ja alle Beteiligten erkannt zu haben, dass Vertrauen nur wächst, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, anstatt uns in der Öffentlichkeit zu streiten.
Gestritten wurde vor allem über den Umgang mit Flüchtlingen. Ist Angela Merkel mit ihrem Kurs in der Migration gescheitert?
Nein, der Kurs war und ist richtig. Wer über den Markenkern der CDU spricht, kommt am christlichen Menschenbild nicht vorbei. Dass wir 2015 Menschen, die in Not waren, eine Heimat und Sicherheit geboten haben, darauf bin ich noch immer stolz. Das war christlich, das war richtig. Angela Merkel hat seither auch dafür gesorgt, dass sich eine Situation wie damals, als über eine Million Menschen nach Deutschland kamen, nicht wiederholen kann. Denn jetzt beschäftigen wir uns auch mit den Ursachen der Flüchtlingsbewegungen.
Der Kandidat für die Nachfolge Merkels, Friedrich Merz, stellt fest, dass sich die CDU „zu wenig mit unbequemen Fragen“ befasst, das Aufkommen der AfD mit einem „Achselzucken“ begleitet hat und es ihr an Profil fehlt. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Analyse?
Den Verantwortlichen in der CDU, die sich seit Jahren an vielen Stellen gegen Rechtspopulismus engagieren, wird man wohl kaum gerecht, wenn man ihr Engagement mit einem „Achselzucken“ vergleicht. Außerdem finde ich überhaupt nicht, dass die Union kein Profil zeigt. Das haben wir. Allerdings müssen wir deutlicher machen, dass die Realität Zugeständnisse erfordert. Wenn die Union keine absoluten Mehrheiten hat, kann sie ihre Politik nicht pur durchsetzen. Der oder die neue Vorsitzende der CDU wird noch weit mehr als bisher gefordert sein, Kompromisse in der Politik zu schließen.
Ist Friedrich Merz ein Mann, der die Fähigkeit zum Kompromiss mitbringt?
Ich glaube schon. Ich nehme ihn als Kandidaten wahr, der zum Kurs der Union in Richtung Mitte steht und ihn für richtig hält.
Wie erklären Sie sich die Begeisterung ihrer Parteifreunde für Merz? Ist das Sehnsucht nach einer guten alten Zeit?
Friedrich Merz ist zweifellos ein interessanter Typ und hat in seinen Fachbereichen profunde Kenntnisse. Vor allem in der Wirtschaftspolitik, in der die Partei aus der Sicht Vieler in der CDU in den vergangenen Jahren zu wenig Profil entwickelt hat. Da hat man Merz schon vermisst und ist jetzt verständlicherweise begeistert, dass er wieder Verantwortung übernehmen will.
Wird er Ihre Stimme erhalten?
Darüber werde ich am Montag zuerst mit meinem Landesverband sprechen.
Ist die CDU nach 18 Jahren Merkel bereit dafür, gleich wieder eine Frau, nämlich Annegret Kramp-Karrenbauer, an die Parteispitze zu wählen?
Auf jeden Fall. Die Diskussionen darüber finde ich völlig unangemessen. Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger, Rainer Barzel, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Angela Merkel – und jetzt wieder eine Frau? Sie sehen schon, dass an dieser Frage etwas nicht stimmt.
Was hat AKK, was Merz und Spahn nicht haben?
Sie besitzt breite Regierungserfahrung und die Fähigkeit, in unterschiedlichen Koalitionen zu arbeiten. Sie ist thematisch sehr breit aufgestellt und hat ein Gespür für wichtige neue Themen, die für die CDU und ihr Profil wichtig werden.
In den vergangenen Wochen fielen alle drei Kandidaten für den Vorsitz durch Forderungen zur Migrationspolitik auf. Spahn zum Migrationspakt, Merz zum Asyl-Grundrecht, AKK zur doppelten Staatsbürgerschaft. Ist es ein Fehler, sich auf diesem Feld überbieten zu wollen?
Eines unserer Kernprobleme in den vergangenen Jahren war, dass wir uns viel zu sehr mit dem Thema beschäftigt haben. Das hat zu Überdramatisierungen geführt, und welche Fortschritte wir bei der Neuordnung von Migration erreicht haben, kam zu kurz. Auf der anderen Seite hatten die Menschen das Gefühl, dass wir uns beinahe gar nicht mehr mit den Themen beschäftigt haben, die ihr Leben beeinflussen. Das muss sich ändern.
Lässt sich die deutsche Politik zu sehr von Populisten treiben?
Ja, wir müssen aufpassen, dass uns Populisten nicht die politische Agenda diktieren. Das heißt aber, dass eigene Themen wieder in den Vordergrund gestellt werden müssen und wir Populisten mit ihren Themen auch mal ins Leere laufen lassen sollten.
In Schleswig-Holstein, wo Sie regieren, liegt die AfD in den Umfragen unter dem Bundesdurchschnitt. Was ist Ihr Rezept dafür?
Wir tun genau das, was ich gerade gesagt habe: Die Themen nicht überdramatisieren, ihren Kern herausarbeiten und eine praktische Lösung finden. Das schätzen die Menschen in unserem Bundesland an unserer Arbeit, wie mir immer wieder beteuert wird. In der Landesregierung kennen wir die Breite der Aufgaben sehr genau und im Vordergrund steht nicht die Herausarbeitung von unterschiedlichen Positionen zu den Sachfragen, sondern die Suche nach praktischen und vermittelbaren Lösungen.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie das Thema der Vollzugsdefizite in der Flüchtlingspolitik. Über die Rückführung von Flüchtlingen und die Schwierigkeiten wird so viel geredet, dass man schon den Eindruck haben könnte, dass nichts wirklich funktioniert in unserem Land. Aber das stimmt nicht, obwohl es Probleme gibt. Wer aber spricht über Perspektiven von denen, die sich hier gut integriert haben und für deren Zukunft sich nach meiner Wahrnehmung viel mehr Menschen interessieren? Sie sagen, wir würden die Falschen abschieben, die gut Integrierten nämlich, und uns nicht genug um Kriminelle kümmern. Wir müssen also mehr dafür tun, dass die Flüchtlinge, die die Sprache lernen, sich anstrengen und arbeiten, Perspektiven haben. Deshalb wollen wir in Schleswig-Holstein, dass sie eine Chance über das Zuwanderungsgesetz erhalten und ihre Perspektive nicht mehr vom Asylgesetz abhängt. Für uns ist das Politik mit gesundem Menschenverstand und die Leute finden das gut.
Mit der Forderung, einen solchen „Spurwechsel“ in das Einwanderungsgesetz zu integrieren, sind Sie vor allem an der Union gescheitert.
Einen ersten Erfolg haben wir errungen. Die Beschäftigungsduldung, die jetzt im Gesetzentwurf steht, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist nicht genug. Denn dabei geht es nur um eine kurzzeitige Sicherheit. Danach müssen die Menschen in ihre Heimat zurück und sich von dort aus über das Zuwanderungsgesetz bewerben. Sie brauchen aber eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Natürlich sollte man das mit einer Stichtagsregelung begrenzen, um keine Nachzugseffekte zu erzeugen. Auch für die Betriebe, die die Menschen beschäftigen, ist eine solche langfristige Perspektive übrigens sehr wichtig. Deshalb werden wir im Gesetzgebungsverfahren für eine noch weitergehende Regelung kämpfen. Ich werde mich im Bundesrat dafür einsetzen.
Sie regieren mit einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein. Manche träumen davon, das Projekt nach der nächsten Wahl auch im Bund wiederzubeleben. Wie sehen Sie die Chancen dafür?
Man soll ja vertanen Chancen nicht hinterhertrauern. Aber ich glaube, die Stimmungslage in Deutschland wäre heute eine andere, wenn es zum Jahresanfang zu einer Jamaika-Koalition im Bund gekommen wäre. Aus unserer Erfahrung in Schleswig-Holstein kann ich sagen, dass Jamaika eine breite gesellschaftliche Rückendeckung hat und dieses Bündnis wegen seiner Partner die Chance besitzt, in entscheidenden Zukunftsfragen Lösungen zu finden. Gerade in der Frage, wie man Wohlstand und Klimawandel verbindet, eines der spannendsten Zukunftsprojekte, können Union, Liberale und Grüne gemeinsam überzeugende und tragfähige Antworten finden.
Wäre es nach dem Wechsel an der Parteispitze von zwei der drei Koalitionspartner der großen Koalition nicht besser, das Bündnis zeitnah aufzukündigen und mit Neuwahlen auch einen Neustart der Regierung im Bund herbeizuführen?
Das sehe ich nicht so. Die Menschen erwarten von uns, dass wir unserer Verantwortung nachkommen und das Land bestmöglich regieren. Wir haben uns zum Bündnis mit der SPD entschieden, es gibt einen Koalitionsvertrag und wir sollten uns an Verträge halten. Deshalb sehe ich es als eine der wichtigsten Aufgaben einer neuen CDU-Führung an, die Arbeit der großen Koalition und der Bundesregierung unter der Kanzlerin Angela Merkel zu unterstützen. Erst wenn das gelungen ist, werden uns die Menschen auch wieder vertrauen und bereit sein, die Volksparteien auch zu wählen.