Wer folgt auf Angela Merkel?: Die CDU zwischen Kopf und Bauch
Am Freitag endet die Kandidatentour der CDU in Berlin – bis zum Parteitag in einer Woche bleiben aber noch viele Fragezeichen.
Der Mann am Rednerpult ist kaum fertig, da schießen ganze Pulks im Publikum in die Höhe. Die Sauerländer sind wahrscheinlich die Schnellsten, aber die Beifallswelle springt blitzschnell durch die ganze Messehalle. Keine Frage, Friedrich Merz hat sehr entschlossene Fans. Seit die CDU ihre drei Hauptkandidaten für den Parteivorsitz in Regionalkonferenzen präsentiert, klingt der Eröffnungsbeifall für den wiedergekehrten Ex-Politiker immer etwas lauter. Auch in Düsseldorf hält Merz den Dezibelrekord. Aber ob man das als Vorsprung werten soll oder als akustische Täuschung, weil seine Anhänger lauter klatschen und tiefer grölen und begeisterter sind, ist kaum zu entscheiden. Denn richtig ist auch: Zwischen den demonstrativ Aufgesprungenen bleiben sehr, sehr viele andere höflich klatschend sitzen.
Und „sehr, sehr viele“ meint: Eine vierstellige Zahl. 4000 Nordrhein-Westfalen sind nach Düsseldorf gekommen. Die Deutschlandtournee ist der größte Polit-Event seit CDU-Gedenken. Nimmt man die Regionalkonferenzen bis zum Finale am heutigen Freitag in Berlin und die Zuschauer im CDU-Livestream zusammen, haben Zehntausende den Wettstreit verfolgt.
Das Bedürfnis ist groß, auch mal Dinge anzusprechen
In Böblingen hat sich Landeschef Thomas Strobl zwar ein spöttisches „Ooooh“ eingebracht, als er es mit dem Schwärmen übertrieb: „Es ist ein bisschen so, als wäre die CDU wachgeküsst worden.“ Aber bisher hat sich noch jedes Mal einer am Saalmikrofon bedankt für die Chance zum offenen Wort. Nach den 18 Jahren, die Angela Merkel die Partei führte, und ihren 13 Regierungsjahren ist das Bedürfnis groß, auch mal Dinge anzusprechen, ohne dass das gleich als Majestätsbeleidigung gilt oder als Anschlag auf die Realpolitik.
Darin steckt ein Risiko. Aber bis auf einen Herrn Meisner in Halle, der sich über eine „links-grün driftende Politik der Frau Merkel“ und einen angeblich „rechtswidrigen Zustand an der Grenze“ erregte, blieb der Ton im Rahmen. Das Los fiel ausgerechnet auf Jens Spahn, den Empörten zurechtzuweisen: „So sollten wir innerhalb der Partei nicht diskutieren!“ Der Gesundheitsminister hat bekanntlich die Kritik an Merkel und der Flüchtlingspolitik zu seinem Markenzeichen gemacht. Für ihn ist die Tournee aber insgesamt ein Gewinn. Er ist dort Gleicher unter dreien, hat genauso viel Redezeit und wirkt nicht als der, der er ist: der Außenseiter.
Im heimatnahen Düsseldorf bekommt er sogar sehr kräftigen Applaus, als er die Geschichte von dem älteren CDU-Mitglied erzählt, das ihn zu trösten versucht: Er sei doch „blutjung“ und könne noch warten. Was das für eine Denkweise sei, wenn einer mit 38 als blutjung gelte, empört sich Spahn. Aber der Blick in den Saal zeigt so viele Grau- und Weißköpfe – für CDU-Verhältnisse passt’s.
Die meisten haben sich angeblich schon entschieden
Bleiben also zwei, zwischen denen sich der Parteitag in Hamburg nächste Woche entscheiden muss. Wer sich umhorcht am Rande der Konferenzen, hört mal „Natürlich Merz!“, mal „Ich bin für AKK“. Unter Parteipromis hat sich die Formel eingebürgert: „Friedrich Merz ist der Kandidat für den Bauch, Annegret Kramp-Karrenbauer für den Verstand.“ Ob dahinter ein echter Zwiespalt steht oder sich die Leute bloß nicht offen festlegen wollen – schwer zu sagen. Die meisten seien entschieden, glauben Führungsleute. Intern ordnen die Landesverbände ihre Delegierten längst den Kandidaten zu. Die Ergebnisse sprechen bisher keine wirklich klare Sprache. Man weiß noch nicht so recht.
Jedenfalls steckt im Bild von Bauch und Verstand etwas Wahres. Parteien verhalten sich ja immer ein bisschen wie Fußball-Fanclubs. Merkel hat das Bedürfnis zu jubeln selten bedient. Es gehört zu den Ironien dieser Tage, dass ihr alter Rivale Merz jetzt von diesem Defizit profitiert. Der weiß, wie er die Stadionkurve hinreißt. „Wir müssen nicht ALLE Positionen übernehmen, die die Sozialdemokraten gut finden“ – da zwinkern sich Konservative und Mittelständler verständnisvoll zu. Kramp-Karrenbauer merkt dazu später an, von „alle“ könne keine Rede sein. Aber wenn es um Kampfsprüche geht, zählt grobes Raster.
Ohnehin beherrscht Friedrich Merz die Methode „Jau“. Die besteht darin, selbst banale Sätze so rauszuhauen, dass man unwillkürlich mit kräftigem „Jau“ antworten möchte. Die miesen Umfragewerte? „Damit will ich mich nicht abfinden!“ Will das denn irgendjemand? Egal: Jau!
"Ich weiß, wie gut sich 40 Prozent anfühlt"
AKK kann „Jau“ nur ausnahmsweise. „Ich weiß, wie gut sich 40 Prozent anfühlt“, ist einer ihrer wenigen Jubel-Sätze. Der Wahlabend an der Saar, als sie triumphal den Schulz-Zug stoppte, war ja wirklich auch emotional ein Ausnahmetag. Ansonsten schafft es AKK, selbst grammatisch klare Hauptsätze durch ein „Und“ am Anfang und merkwürdig bürokratische Füllworte von „entsprechend“ bis „mit Blick auf die Frage“ um jede Wirkung zu bringen. Dass die Ex-Innenministerin gegenüber kriminellen Flüchtlingen viel mehr Härte walten lassen will als sogar Spahn, fällt kaum auf. Ihren saarländischen Singsang mag auch nicht jeder.
Nur: Neben dem Ohr und dem Bauch spricht der Verstand ein Wort mit. Die CDU wählt am 7. Dezember nicht den Superstar, sondern jemanden, der Partei und Wählerschaft zugleich beisammen halten muss. Das ist schon in der Partei nicht leicht. Denn auch wenn alle so tun, als gehe es nicht um eine Richtungsentscheidung – natürlich ist es eine.
„Wenn Merz nicht gewählt wird, werden viele gehen“, droht ein Fan des Rückkehrers unverblümt. Das ist die eine Seite. Die andere ergibt sich aus den Wahlen in Hessen und Bayern. Selbst wenn man diese krachenden Niederlagen als Quittung für das Berliner Sommertheater liest, zeigt doch die Massenabwanderung zu den Grünen, dass die Union auf dieser Seite des Spektrums inzwischen fast so viel zu verlieren hat wie nach rechts zur AfD.
Die Mitte will er "verbeitern", nicht nach rechts rücken
Friedrich Merz redet über Umweltpolitik und davon, dass er die Partei in der Mitte „verbreitern“ wolle, nicht nach rechts rücken. Das mit dem Verbreitern ist ein eingängiges Bild, nur – wie? Etwas mehr Aufmerksamkeit für gesunde Lebensmittel wird nicht reichen, um die Anhänger zurückzuholen, für die die Grünen aus viel umfassenderen Gründen bürgerliche Alternative geworden sind. Mal eben am Asylrecht herumschrauben zu wollen war so gesehen auch keine gute Idee, zumal sein Rückzieher das Manöver auch nach rechts hin entwertet hat. Symbolisch hat er sich selbst ins Retro zurückgeworfen.
AKK schadet in diesem Lager übrigens ihr erzkatholisches Beharren auf dem Nein zur Homo-Ehe ebenfalls. Trotzdem steht die Generalsekretärin insgesamt für mehr mittige Mitte als ihr Konkurrent. Und mehr für das, was sie gezielt selber betont: „Zusammenhalt“. Das ist das, was mit dem Verstand für sie spricht. Merz mag feierlich zusagen, dass er sich mit der Kanzlerin Merkel arrangieren und alle Flügel gleichermaßen berücksichtigen wolle – Kramp-Karrenbauer hat das alles als Generalsekretärin bewiesen.
Der Wettbewerb, sagen alle, tue der Partei gut
Genau entlang dieser Linie verläuft der Wahlkampf, den die beiden gegeneinander führen. Einmal ist er offen ausgebrochen – ausgelöst von Friedrich Merz’ Behauptung, die CDU habe die AfD bloß „achselzuckend“ hingenommen, der Kramp-Karrenbauer entgegenhielt, der Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Wahlkampf mehr bestehen musste, sei ahnungslos und „naiv“. Aber in Düsseldorf ist das schon kein Thema mehr. Sich vor dem mit Abstand größten Landesverband herumzustreiten wäre für beide ein unkalkulierbares Risiko. Fast jede dritte Stimme beim Parteitag kommt von hier.
Er wird sich zuletzt entscheiden müssen, der Parteitag. Der offene Wettbewerb, sagen alle, tue der Partei gut. Das Ergebnis auch?
Den größten Beifall bei den Regionalkonferenzen hat immer der Gastgeber eingeheimst für den Aufruf: „Wir brauchen euch alle drei!“ Die CDU ist nach den bitteren Schlachten der letzten Jahre ja auch eine aktuell sehr harmoniebedürftige Truppe. Aber Friedrich Merz wie Annegret Kramp-Karrenbauer haben klargemacht, dass sie nur als Sieger voll dabei bleiben – als Verlierer höchstens ab und zu im Ehrenamt. In Düsseldorf warnt Landeschef Armin Laschet ausdrücklich vor falscher Romantik: „Am Ende des 7. Dezember wird es keine drei Gewinner geben.“ Die CDU darf auswählen. Sie muss es aber auch. Und sie muss danach, so oder so, mit allen Folgen der Entscheidung leben.