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Der russische Präsident Wladimir Putin.
© imago images/ITAR-TASS

Putins Hinweis auf seine Nuklearwaffen: „Die Ankündigung soll die Menschen bei uns in Panik versetzen“

Droht ein Atomkrieg, weil der russische Präsident auch seine Nuklearstreitmacht in Alarmbereitschaft versetzt? Der Sicherheitsexperte Joachim Krause von der Uni Kiel im Interview.

Professor Joachim Krause (70) ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel. Der Mitherausgeber der regelmäßigen Publikation Sirius. Zeitschrift für Strategische Analysen gehört zu den deutschsprachigen Experten für Sicherheitspolitik, welche schon vor dem Krieg Putins gegen die Ukraine deutlich auf die russische Aufrüstung auch bei Nuklearwaffen und auf Defizite der deutschen Verteidigungspolitik hinwiesen.

Wie ernst ist Wladimir Putins Drohung zu nehmen – müssen wir uns darauf einstellen, dass Putin zum äußersten Mittel greift?
Putin hat nicht direkt mit dem Einsatz von Kernwaffen gedroht, lediglich hat er eine höhere Alarmstufe für die Abschreckungskräfte eingeleitet. Darunter fallen natürlich die strategischen und die nicht-strategischen Kernwaffenverbände. Dies ist militärisch gesehen kein besonders dramatischer Schritt.

Diese Ankündigung ist Teil der psychologischen Kriegsführung – die Menschen bei uns sollen in Panik versetzt werden. Sie hat aber auch die Funktion, den westlichen Politikern klar zu machen, dass bei einer militärischen Eskalation seitens der Nato Russland keine Hemmungen hätte, mit dem Einsatz von Kernwaffen zu drohen.

Das dürfte dann der Fall sein, wenn westliche Streitkräfte direkt in die Kämpfe in der Ukraine eingriffen. Aus diesem Grund hat die Nato auch ausgeschlossen, mit eigenen Truppen in der Ukraine zu intervenieren.

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Gibt es für einen solchen Fall eine russische Planung oder Strategie, die nun angewendet werden könnten? Manche Beobachter sprechen von „escalate to deescalate“.
Die gibt es und wird in der Fachliteratur und in einschlägigen Dokumenten der Nato auch ausführlich reflektiert. Im Prinzip läuft diese Doktrin Russlands darauf hinaus, bei regionalen Kriegen – also Kriegen an der Peripherie Russlands – im Falle einer absehbaren Niederlage auf Kernwaffendrohungen und deren Einsatz zurückzugreifen, um eine Kriegsbeendigung zu russischen Bedingungen zu bewirken.

Der dafür verwandte Begriff „escalate-to-deescalate“ ist irreführend. Es geht um Eskalationsdominanz unter Kriegsbedingungen. Das ist im Prinzip nicht viel anders als die nukleare Abschreckungsdoktrin der Nato – mit einem gravierenden Unterschied.

Während die Nato die nukleare Eskalation bei einer Invasionen Russlands einsetzen würde, um das russische Militär zum Rückzug zu bewegen, gilt die russische Doktrin eher für den Fall, dass Russland ausländisches Territorium erobert und besetzt hat. Dann soll die Eskalationsdominanz dafür sorgen, dass niemand wagt, die eroberten Gebiete oder Staaten wieder zu befreien.

Der Politikwissenschaftler Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.
Der Politikwissenschaftler Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.
© DPA

Mit welchen Nuklearwaffen bedroht Russland Deutschland und andere EU-Staaten?
Neben seinen strategischen Kernwaffen, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich die USA bedrohen, hat Russland in den vergangenen zehn Jahren bis zu 2.000 Waffensysteme mittlerer oder kurzer Reichweite beschafft oder umgerüstet, die in unterschiedlichen Bereitschaftsgraden für Einsätze gegen Ziele in Deutschland und anderen europäischen Ländern bereitstehen und die auch Kernwaffen transportieren sollen.

Das sind landgestützte, luftgestützte, seegestützte oder auf Jagd-U-Booten stationierte Marschflugkörper sowie Kurzstreckenraketen wie die Iskander, die von Kaliningrad aus Berlin in fünf Minuten erreichen können. Im gleichen Maße sind die Kernwaffenlager im westlichen Militärbezirk Russlands modernisiert und vergrößert worden.

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Diese Bedrohung ist ähnlich groß wie die, die die Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gegen die europäischen Nato-Staaten aufgeboten hatte.

Damals hatte die Nato auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Gegenrüstung beschlossen, was letztendlich zum INF-Vertrag von 1987 führte. Diesen Vertrag hat Russland systematisch umgangen beziehungsweise verletzt. Politisch ist diese Bedrohung in Deutschland bislang einfach ignoriert worden.

Diese zwei verfügen neben Putin über die Schlüssel zum Atomkoffer für Russlands Streitkräfte: Generalstabschef Valeri Gerasimov und Verteidigungsminister Sergej Shoigu (rechts).
Diese zwei verfügen neben Putin über die Schlüssel zum Atomkoffer für Russlands Streitkräfte: Generalstabschef Valeri Gerasimov und Verteidigungsminister Sergej Shoigu (rechts).
© Alekseyx ikolskyi/imago images/SNA

Gibt es gegen den Einsatz der russischen Mittelstreckenwaffen irgendwelche militärischen Abwehrmöglichkeiten?
Die gibt es, denn Marschflugkörper sind relativ langsam und wenn sie einmal identifiziert worden sind (zum Beispiel durch AWACS), kann man sie eliminieren, es sei denn, sie haben die Fähigkeit zu hyperschallschnellen Ausweichmanövern.

Angesichts der begrenzten Mittel der Bundeswehr und der Nato-Partner im Bereich erweiterte Luftabwehr und angesichts der großen Zahl und der weiten geographischen Verteilung der russischen Angriffsmittel, wird man derzeit nur einen kleinen Teil effektiv bekämpfen können.

Von daher ist es wichtig, dass die Bundeswehr und andere Länder endlich ein taktisches Luftverteidigungssystem und Raketenabwehrsysteme beschaffen.

Auch sollten die Fähigkeiten zur Aufklärung, Ortung und Bekämpfung russischer U-Boote und Kriegsschiffe verbessert werden. Einen vollständigen Schutz wird es aber nie geben. Daher bedarf es weiterhin eurostrategischer Nuklearwaffen der Nato und der Fortführung der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der nuklearen Planungsgruppe der Allianz.

US-Präsident Joe Biden reagiert umgekehrt nicht mit einer Steigerung der Alarmstufen für US-amerikanische Nuklearwaffen – ist das klug?
Es gibt aus amerikanischer Sicht derzeit keinen Anlass, die eigene Alarmstufe zu erhöhen, denn bislang gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass russische Waffenträger in Europa mit scharfen Kernwaffen ausgerüstet werden.

Sollte das der Fall sein, muss Washington entsprechend reagieren. Und die USA planen auch keine Intervention ihrer Truppen in der Ukraine. Anders wäre es, wenn Putin denjenigen europäischen Staaten, die die Ukraine mit Waffenlieferungen versorgen, mit dem Einsatz von militärischer Gewalt drohte und dabei auch den Einsatz von Kernwaffen nicht ausschließen würde.

Dann hätten wir eine grundsätzlich neue Situation, auf die auch die USA reagieren würden.

Welche Form von „heißem Draht" besteht überhaupt noch zwischen dem US- und dem russischen Militär?
Es gibt drei unterschiedliche Formate der Krisenkommunikation zwischen Moskau und Washington. Es gibt die „Hotline“ zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml, auf der der amerikanische Präsident direkt mit Putin kommunizieren kann.

Des Weiteren gibt es Zentren zur nuklearen Krisenreduzierung in den beiden Außenministerien und es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem russischen Generalstab und den "Joint Chiefs of Staff" in den USA. Die ersten beiden Verbindungen scheinen zu funktionieren. Die letztgenannte Verbindung ist derzeit inaktiv, weil die russische Seite keine Anrufe mehr entgegennimmt.

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