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Ukrainische Soldaten verladen auf dem Flughafen-Boryspil Javelin-Panzerabwehrlenkraketen, die von der USA an die Ukraine geliefert wurden.
© Efrem Lukatsky/AP/dpa

„Keine Hinweise, dass Nuklearmaterial abgezweigt wird“: Atomenergiebehörde weist Putins Vorwurf an die Ukraine zurück

Die Ukraine wolle atomar aufrüsten und verfüge über die Technologie dazu, lautete der Vorwurf aus Russland. Die IAEO und Rüstungskontrollexperten widersprechen.

Nach der Behauptung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wonach sich die Ukraine in kurzer Zeit Atomwaffen beschaffen wolle, hat die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) Kiew bescheinigt, sich an die Regeln zu halten.

„Unsere Agentur hat keine Hinweise dafür gefunden, dass in der Ukraine deklariertes Nuklearmaterial aus der friedlichen Nutzung von Nuklearenergie abgezweigt wird“, sagte ein IAEO-Sprecher am Mittwoch auf Anfrage des Tagesspiegels. Zudem habe die IAEO in der Ukraine „keine Hinweise gefunden, die Befürchtungen im Hinblick auf die Proliferation von Nuklearmaterial auslösen würden“.

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Die Organisation führt in der Ukraine Inspektionen durch. Als Nicht-Atomwaffenstaat habe das Land gemäß dem Nicht-Verbreitungsvertrag für Atomwaffen ein Abkommen über umfassende Kontrollen mit der IAEO, sagte der Sprecher. Zudem sei seit 2006 ein Zusatzprotoll mit der Ukraine in Kraft.

Putin hatte in der Rede unter anderem erklärt: „Wir wissen, dass es bereits Berichte gab, die Ukraine wolle ihre eigenen Atomwaffen herstellen. Das ist keine leere Prahlerei". Weiter behauptete er: „Die Ukraine verfügt tatsächlich immer noch über sowjetische Nukleartechnologien und Trägersysteme für solche Waffen."

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Auch Rüstungskontrollexperten widersprachen dem russischen Präsidenten. Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sagte dieser Zeitung: „Vladimir Putins Behauptungen, dass die Ukraine den Besitz von Atomwaffen anstrebe, über die technischen Möglichkeiten zum Erwerb von Nuklearwaffen verfüge und westliche Staaten Kiew im Streben nach Nuklearwaffen unterstützten, sind gefährliche Propaganda.“

„Putins These stelle die Wahrheit auf den Kopf"

Zwar gehöre die Ukraine zu einer Gruppe von rund 50 Staaten, die prinzipiell in der Lage sind, Nukleartechnologie auch für militärische Zwecke zu missbrauchen. Aber Anfang der 1990er Jahre hätten Russland und der Westen „ebenso einvernehmlich wie erfolgreich“ auf die Ukraine eingewirkt, dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag als Nichtatomwaffenstaat beizutreten. Putins These stelle „die Wahrheit auf den Kopf“.

Im Gegensatz zur Ukraine verfügt Russland über Atomwaffen - und übte Ende Februar mit ballistischen Raketen.
Im Gegensatz zur Ukraine verfügt Russland über Atomwaffen - und übte Ende Februar mit ballistischen Raketen.
© Russian Defence Ministry/Handout via REUTERS

Auch Oliver Thränert, Leiter des Think Tanks am Center for Security Studies der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, sagte: „Die in der Ukraine befindlichen zivilen Nukleareinrichtungen werden durch die Internationale Atomenergiebehörde überwacht. Unregelmäßigkeiten bei den Inspektionen sind mir nicht bekannt. “ Die Ukraine habe sogar ein Zusatzprotokoll zu den erforderlichen Sicherheitsabkommen in Kraft und setze „insoweit ein hohes Mass an Transparenz um“. Es sei ihm auch nicht bekannt, „dass die Ukraine über weit reichende nuklearfähige Trägersysteme verfügt“.

Meier betonte zudem die besondere Verantwortung Russlands für die Nichtverbreitung von Atomwaffen. „Eine Gefahr solch haltlosen Geredes ist, dass Moskau den Eindruck erweckt, Nichtverbreitungsregeln seien bedeutungslos“, sagte er: „Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrat und anerkannter Nuklearwaffenstaat trägt aber besondere Verantwortung dafür, dieses Regelwerk zu beschützen.“

Ukrainische Botschafter drohte mit atomarer Bewaffnung

Allerdings haben offizielle Vertreter der Ukraine in der Vergangenheit mit einer atomaren Aufrüstung des Landes gedroht. So sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk, im vergangenen Jahr im Deutschlandfunk: „Entweder sind wir Teil eines Bündnisses wie der Nato und tragen auch dazu bei, dass dieses Europa stärker wird, (...) oder wir haben eine einzige Option, dann selbst aufzurüsten“.

Kiew werde dann „vielleicht auch über einen nuklearen Status“ nachdenken. „Wie sonst können wir unsere Verteidigung garantieren?“, fragte er. Friedensforscher Meier sagte, dies sei ein Gedankenspiel oder eine Drohkulisse, aber keine ukrainische Regierungsposition: „Wenn die Ukraine insgesamt in Richtung Atomwaffenbesitz gehen sollte, dann wäre es mit der Geschlossenheit des Westens in der Unterstützung vorbei."

1994 hatte Kiew den Verzicht auf das auf ukrainischem Territorium lagernde drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt aus sowjetischen Zeiten erklärt. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, die Grenzen der Ukraine zu achten.

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