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General Mark Milley spricht während des Besuchs von Ex-US-Präsident Trump auf der Bagram Air Base nördlich von Kabul zu Thanksgiving 2019 zu den Mitgliedern des Militärs.
© picture alliance/dpa/AP | Alex Brandon
Update

Die Sorge vor einem Atomkrieg: Ein US-General könnte das Schlimmste verhindern

Putin hat befohlen, Atomwaffen in Alarmbereitschaft zu versetzen. Welche Notfall-Kanäle gibt es zum russischen Militär?

„Die Lage ist ernst“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Sonntagnachmittag in einem Radio-Interview mit BBC World Service. Kurz zuvor hatte der russische Präsident Wladimir Putin angewiesen, die Abschreckungswaffen der Atommacht in besondere Alarmbereitschaft versetzen zu lassen.

„Die Spitzenpersönlichkeiten der führenden Nato-Staaten lassen aggressive Äußerungen gegen unser Land zu, deshalb befehle ich dem Verteidigungsminister und dem Chef des Generalstabs die Streitkräfte der Abschreckung der russischen Armee in ein besonderes Regime der Alarmbereitschaft zu versetzen.“

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Putin sagte außerdem: „Sie sehen, dass die westlichen Länder nicht nur unfreundliche Handlungen gegen unser Land unternehmen. Im wirtschaftlichen Bereich - ich meine die illegitimen Sanktionen, über die alle gut Bescheid wissen.“ Die EU und die USA hatten zuvor beispiellose Sanktionen gegen Russland erlassen.

Putins Verhalten lässt die Sorge wachsen, dass sich der Krieg in der Ukraine auf einen größeren Konflikt in Europa, ja sogar auf einen Atomkrieg ausweiten könnte. Innerhalb der Nato werde darüber beraten, „wie man darauf reagiert, ohne weiter zu eskalieren“. Es gehe darum, „einen kühlen Kopf zu bewahren in dieser sehr, sehr schwierigen Situation“, sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.

Gespräche mit der russischen Regierung seien derzeit kaum möglich, räumte Lambrecht ein. Es sei „schwer, einen Kanal offenzuhalten zu jemandem, der lügt, betrügt, der völlig unberechenbar ist“.

Dabei ist Kommunikation wohl der einzige Schlüssel, um eine weitere Eskalation zu stoppen. Aber wie?

Eine entscheidende Rolle könnte im Ernstfall der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte Mark Milley spielen – und sein offenbar kurzer Draht und seine bestehende Beziehung zum Chef des Generalstabs der Streitkräfte der russischen Föderation Valery Gerassimov. Das berichtet das Magazin „Politico“ unter Berufung auf einen hochrangigen Beamten des US-Verteidigungsministeriums.

Gerassimov saß am Sonntag mit am Tisch, als Putin auftrug, die Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft zu versetzen.

USA haben Russland um offizielle Verbindung gebeten

Seit Beginn des Ukraine-Krieges sollen die beiden zwar nicht mehr miteinander gesprochen haben, doch Kommunikation auf unterer Ebene - also nicht mehr auf diplomatischer - könne jetzt entscheidend werden. „Die Sache mit Milley und Gerassimov“ werten sie laut dem Magazin im Pentagon als wichtiger denn je.

Die Beziehung sei nützlich, „um Fehleinschätzungen und Fehltritte zu vermeiden", da es in solchen Krisen-Situationen eben oft an Kommunikation auf oberster Ebene mangele, wird der Beamte zitiert.

Milley und Gerassimov hatten sich im September in Helsinki zu einem sechsstündigen Gespräch getroffen, wie „Politico“ berichtet. Seitdem hätten sie mehrfach gesprochen, auch noch, als die Russen ihre Streitkräfte an der Grenze zur Ukraine zusammenzogen.

Wladimir Putin bei einem Treffen mit Gerassimov im Jahr 2015.
Wladimir Putin bei einem Treffen mit Gerassimov im Jahr 2015.
© picture alliance / dpa | Alexey Druzhinin / Sputnik / Kre

Laut einem Beamten im Pentagon haben die USA Russland um eine Verbindung auf operativer Ebene gebeten. Bisher habe es keine Antwort gegeben. Die Sorge: Da sich russische Streitkräfte nun teilweise direkt an der Nato-Grenze bewegen, könnte es zu unbeabsichtigten Zusammenstößen kommen. Die könnten schnell weitere militärische Aktionen nach sich ziehen. Auch eine schwere Cyberattacke auf ein Nato-Land könnte den Artikel-5 des Bündnisses auslösen - ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.

Eine solche Verbindung und einen Prozess zur Deeskalation hatte es zuletzt im Syrienkrieg gegeben. Die USA und Russland gaben sich gegenseitig bei Einsätzen Bescheid, so dass einer dem anderen nicht in die Quere kam.

Seit der Kuba-Krise besteht zwischen Washington und Moskau eine Verbindung. Laut „Politico“ handelt es sich inzwischen um einen gesicherten „E-Mail-Link". Daneben gebe es auch andere Kanäle, zitiert „Politico“ einen ehemaligen US-Kommandeur.

Die Nato steht laut eigener Aussage unterdessen geschlossen zusammen. Vorwürfe Putins, Spitzenpolitiker aus führenden Nato-Ländern hätten sich aggressiv gegenüber Russland geäußert, wies Stoltenberg zurück. „Russland ist der Aggressor. Russland führt Krieg, führt eine regelrechte Invasion in ein souveränes, friedliches Land, in der Ukraine durch“, sagte Stoltenberg. Das sei eine Tatsache über die es keinen Zweifel gebe. Die Ukraine habe das Recht auf Selbstverteidigung gegen Russland und werde dabei von der Nato unterstützt.

Moskaus Ankündigung, die Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft zu versetzen, zeigt nach Ansicht des Weißen Hauses das „Muster“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin, „Bedrohungen zu fabrizieren“. Er wolle damit sein weiteres kriegerisches Vorgehen rechtfertigen, sagte die Sprecherin von Joe Biden, Jen Psaki, am Sonntag dem TV-Sender ABC.

„So hat er es immer wieder gemacht“, sagte sie. „Russland ist zu keinem Zeitpunkt von der Nato bedroht worden oder von der Ukraine bedroht worden“, sagte Psaki weiter. „Wir haben die Fähigkeiten, uns zu verteidigen“, betonte sie. Die Sprecherin erklärte zudem, die USA seien bereit, bei einer Zuspitzung des Konflikts weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen.

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Wie ernst ist Putins Drohung?

Putin hatte bereits am vergangenen Donnerstag in seiner Erklärung zum Beginn des Einmarsches in die Ukraine davor gewarnt, gegen Russland Aggressionen zu verüben. Er drohte mit den härtesten Konsequenzen und betonte, Russland sei heute eine „der mächtigsten Nuklearmächte der Welt“. Putin hatte am 19. Februar auch eine großangelegte Übung der nuklearen Streitkräfte abgehalten. Dabei kamen Waffen ohne Atomsprengköpfe zum Einsatz.

[Alle aktuellen Entwicklungen zum Ukraine-Krieg lesen Sie hier in unserem Newsblog.]

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri hatte nach Putins Rede mitgeteilt, dass es nicht damit rechne, dass der Ukraine-Krieg zum Einsatz von nuklearen Waffen führen wird. „Ich glaube nicht, dass ein Atomkrieg eine wahrscheinliche Folge dieser Krise ist“, sagte Sipri-Direktor Dan Smith der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien.

„Wenn Atomwaffen existieren, dann gibt es aber leider natürlich immer diese kleine Möglichkeit. Und das wäre katastrophal.“

Putins Drohung müsse nicht unbedingt bedeuten, dass Russland wirklich zum Einsatz von Atomwaffen bereit sei, kommentierte auch der Sicherheitsexperte des britischen Nachrichtensenders BBC.

Russland habe zwar den größten Vorrat an Atomwaffen der Welt, wisse aber auch, dass die Nato auch genügend besitze, um Russland zu zerstören. Wahrscheinlicher sei, dass Putin mit dieser Aussage bewusst Ängste schüre, um weitere Unterstützung der Nato-Staaten für die Ukraine zu verhindern. (mit Agenturen)

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