Ist China uns tatsächlich überlegen?: Der Trugschluss, dass autoritäre Regime Corona besser bekämpfen
Das Label „demokratisch“ oder „autoritär“ lässt keine Aussage darüber zu, wie gut ein Staat durch die Coronakrise kommt. Worauf es wirklich ankommt. Ein Gastbeitrag.
Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
In der Debatte über die internationalen Auswirkungen der Corona-Pandemie ist oft zu hören, die Krise stärke autoritäre Staats- und Herrschaftsformen. Das ist eine steile, vor allem fernsehtaugliche These. Der Realitätstest jedoch bietet ein differenzierteres Bild.
Auf den ersten Blick entwickelt die These vom Vorteil der Autokratien suggestive Kraft, weil niemand das Gegenteil behauptet: Dass die Pandemie im Allgemeinen demokratische Staaten oder etwa die Europäische Union als Modell einer Gemeinschaft von Demokratien stärke.
Tatsächlich gibt ja auch die demokratische Führungsmacht USA in der Krise kein gutes Bild ab. Auf der anderen Seite zieht China alle Register, um eigene Erfolge im Kampf gegen das Virus oder Hilfen für andere Länder herauszustellen - und Fehlleistungen demokratischer Staaten als systemtypisch zu brandmarken.
Fakten spielen dabei eine geringere Rolle als gut inszenierte Bilder. Hinzu kommt reale Frustration über mangelnde oder verspätete Solidarität innerhalb der EU. Das schafft günstige Bedingungen für Pekings aber auch Moskaus „Masken- und Materialdiplomatie“.
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Dass China eigenes Versagen, vor allem die anfängliche Vertuschung der Epidemie, überspielt, ist kein Geheimnis, verliert aber an Bedeutung, wenn die EU etwa im westlichen Balkan nicht rechtzeitig die Corona-Bekämpfung unterstützt. Oder wenn US-Präsident Donald Trump Impfstoffe nur für die eigene Bevölkerung zu produzieren verspricht.
Umstrittener Umgang mit dem Coronavirus
Die USA und China nutzen die Corona-Krise bewusst als Teil ihrer geopolitischen Rivalität, die gern auch als Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autoritären Systemen inszeniert wird. In der Sache allerdings eignet sich die Pandemie gerade nicht für einen ideologischen Wettbewerb.
Es dürfte noch lange umstritten bleiben, wie gut China mit der Epidemie umgegangen ist. Eine unabhängige internationale Untersuchung über den Ausbruch des Virus wird wohl ausbleiben - dazu ist die Angelegenheit bereits zu stark politisch aufgeladen.
Am Ende wird man wahrscheinlich sagen, dass die chinesische Führung einiges falsch, aber vieles auch richtig gemacht habe, wobei der konsequente Lockdown in Wuhan sogar international Maßstäbe setzen konnte.
Der Umgang verschiedener Staaten mit der Pandemie hat unabhängig von den im Einzelnen sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen, demografischen und geographischen Ausgangsbedingungen immer auch mit deren politischen Eigenheiten und dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft zu tun.
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Dabei geht es aber mehr darum, wie konkret regiert, verwaltet und kommuniziert wird, als um politische Ideologie. Es gibt demokratische und autoritäre oder halb-demokratische Staaten, die die Krise gut gemanagt haben.
Genauso gibt es in allen Lagern aber auch Staaten, die mit der Pandemie vergleichsweise schlecht umgingen. Einige autokratisch regierte Staaten wie Vietnam oder Ruanda konnten das Virus relativ rasch und effektiv eindämmen und dabei den gesellschaftlichen Zusammenhalt wahren.
Nicht alle Staaten in der EU waren erfolgreich
Für Russland, Iran oder die Türkei hingegen gilt eher das Gegenteil. So unterschiedliche Demokratien wie Südkorea, Japan, Tunesien, Südafrika oder Deutschland und viele, aber eben nicht alle EU-Staaten gelten bislang als relativ erfolgreich bei der Virus-Eindämmung.
Für Großbritannien gilt das weniger, für Brasilien gar nicht, und was die USA betrifft, kommt es darauf an, ob man auf die Bundesebene oder auf einzelne Bundestaaten schaut.
Verteidiger autoritärer Modelle verweisen darauf, dass solche Systeme schnell zentral entscheiden und Maßnahmen wie die Isolierung ganzer Städte oder die elektronische Kontaktverfolgung ohne viel Widerstand durchsetzen können. Aber auch demokratische Staaten haben bewiesen, dass sie im Krisenfall ähnliche Maßnahmen schnell auf den Weg bringen.
Zentralismus ist kein Garant für gutes Krisenmanagement
In ganz unterschiedlich betroffenen Staaten wie etwa Italien, Deutschland, Schweden oder Korea ist dabei sogar die Zustimmung zu den jeweiligen Regierungen gewachsen. Zentralismus bietet dabei keine Garantie für effektives Krisenmanagement, sondern kann, wie sich in Frankreich gezeigt hat, Nachteile mit sich bringen.
Dagegen liefert die Krise gute Argumente für föderale und dezentralisierte Modelle, die regional angepasste Problemlösungen erlauben. In den USA dürfte die föderale Struktur sogar eine noch größere Katastrophe verhindert haben.
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Zusammengenommen heißt das: Das Label „demokratisch“ oder „autoritär“ lässt keine Aussage über die Fähigkeit eines Systems oder einer Regierung zu, mit der gegenwärtigen Pandemie oder vergleichbaren künftigen Krisen umzugehen.
Andere Merkmale, die wir in Demokratien voraussetzen, die autoritären Systemen jedoch nicht notwendig fehlen, sind entscheidend: eine „Infrastruktur des Vertrauens“ zwischen Bürgern und Staat, ein ausreichendes Maß an gesellschaftlicher Inklusion, sozialer Absicherung und Gerechtigkeit.
Wieviel Ungleichheit akzeptabel ist, wird je nach Land unterschiedlich beantwortet. Soziale Proteste haben aber fast immer mit der gefühlten oder realen Ausgrenzung relevanter Gruppen und mit einer spürbaren Zunahme von Ungleichheit zu tun.
Die Pandemie verschärft existierende Ungleichheiten, gleichzeitig scheint ein höheres Maß an Ungleichheit auch die Krisenbewältigung zu erschweren.
Ein intakter Gesellschaftsvertrag hilft
Eine erfolgreiche Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen verlangt also vor allem einen funktionierenden Staat und was man einen intakten „Gesellschaftsvertrag“ nennen könnte: ein Grundvertrauen in den Staat und seine Institutionen, idealerweise auch die Regierenden.
Für eine erfolgreiche Bewältigung der ihrer Natur nach globalen Krise ist darüber hinaus die Fähigkeit zu kooperativem und multilateralem Handeln entscheidend.
Die jüngst von der Europäischen Kommission organisierte Geberkonferenz für eine „Globale Allianz“ gegen Covid-19 bietet ein gutes Beispiel für eine Koalition staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, die ideologische Orientierungen beiseitelässt.
Gerade der Schutz globaler öffentlicher Güter – Gesundheit, Ernährungssicherheit, Klimaschutz, Biodiversität, aber auch Rüstungskontrolle und Friedenssicherung –, verlangt eine pragmatische Zusammenarbeit auch mit politischen und ideologischen Rivalen. Wertedebatten oder der Streit über Menschenrechte etwa mit China lassen sich auf dieser Grundlage sogar viel glaubwürdiger führen.
Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien, zu denen auch der Tagesspiegel gehört. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Jörg Rocholl, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.
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