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Auch nach der Auflösung der Sowjetunion hielten ihr viele Russen die Treue, wie hier bei einem Protest auf dem Roten Platz 1993.
© Imago

Vor 25 Jahren: Der Todesstoß für die Sowjetunion

Ein geselliges Treffen in einer Jagdhütte besiegelte 1991 das Ende der UdSSR. Die Ukraine hatte daran maßgeblichen Anteil

Die Leninstraße im ukrainischen Bilajewka heißt heute nicht mehr so. Im Sommer wurde der Straßenname in dem 15 000-Einwohner-Städtchen in der Nähe der ukrainischen Hafenstadt Odessa geändert. Doch niemand scheint zu wissen, wie der neue Name lautet – selbst ein junger Lokalbeamter schüttelt ratlos den Kopf. An den Häusern hängt immer noch der alte Name und niemand stört sich offenbar daran. Hauptsache, das Gesetz über die Ent-Kommunisierung wurde umgesetzt, lautet die Devise.

Von den Kommunisten hielt man hier im agrarischen Süden der Ukraine eh nie viel. Die brutale Zwangsherrschaft ließ aber keinen anderen Ausweg, als der Kommunistischen Partei, dem lokalen Politbüro und vor allem den Kremlherren im fernen Moskau zu huldigen.

25 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ziert in Bilajewka noch ein angedeuteter roter Stern das Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen. Auch ein schlecht erhaltener Sowjetpanzer steht auf einem Sockel neben dem kleinen Supermarkt – so wie in vielen Städten der ehemaligen UdSSR. In Bilajewka wurde aber 2015 eines der ersten lokalen Anti- Korruptionsbüros sowie ein eigenes Umweltressort eröffnet. „Unser Fernziel ist die EU, deshalb brauchen wir beides“, sagte im Sommer bei einem Treffen in Odessa der damalige Bezirksvorsteher, ein junger Maidan-Aktivist. Das provinzielle Bilajewka befindet sich damit in der Avantgarde ex-sowjetischer Kleinstädte.

Die Rolle der Ukraine

Auch1991 war die Ukraine ganz vorn bei der Zerstörung der Sowjetunion. Zwar hatte die baltische Sowjetrepublik Litauen im März 1990 mit ihrer Unabhängigkeitserklärung den ersten Schritt gemacht. Ihr folgten die Baltenrepubliken Lettland und Estland sowie Georgien. Doch was den Kreml wirklich schmerzte, waren abtrünnige große Republiken wie das rohstoffreiche Kasachstan oder die nach Russland flächenmäßig größte Sowjetrepublik Ukraine, die 1922 Gründungsmitglied des Sowjetischen Vielvölkerstaates gewesen war – zusammen mit Russland und Weißrussland.

Nach dem niedergeschlagenen Augustputsch konservativer Kräfte 1991 gegen den seit 1985 als Vorsitzender des Zentralkomitees (ZK) herrschenden Reformer Michail Gorbatschow beschleunigte sich der Zerfall der Sowjetunion. Am 24. August 1991 erklärte das Parlament der Ukraine die Unabhängigkeit. Die Kiewer Führung wollte den Entschluss indes durch das ganze Volk demokratisch absegnen lassen und rief für den 1. Dezember 1991 ein Referendum aus.

Gleichzeitig fanden in der Ukraine die ersten freien Präsidentenwahlen statt. Der Exkommunist Leonid Krawtschuk setzte sich dabei gegen den nationalistisch orientierten Dissidenten Wjatscheslaw Tschornowil durch. Im Unabhängigkeitsreferendum stimmten die Ukrainer für die De-facto-Loslösung von der Sowjetunion. Die Unabhängigkeit wurde in allen Verwaltungsbezirken von einer Mehrheit gut geheißen, auch in mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnten Gebieten wie der Halbinsel Krim und im Donbass. „Beim Referendum unterstützten über 90 Prozent der Wähler die Unabhängigkeit; ich bin stolz darauf, dass die Folge davon der Zerfall der Sowjetunion war“, sagte Krawtschuk dazu.

Wildscheinjagd mit Folgen

Besiegelt wurde der Zerfall der Sowjetunion schon ein Wochenende später – fast nebenher – im weißrussischen Urwald von Belowesch unweit der polnischen Grenze. Dorthin hatte Stanislau Schuschkewitsch, der Parlamentspräsident Weißrusslands, zur Wildschweinjagd eingeladen, um am Rande des geselligen Treffens vor allem die Frage der stockenden Erdöl- und Gaslieferungen aus Russland zu erörtern. Den Ukrainer Krawtschuk habe er dazu nur eingeladen, um bei den Verhandlungen mit dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin mehr Gewicht zu haben, erinnert sich Schuschkewitsch.

„Es war ein bitterkalter Winter mit frühen Schneefall; in Weißrussland ging uns das Öl und Gas aus – die Ukraine hatte dasselbe Problem“, erzählt Schuschkewitsch im Gespräch mit dem Tagesspiegel in seiner Minsker Wohnung. Der Weißrusse erinnert sich gern an jene Wintertage im Jagdhaus in Wiskuli zurück. „Wäre der Winter nicht derart hart gewesen, hätte die Sowjetunion vielleicht länger existiert“, sagt Schuschkewitsch augenzwinkernd.

Das Thema russischer Energielieferungen sei rasch gelöst gewesen, erinnert sich der heute 82-Jährige, bald sei man deshalb auf Grundlegenderes gekommen – nämlich die Zukunft der Sowjetunion. Während sich Jelzin und Schuschkewitsch ein Fortbestehen unter gewissen Bedingungen vorstellen konnten, legte sich Krawtschuk quer. Gestärkt durch den Ausgang des ukrainischen Unabhängigkeitsreferendums forderte er am 7. Dezember 1991 bei einem alkoholseligen Abendessen im Jagdhaus ein rechtlich bindendes und klares Ende der Sowjetunion, bevor ein neuer Staatenbund gegründet werden könne.

Der Todesstoß für die UdSSR folgte einen Tag später. „Es war ein heller, völlig nebelloser Morgen“, schreibt Schuschkewitsch in seiner Autobiografie. Im persönlichen Gespräch erklärt er weiter ausholend, dass Jelzin im Gästehaus blieb, während die ukrainische Delegation das gute Jagdwetter ausnutzte. So habe er mit seinem russischen Amtskollegen an einem Unionsvertrag von nun völlig souveränen Ex-Sowjetrepubliken gefeilt. Später habe sich auch Krawtschuk dazu gesellt – sowie gut zwei Dutzend juristische Experten aus Moskau, Minsk und Kiew. „Als wir am Nachmittag vor die handverlesene Journalistenschar traten und das Ende der Sowjetunion verkündeten, waren diese völlig baff“, sagt Schuschkewitsch und lacht. Wirklich Schluss war erst Schlag Mitternacht am 31. Dezember 1991: Mit dem Jahreswechsel vor 25 Jahren hörte die Sowjetunion endgültig auf zu existieren.

Gorbatschow war nicht begeistert

Wilde Gerüchte ranken sich noch heute um das Jagdhaus in Wiskuli. Die schnelle Benachrichtigung von US-Präsident George Bush durch Jelzin gibt noch heute für allerhand Verschwörungstheorien Anlass. Und Schuschkewitsch betont, dass er Staatschef Gorbatschow zuerst angerufen habe. Dieser habe noch am Telefon von dem freundschaftlichen „Du“ auf das kalte „Sie“ gewechselt. „Gorbatschow war eben immer ein Sowjetmensch, und die UdSSR war ihm das Wichtigste“, sagt der Weißrusse. Auch Wladimir Putin habe mit seiner Behauptung, das Ende der Sowjetunion sei eine Tragödie, nur sein wahres, imperialistisches Antlitz gezeigt, unter dem heute in erster Linie die Ukrainer leiden müssten, sagt Schuschkewitsch warnend.

In der Tat hat Putin nichts unversucht gelassen, eine Großmacht, wie sie die Sowjetunion darstellte, wieder aufleben zu lassen und die Ukraine wieder in seine ureigenste Einflusssphäre zu bringen. Moskau übte so starken Druck auf die Regierung in Kiew aus, dass der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch Ende November 2013 ein bereits ausgehandeltes EU-Assoziationsabkommen auf Eis legen ließ. Dies führte in der Ukraine zu einem Volksaufstand gegen die korrumpierte Machtclique, die in der Flucht Janukowitschs nach Russland und einem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine gipfelte.

Dort wurden in der Folge des Krieges zwei prorussische „Volksrepubliken“ ausgerufen. In der „Volksrepublik Donezk“ steht noch heute auf dem zentralen Platz der „Hauptstadt“ Donezk eine Lenin-Statue. Das Zahlungsmittel ist der Rubel, die Zeit richtet sich nach Moskau und die meisten sowjetischen Feiertage werden – genauso wie in Putins Russland – wieder begangen. In der restlichen Ukraine werden gerade die letzten sowjetischen Heldenstatuen gestürzt– in diesem Jahr allein 1320 von Lenin – und alle kommunistischen Orts- und Straßennamen umbenannt. Im Herzen vieler lebt die Sowjetunion jedoch weiter.

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