Streit um die CO2-Steuer: Der Preis muss wehtun – sonst wirkt er nicht
Die große Koalition will Kohlendioxid bepreisen. Droht nun eine neue soziale Schieflage wegen des Klimaschutzes?
Immer und immer wieder wird CDU- Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag nach der Vorstandssitzung gefragt, wie die CDU es denn nun mit der CO2-Steuer hält. Seine Antwort, kurz gefasst: eher nicht. Aber auch kein klares Nein, man habe noch Beratungsbedarf.
„Den Benzinpreis zu erhöhen, kann nicht die Lösung sein“, sagt Ziemiak. Denn eine pauschale Besteuerung auf alles, was klimaschädliches Kohlendioxid verursacht, würde auch den Sprit teurer machen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gilt eher als Anhängerin des Alternativmodells, den EU-Handel mit Verschmutzungsrechten auszuweiten – bisher muss fast nur die Industrie für den Ausstoß zahlen.
So oder so zeichnet sich ab: Es wird teurer – und Verlierer geben.
Wann soll es eine Entscheidung geben?
Bis Ende 2019 soll ein Klimaschutzgesetz stehen – und damit eine Einigung, wie durch einen teureren Treibhausgasausstoß dieser so gesenkt werden kann, dass bis 2030 die geplanten 55 Prozent weniger an Treibhausgasen ausgestoßen werden als 1990. Juso-Chef Kevin Kühnert nennt es eine Bedingung, um die Koalition fortzusetzen, im Dezember steht ein womöglich turbulenter SPD-Bundesparteitag an. Letztlich haben sowohl eine CO2- Steuer als auch eine Ausweitung des Handels mit Verschmutzungsrechten eine ähnliche Wirkung: Auch Autofahrer, Ölheizungsbesitzer, Fluglinien, Gebäudebesitzer oder Bauern müssten eine Steuer für den verursachten Ausstoß zahlen – oder eben über das europäische Handelssystem, das bisher vor allem Kraftwerke, Aluhütten und andere Industrien umfasst, Rechte für den CO2-Ausstoß kaufen. Von einem Preis von rund 20 Euro je Tonne ist die Rede.
Welche Gefahr droht?
Vor allem, dass es eine große soziale Ungerechtigkeit gibt. Wenn der Hauseigentümer mehr für seine schlecht gedämmte Altbauwohnungen zahlen muss, könnte das bei den Mietern landen. Der schon von hohen Mieten ins Umland vertriebene Arbeitnehmer, der nun jeden Tag 20 Kilometer ins Zentrum pendeln muss, wäre auch ein Verlierer. Ebenso der Bauer mit vielen Milchkühen, die viel Methan ausstoßen. Auch das Fleisch könnte teurer werden – daher wird die größte Herausforderung, das Ganze „belastungsneutral“ zu gestalten, also über Steuerrückerstattungen nachzudenken oder an anderer Stelle zu streichen, vor allem im Bereich der Energiesteuern. Dass also die Einnahmen des Staates ähnlich bleiben.
Aber wenn zum Beispiel die Stromsteuer wegfällt, wie es etwa die Verbraucherzentrale Bundesverband vorschlägt, könnte man die Bürger an anderer Stelle entlasten. Möglich wäre auch ein Heizkostenbonus, mit den Einnahmen in die energetische Gebäudesanierung zu investieren oder hohe Umstiegsprämien auf Elektroautos oder Hybridwagen anzubieten.
Was ist die große Sorge?
Dass das Klimathema zu einem politisch aufgeladenen Thema wie die Aufnahme von geflüchteten Menschen wird. Denn schon der milliardenschwere Ausbau der erneuerbaren Energien litt unter einem Gerechtigkeitsdefizit. Jeder Bürger zahlt über den Strompreis die Erneuerbare- Energien-Umlage (EEG), derzeit 6,405 Cent je Kilowattstunde, bei einem Verbrauch in einem mehrköpfigen Haushalt von 4000 Kilowattstunden im Jahr macht nur dies 256 Euro aus. Und damit zahle man auch die Renditen des Zahnarzts, der sich eine Solaranlage auf das Dach gesetzt hat und von den Einspeisevergütungen profitiert, betonen die Kritiker.
Unions-Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) betont: „Diese Koalition hat Steuererhöhungen klar ausgeschlossen. Deshalb kommt eine Mehrbelastung unter dem Deckmantel des Klimaschutzes nicht infrage.“ So könnte es am Ende nur kleine Schritte geben. Dabei drohen Deutschland Milliardenkosten durch verfehle Klimaziele aufgrund von EU-Vorgaben, ganz zu schweigen von den Folgen für alle durch den Klimawandel.
Was könnte noch komplizierter werden?
Die Steuerschätzung kommende Woche wird erstmals seit Jahren ein dickes Milliardenminus aufweisen – daher werden Begehrlichkeiten wachsen, CO2 zu bepreisen – die Frage ist, ob die Bürger wirklich eins zu eins entlastet werden. Läuft es gut, kann der klimabewusste Bürger durch Entlastungen an anderer Stelle mehr in der Tasche haben, während der SUV-Fahrer, Steakhouse-Stammgast und Vielflieger mehr berappen muss.
„Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass der CO2- Ausstoß endlich ein Preisschild bekommt, die Luft ist doch keine Gratis- Mülldeponie für dreckiges Klimagas“, sagt der Linken-Umweltpolitiker Lorenz Gösta Beutin. „Einkommensschwache müssen durch Streichung der Stromsteuer, Klimawohngeld und kostenlosen ÖPNV entlastet werden.“
Wirkt ein CO2-Preis überhaupt, der keinem wehtun soll?
Nein. Wenn der CO2-Ausstoß teurer werden soll, müssen die Bürger das natürlich auch spüren. Sonst bringt es nicht den gewünschten Klimaeffekt. Aber dabei muss man nicht mit der Brechstange vorgehen: klimafreundliches Verhalten belohnen, klimaschädliches entmutigen, rät PIK-Direktor Ottmar Edenhofer. „Natürlich muss deshalb der Preis hoch genug sein. Er müsste mindestens bei 20 Euro pro Tonne beginnen und dann nachhaltig steigen. Aber gleichzeitig müssen gerade einkommensschwache Haushalte entlastet werden, etwa indem sie zusätzliche Belastungen am Ende rückerstattet bekommen“, sagt Edenhofer.
Wichtig sei, dass der Staat klar kommuniziere, was er mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis macht und welchen Anteil er zurückzahlt. „Derzeit prüfen wir verschiedene Modelle der Rückerstattung von CO2-Preis-Modellen. Es gibt aber verfassungsrechtliche Einwände gegen die Rückerstattung von Steuern.“
Laut Karsten Neuhoff, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), reagieren Verbraucher schnell auf höhere Energiepreise. Wer plant, sich ein neues Auto zuzulegen, wird es sich bei einem entsprechenden CO2-Preis noch mal gut überlegen.
Wie funktioniert das Modell einer Rückerstattung in der Schweiz?
Die Schweiz erhebt eine Steuer auf Heizöl und Gas im Wärmesektor. Der Preis beträgt aktuell umgerechnet 85 Euro pro Tonne CO2. Ein Liter Heizöl wird dadurch 25 Cent teurer. Zwei Drittel aller Einnahmen werden direkt über die Krankenversicherung zurückerstattet. Am Jahresende bekommen die Bürger einen Bescheid, in dem ihre Versicherungsbeiträge fürs nächste Jahr festgesetzt werden. Darin wird für jeden Schweizer vom Baby bis zum Greis verbrauchsunabhängig der gleiche Betrag verrechnet. Zurzeit sind es rund 70 Euro pro Person. Dadurch erhalten untere Einkommen eine stärke Entlastung, weil sie prozentual mehr fürs Heizen ausgeben als Gutverdiener. Unternehmen werden entlastet, indem sie weniger Sozialversicherung auf die Löhne zahlen.
Ein Drittel der Einnahmen aus der Abgabe fließt in ein Gebäudesanierungsprogramm. Es wurde aufgelegt, weil Vermieter nicht unbedingt ein Interesse an der energetischen Sanierung ihrer Gebäude haben. Schließlich müssen – wie in Deutschland – die Mieter die Heizkosten zahlen. Und die Schweiz ist ein Land mit vergleichsweise wenig Wohneigentum. Mit den Fördermitteln soll ein Anreiz fürs Sanieren geschaffen werden.
Hat die Klimabewegung Gerechtigkeit von Klimamaßnahmen im Blick?
Wer die katastrophalen Folgen eines ungebremsten Klimawandels vor Augen hat, für den stehen die aktuellen sozialen Folgen von Klimaschutz – höhere Strompreise oder Jobverluste – nicht unbedingt an erster Stelle. Die Klimabewegung sieht das Problem aber durchaus. Der sozial gerechte Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise wird seit Jahren unter dem Begriff „Just Transition“ diskutiert. Dahinter steht der Gedanke, dass man mit der Klimapolitik nicht weit kommt, wenn man die Menschen nicht mitnimmt.
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