Klimasünde Fleisch: Wie klimaschädlich ist unsere Ernährung wirklich?
Fleisch ist viel zu billig, sagt der Klimaforscher Johan Rockström. Der Staat solle den Menschen beim umweltfreundlichen Konsum helfen. Ein Interview.
Johan Rockström (53) ist Co-Chef des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der Schwede beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie belastbar unser Planet ist und wie man Ressourcen in Zeiten des Klimawandels schonen kann. Gemeinsam mit 36 Experten aus 16 Ländern hat Rockström dazu die „planetary health diet“ entworfen.
Hinweis: Das folgende Interview ist eine aktualisierte Version des Originaltextes. Rockström hat seine Berechnungen nach dem Interview an zwei Stellen korrigiert. Bei der Berechnung für einen staatlichen Zuschuss zum umweltfreundlichen Konsum stand in einer früheren Version dieses Interviews eine fehlerhafte Angabe. Wir haben diese korrigiert und Johan Rockström hat sie im Nachhinein präzisiert.
Auch Rockströms Aussage „In jedem Steak stecken 70 Liter Erdöl“ stimmte so nicht. Rockström hat nachgerechnet und geht nun von „sechs bis 30 Litern Öl“ aus. Die entsprechende Passage im Interview und die Überschrift dieses Interviews haben wir korrigiert.
Herr Rockström, was haben Sie heute zum Frühstück gegessen?
Müsli mit Joghurt, Obst und dazu eine Tasse Tee. Mein Lieblingsknäckebrot und den Fischaufstrich, den ich in Schweden immer esse, gibt es in Deutschland leider nicht.
Keine Wurst? Das passt zu der Ernährung, die Sie sich für die gesamte Weltbevölkerung wünschen. Sind Sie ein gutes Vorbild?
Nicht ganz. Dafür esse ich zu gern Käse, Joghurt und Butter. Und gelegentlich auch Fleisch. Tierische Proteine sind wertvoll. Es geht aber auch nicht darum, gar keine tierischen Produkte mehr zu essen. Unsere „planetary health diet“, die wir entwickelt haben für einen gesunden Menschen und einen gesunden Planeten, erlaubt Fleisch. Aber in Maßen – die Hauptrolle auf dem Teller spielt etwa das Gemüse. Ein durchschnittlicher Europäer isst zum Beispiel rund 700 Gramm rotes Fleisch pro Woche. Das ist schon sehr viel. Unsere Empfehlung liegt bei 100 Gramm.
Das ist weniger als ein Hamburger.
Es ist eine kleine Portion Rind oder Schwein pro Woche. Aber das ist ja nicht alles. Man kann zum Beispiel zusätzlich noch etwa zwei Portionen Geflügel pro Woche einplanen und zweimal Fisch. Der Fokus des Essens sollte aber ganz klar auf Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten liegen.
Und wenn ich das mache, rette ich die Erde?
Sie retten erst einmal Ihre Gesundheit. Und ja, Sie tun auch unserem Planeten damit etwas Gutes, denn ein großer Teil der Treibhausgas-Emissionen entsteht in der Landwirtschaft und durch unsere Ernährung. Das ist eine Win-win-Situation. Die Frage ist nur, ist das genug? Wir werden im Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf der Welt ernähren müssen. Heute sind es schon 7,6 Milliarden.
Es sei denn, das Wachstum der Weltbevölkerung wird gestoppt.
Wir können die demographische Entwicklung nicht in so kurzer Zeit aufhalten. Natürlich gibt es Maßnahmen, die helfen. Mädchen zur Schule zu schicken, ist zum Beispiel eine davon. Familienplanung, Bildung und eine bessere medizinische Versorgung der Kinder helfen, die Geburtenrate zu senken. Aber 30 Jahre sind eine Generation. Alle Menschen, die Kinder bekommen werden und die Weltbevölkerung wachsen lassen, sind heute schon auf der Welt. Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung steigt. Dass die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen ansteigt, lässt sich nicht mehr verhindern. Die Frage ist eher, ob es im Jahr 2070 schon elf Milliarden werden oder noch mehr.
Wie viele Menschen könnte man ernähren? Wann sind die Ressourcen erschöpft?
Unterstellen wir mal optimale Verhältnisse: Jeder Mensch ernährt sich gesund. Wir schaffen es, Lebensmittel nur noch nachhaltig zu produzieren mit dem perfekten Saatgut, Dünger und der richtigen Schädlingsbekämpfung. Wir wandeln keinen Regenwald mehr in Acker- oder Weideland um, wir säubern die Meere, recyceln alle Nährstoffe, dann reicht das noch immer nicht, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren.
Was kann man sonst noch tun?
Wir haben noch eine einzige Karte in der Hand: Wir müssen die Lebensmittelverschwendung von heute 30 Prozent auf null senken. Damit würden wir es schaffen, das Klima, die Wälder, das Land und das Wasser zu schützen. Wenn wir alles, wirklich alles richtig machen, können wir zehn Milliarden Menschen ernähren, aber mit Mühe. Elf Milliarden schaffen wir vielleicht schon nicht mehr. Es sei denn, es gibt wissenschaftliche Revolutionen in der Biotechnologie oder in der Pflanzenzucht.
Oder jeder wird Veganer.
Ja, dann könnte man wahrscheinlich noch ein paar mehr Menschen ernähren. Aber ich glaube nicht, dass das die Lösung ist. Denn wir brauchen tierischen Dünger für die Felder. Und man würde von heute auf morgen die Existenz von drei Milliarden Menschen vernichten, die von der Tierhaltung leben. Das beträfe vor allem die vielen Kleinbauern, die ohnedies von Armut bedroht sind. Nein, tierisches Protein sollte auf dem Speiseplan bleiben, aber deutlich eingeschränkt.
Vor 30 Jahren gab es in vielen Familien nur einmal in der Woche Fleisch.
Genau, der Sonntagsbraten. Man konnte sich das gar nicht anders leisten. Das war gesünder als unsere Ernährung heute.
Nur noch Bio, ordentlich die Preise rauf – das Gesundheitswesen wird danke sagen und irgendwann kommt es auch in den Köpfen der Menschen an: Sonntagsbraten für alle – ansonsten wie Oma essen – diverse Suppen, Bratkartoffeln, Eierkuchen – und sich dann auf den Sonntagsbraten freuen.
schreibt NutzerIn Deutschertroll
In den reichen Ländern Europas, den USA und Australien ist billiges Essen zu einer Art Grundrecht geworden. Vor 30 Jahren haben die Menschen 30 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens für Essen ausgegeben. Das war die größte Ausgabe. Heute sind es nur noch zehn Prozent, der Löwenanteil geht für das Wohnen drauf. Das ist ein Dilemma: Essen darf in unserer modernen Gesellschaft gar nicht teurer werden, weil die Menschen das Geld für andere Dinge brauchen.
Das Problem gibt es ja nicht nur in den reichen Industrieländern.
Das stimmt. Der arabische Frühling hat begonnen, weil das Brot in Kairo 150 Prozent teurer geworden war. Wenn die Preise für Essen zu stark steigen, drohen Aufstände. Wir sind an dem Punkt angekommen, dass Lebensmittel billig sein müssen. Deshalb haben wir ja auch den wahnwitzigen Anstieg von Fast Food, die Ernährungsindustrie kann billige Kalorien liefern. Keine Frage: Essen ist zu billig. Andernfalls würden wohl auch nicht 30 Prozent der Lebensmittel im Müll landen.
Wie teuer müsste ein Steak sein?
Das ist nicht so leicht zu beziffern. Aber wenn Sie auf das Stück Rind auf Ihrem Teller schauen, stellen Sie sich daneben noch ein Fass mit sechs bis 30 Litern Öl vor, die verbraucht wurden, weil für die Rinderhaltung Regenwälder abgeholzt werden, um Tierfutter wie Soja anzubauen. Hinzu kommen Dünger, der Einsatz von Treckern, Pflügen, Lastern oder Fliegern für den Transport und Plastik für die Verpackung. Auch wenn das Essen verdaut ist, können noch Kosten entstehen, etwa durch die Belastung von Flüssen. Wenn Sie all diese Kosten umlegen würden, wären wir preislich in ganz anderen Dimensionen.
Wie ändern wir das?
Eine nachhaltige Ernährung muss billiger werden, konventionelle Lebensmittel teurer. Heute ist das Gegenteil der Fall. Bio ist Premium beim Preis. Viele Menschen sind auch bereit, für ökologisch produzierte Lebensmittel mehr auszugeben. Aber wer macht das? Akademiker mit ökologischem Gewissen und gutem Einkommen. Auf diesem Weg erreicht man vielleicht maximal 15 Prozent der Bevölkerung. Und was ist mit den übrigen 85 Prozent? Die gehen in den Laden und kaufen die billigeren Tomaten, weil der Preis entscheidet. Deshalb müssten die nachhaltig produzierten Tomaten eigentlich billiger sein als die konventionellen. Und das wäre auch so, wenn endlich die wahren Produktionskosten eingepreist würden. Warum können Lebensmittelhändler nicht zum Beispiel den Biojoghurt um 50 Cent billiger und den Joghurt aus Massentierhaltung entsprechend teurer machen?
Weil sie dann nicht mehr genug verdienen. Müsste nicht eher die Politik für eine Reform sorgen?
Die Regierungen stecken in einem Dilemma. Arbeitslosenquoten von neun oder zehn Prozent kann eine Gesellschaft nur deshalb aushalten, weil das Essen billig ist. Dennoch müssen die Regierungen dieses Problem angehen. Das kann über Steuern gehen, aber auch auf anderen Wegen.
Und wie wollen Sie verhindern, dass die Leute auf die Barrikaden gehen?
Wenn man die ökologischen Kosten auf die Lebensmittel umrechnen würde, etwa durch ein Einbeziehen der Landwirtschaft in den Emissionshandel und eine ehrliche CO2-Bepreisung, wären Lebensmittel natürlich teurer. Auf Haushalte würden also höhere Kosten zukommen, und dafür müssen Lösungen gefunden werden. Ein Weg könnte sein, dass die Regierung den Menschen die Mehrkosten erstattet und etwa eine Art Dividende für eine ökologische Ernährung zurückzahlt. Das würde den Menschen helfen, sich gut und günstig zu ernähren und Akzeptanz für eine ökologische Reform schaffen. Man kann sich das als Gedankenexperiment so vorstellen: Wenn in einem durchschnittlichen Haushalt ganz grob 300 Euro pro Monat für Lebensmittel ausgegeben werden, und wenn die durch eine umweltgerechtere Bepreisung vielleicht ein Zehntel teurer würden, dann wären das zum Beispiel schon gut 30 Euro. Je nachdem, was man da einbezieht, könnte es aber auch deutlich mehr sein.
Sollte das Geld jeder bekommen oder nur Transferempfänger?
Jeder, aber vielleicht mit einer Deckelung für Topverdiener. Einkommensschwache Haushalte würden von so einer Steuerreform am meisten profitieren. Eine solche Dividende wäre für Geringverdiener mehr wert als für Gutverdiener. Und das zu Recht. Geringverdiener schädigen die Umwelt am wenigsten. Sie fahren zum Beispiel keine großen SUVs, sondern nehmen den Bus.
Haben Sie mit der deutschen Regierung über Ihre Vorschläge gesprochen?
Nein, aber ich hoffe, das bald tun zu können. Wir hatten Gespräche in Brüssel auf EU-Ebene, aber bislang eher prinzipieller Art.
Nach dem wissenschaftlichen Rat nun noch ein praktischer Tipp. Sie sind Co-Autor des Kochbuchs „Eat Good“. Was ist Ihr Lieblingsrezept?
Selbst gemachtes Bananeneis. Damit kann man wunderbar überreife Bananen verwerten: Die Bananen in dünne Scheiben schneiden, einfrieren, dann die Stückchen in den Standmixer geben. Am Ende haben Sie ein großartiges Bananeneis. Ohne Sahne, ohne Zucker, nur aus Bananen.
Mehr zur Welternährung erfahren Sie am Dienstag, 7. Mai, auf der „World Food Convention“, die der Tagesspiegel in den Bolle-Sälen veranstaltet. Dort sprechen unter anderem Entwicklungshilfeminister Gerd Müller und Agrarministerin Julia Klöckner. Die Veranstaltung beginnt um 10 Uhr, die Teilnahme ist kostenlos. Karten: www.worldfoodconvention.com/register.