Konflikt mit der Türkei: Der Präsident zielt jetzt auf Merkel
Erdogan nimmt erstmals auch direkt Bundeskanzlerin Merkel aufs Korn. Eine Erklärung der EU zur aktuellen Krise nennt die türkische Regierung "wertlos".
Das türkische Außenministerium hat der Europäischen Union vorgeworfen, demokratische Werte und Grundrechte nur selektiv auszuüben. Es sei besorgniserregend, dass die EU die Niederlanden unterstütze, obwohl diese die Menschenrechte und europäischen Werte verletzt habe, teilte das Außenministerium am Dienstag mit. Der Aufruf der EU-Kommission zur Mäßigung sei für die Regierung in Ankara "wertlos". Hintergrund für den Streit sind Absagen für Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in den Niederlanden. Die Türkei kündigte deshalb Sanktionen an. Der Konflikt hat die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU auf einen neuen Tiefpunkt sinken lassen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zielt mit seiner Kritik derweil direkt auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen“, sagte Erdogan am Montagabend mit Blick auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in einem Interview des türkischen Senders A Haber. Deutschland gehe nicht gegen die PKK vor, obwohl sie diese zur Terrororganisation erklärt habe. Zudem „verstecke“ Deutschland Mitglieder von „Terrororganisationen“. In Berlin bezeichnete Regierungssprecher Steffen Seibert Erdogans Vorwurf als „erkennbar abwegig“.
Die Bundesregierung hat das seit 1993 geltende Verbot der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu Monatsbeginn ausgeweitet und war damit auf die türkische Regierung zugegangen. Künftig darf neben anderen Parteisymbolen auch das Porträt des seit 1999 inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit interpretierte diesen Schritt als Beleg für eine trotz der jüngsten Spannungen immer noch enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Ankara. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir fand den Zeitpunkt der deutschen Verbotsverschärfung verdächtig.
Landeerlaubnis entzogen
Auch gegenüber den Niederlanden legte Erdogan nach. Er verglich den Umgang der Niederländer mit türkischen Ministern und Diplomaten erneut mit „Faschismus“. „Das kann man Nationalsozialismus, Neo-Nationalsozialismus nennen“, sagte er am Abend. Zudem sei am Wochenende Gewalt gegen Demonstranten angewendet und es seien „Köter“ auf diese losgelassen worden. Dass Merkel ihre Solidarität mit den Niederlanden bekundet habe, bedeute, sie denke genauso.
Die türkische Regierung entzog niederländischen Diplomaten am Abend die Landeerlaubnis. Der Luftraum für Maschinen mit Diplomaten aus dem Land sei ab sofort gesperrt, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Gespräche auf höherer Ebene würden zudem ausgesetzt. Der niederländische Botschafter, der sich zurzeit im Ausland aufhalte, dürfe vorerst nicht in die Türkei zurückkehren.
Den vor zwei Wochen verhafteten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel bezeichnete Erdogan erneut als „Agenten und Terroristen“. Merkel habe sich für den „sogenannten Journalisten“ eingesetzt. Ein Gericht müsse jedoch über den Fall Yücel entscheiden, sagte Erdogan. Er warf Merkel vor, auf die Unabhängigkeit der Justiz zu verweisen, wenn es um Fälle in Deutschland gehe, selbst jedoch keinen Respekt vor der Justiz in der Türkei zu haben. Yücel wird Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen.
Kritik aus Österreich
Am 16. April sollen die Türken über eine Verfassungsreform abstimmen. Sie würde die Machtbefugnisse von Staatspräsident Erdogan massiv ausweiten. In Deutschland leben gut 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken - die größte Gruppe in der EU.
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) kündigte unterdessen an, dass sein Land mögliche Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im Land nicht hinnehmen wolle. Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen von Rotterdam sei klar, dass Österreich versuchen müsse, solche Auftritte zu unterbinden, sagte Kern am Montagabend in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“. Europa dürfe nicht naiv sein. „Worum es hier geht, ist nicht mehr nur eine Frage der Versammlungsfreiheit, sondern es ist eine Auseinandersetzung des politischen Islams mit den europäischen Werten.“ Werbeauftritte für das demokratieschädliche türkische Verfassungsreferendum seien eine „Pervertierung der Versammlungsfreiheit“, so Kern. In Österreich leben rund 120 000 Türken.
Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Ska Keller, hat vorgeschlagen, den wirtschaftlichen Druck auf die Türkei zu erhöhen. In Anbetracht der dortigen politischen Lage und dem eskalierenden Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker sei es an der Zeit, dass alle EU-Mitgliedsstaaten sich auf einen gemeinsam Umgang mit der Türkei einigten, sagte Keller den „Ruhr Nachrichten“. „Die Verhandlungen über die Ausweitung der Zollunion bieten die Möglichkeit, Einfluss auf die Türkei zu nehmen. Erdogan hat großes Interesse am Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und dem Wegfall von Handelsschranken.“
(dpa)
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