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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© dpa/Kay Nietfeld

Kann Scholz Putin stoppen?: Der Kanzler hat Moskau wenig zu bieten – aber eine Option gibt es

Um eine russische Invasion in der Ukraine zu verhindern, könnte Scholz ein NATO-Moratorium unterstützen. Die Krise liefert unbequeme Wahrheiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Glaubt man der CIA, dann beginnt Mittwoch der Krieg Russlands gegen die Ukraine - einen Tag nachdem Olaf Scholz zu Wladimir Putin nach Moskau gereist ist. Das zeigt die Fallhöhe dieses Moskau-Besuchs des Kanzlers.

Putin hat die Ukraine von Norden, Osten und Süden eingekreist und genug Soldaten verlegt, um eine große Invasion zu starten. Zudem könnte er Belarus, wo Zehntausende russischer Soldaten stehen, zum Satellitenstaat erklären. Erinnert sei an Putins Aufsatz vom vergangenen Jahr (hier auf englisch), in dem er Russen, Ukrainer und Belarussen als „ein Volk“ bezeichnete, das aber vom Westen auseinanderdividiert werde. Er schrieb von einer dreieinigen Nation: Russland, Belarus und Ukraine.

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Die Wiederauferstehung Russlands als Großmacht, weniger wirtschaftlich und technologisch als militärisch und von der Ausdehnung her, scheint er als seine Mission zu sehen. Putin nützt die Angst des Westens, theoretisch könnte er auch wochenlang seine Truppen an der Grenze stehen lassen, Manöver veranstalten, mit dem Westen spielen.

Geht es Putin um die Nato-Begrenzung oder um seine Großmacht-Vision?

Die Erdgas- und Ölpreise sind enorm hoch, das spült frisches Geld in die Staatskassen. Man muss schon die Frage stellen, worauf genau die US-Dienste ihre konkreten Warnungen stützen, die die meisten westlichen Staaten veranlasst haben, ihre Bürger zum Verlassen der Ukraine aufzurufen.

Von vielen schlechten Lösungen wäre es die beste, Putin entgegenzukommen, sofern seine Forderungen nicht ein Vorwand sind und seine Vision die wahre Mission. Zumindest um jetzt erstmal Zeit zu gewinnen.

Das Fenster für Verhandlungslösungen scheint sich bald zu schließen. Scholz muss ein Angebot machen, das sollte im Kreis der Nato-Staaten intensiver als bisher diskutiert werden. Es braucht zügig einen „Gamechanger“.

Der Kanzler lehnt es bisher ab, auch mit Blick auf den grünen Koalitionspartner: Doch dem Westen könnte ausgerechnet ein Vorschlag helfen, den auch Putin-Kumpel Gerhard Schröder als Ausweg ansieht: ein NATO-Beitrittsmoratorium, auch für die Ukraine, dazu Verhandlungen über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa. So braucht es auch verbindliche Sicherheitsgarantien für die baltischen Staaten und Polen, aber auch Finnland – und Regeln zur Stationierung von Raketensystemen und Atombomben.

Es gibt unangenehme Wahrheiten, die Scholz nicht ausspricht. Sanktionen, ja - aber niemand wird im Notfall der Ukraine militärisch helfen, die westlichen Staaten haben nach dem afghanischen Debakel ihr Botschaftspersonal bereits weitgehend abgezogen. Putin ist ein kühl kalkulierender Stratege, das zeigte die Einverleibung der Krim. Aber wenn der Westen schon ihm wieder nichts entgegensetzen kann, was wird dann Putins Genosse, Chinas Präsident Xi Jinping, mit Taiwan machen?

Die deutsche Debatte dreht sich um die falschen Dinge

Die deutsche Ukraine-Debatte ist oft erratisch, wochenlang geht es um Waffenlieferungen und Nord Stream 2. Es ist schlicht egal, ob Deutschland Waffen liefert, weil Haubitzen oder anderes Gerät die dramatische militärische Unterlegenheit der Ukraine nicht vermindern. Und Nord Stream 2 wird nicht kommen, wenn Putins Panzer über die Grenzen rollen. Scholz, zur Sturheit neigend, hat das intern deutlich gemacht, sich mit US-Präsident Joe Biden hierüber abgestimmt.

Warum er es öffentlich nicht sagt, ist sein Geheimnis. Das Kanzleramt ist kommunikativ bisher nicht trittfest, Scholz‘ Botschaften werden im Ausland nicht immer verstanden. Und fast niemand im Kanzleramt hat einen Draht in den Kreml - und zu Gerhard Schröder geht die SPD scharf auf Distanz. Die möglichen Konsequenzen aus der Krise und der Schwäche des Westens bleiben in der deutschen Debatte unterbelichtet.

Da war der Draht besser: Gerhard Schröder und der russische Präsident Putin
Da war der Draht besser: Gerhard Schröder und der russische Präsident Putin
© AFP

Zu den unangenehmen Wahrheiten gehört auch, dass Scholz schnell in eine Situation wie Helmut Schmidt mit der NATO-Doppelbeschlussdebatte kommen kann. Ein russischer Einmarsch kann eine Aufrüstungsspirale in Gang setzen, und Deutschland ist bisher nur bedingt abwehrbereit. Ist man auch dafür bereit, notfalls die Schuldenbremse weiter auszusetzen?

Das Setzen auf das Normandie-Format (Russland, Ukraine, Frankreich, Deutschland) und Umsetzungsversuche des Minsker Abkommens sind in einer Sackgasse angelangt.

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Die Krise schweißt aber auch zusammen

Gut ist hingegen, dass diese Krise die EU eint – mit Ausnahme des ausscherenden Viktor Orbán, den Putin in Moskau hofierte. So gab es seit elf Jahren wieder das erste Treffen des Weimarer Dreiecks (Polen, Frankreich, Deutschland) auf Chefebene, gerade Polen wird mehr eingebunden. Und Scholz hat ferner die Staats- und Regierungschefs der baltischen Staaten empfangen.

Auf schwieriger Mission: Was kann Kanzler Olaf - hier beim USA-Besuch - Wladimir Putin bieten?
Auf schwieriger Mission: Was kann Kanzler Olaf - hier beim USA-Besuch - Wladimir Putin bieten?
© Alex Brandon/AP/dpa

Der Kanzler wird oft unterschätzt, er hat, wie sein Chefberater Jens Plötner, zuletzt viel abseits der Öffentlichkeit gearbeitet, telefoniert. Er mag es nicht, sich an Spekulationen, Einzeldrohungen und Wasserstandsmeldungen zu beteiligen, sondern will am Ende ein Ergebnis vorstellen. Das sollte nicht Krieg lauten. Ihn beschäftigt, dass einige, auch in den USA, ein Interesse daran zu haben scheinen, dass es schiefgeht.

Scholz hat schon schwierige Situationen zu Lösungen geführt, aber das ist eine andere Liga – der Ausgang kann, keine 100 Tage im Amt, über seine ganze Kanzlerschaft entscheiden.

Das große Dilemma formulierten SPD-Außenpolitiker nach der Krim-Besetzung 2014 im Gespräch mit Egon Bahr: „Du hattest Glück, Egon, deine Partner in Moskau waren berechenbar und verlässlich. Unsere heute sind keins von beiden.“ Dies ist seither sicher nicht besser geworden.

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