Wie weiter im Ukraine-Konflikt?: Jetzt ist Putin wieder am Zug
Russlands Führung will die Antwort der USA auf ihre Forderungen prüfen. Erst dann soll der Präsident über die weiteren Schritte entscheiden.
Der US-Botschafter in Russland überbrachte die Nachricht persönlich. John Sullivan gab die Antwort der USA auf russische Sicherheitsforderungen am Mittwochabend im russischen Außenministerium ab.
Moskau hatte zuvor um eine schriftliche Antwort gebeten. Die Regierung in Washington ließ sich zusichern, dass ihr Brief nicht veröffentlicht werden würde. Tatsächlich blieb der Inhalt des Papiers zunächst vertraulich, die Amerikaner stimmten es aber sowohl mit ihren europäischen Partnern als auch mit der Ukraine ab. Was die USA im Einzelnen angeboten haben, kann man nur aus den mageren öffentlichen Äußerungen schlussfolgern.
Die US-Antwort biete eine Grundlage für „den Beginn ernsthafter Gespräche, aber nur zu zweitrangigen Themen“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. „In der wichtigsten Frage gibt es in diesem Dokument keine positive Reaktion.“
Als wichtigstes Thema nannte Lawrow eine fortgesetzte Nato-Osterweiterung und die Stationierung von Waffen, „die das Territorium der Russischen Föderation bedrohen können“. Russland selbst hat in der Nähe der Grenze zur Ukraine mehr als 100.000 Soldaten zusammengezogen.
Beide Seiten bestätigten, dass die USA und ihre europäischen Nato-Verbündeten abgelehnt haben, was der russische Präsident Wladimir Putin verlangt: eine grundsätzliche Absage an einen Nato-Beitritt der Ukraine, generell keine Neuaufnahmen in die Allianz ohne Russlands Zustimmung, Abzug aller Nato-Einrichtungen östlich von Deutschland, Rückabwicklung der Neuaufnahmen nach dem Kalten Krieg und eine Anerkennung des ehemaligen sowjetischen Raums als Einflusssphäre Russlands.
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Die USA haben Gespräche über Abrüstung, die Begrenzung militärischer Präsenz und andere Sicherheitsgarantien vorgeschlagen. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte allerdings, Verhandlungen über einen neuen Vertrag zur Begrenzung von Kurz- und Mittelstreckenraketen, wie er über Jahrzehnte in Kraft war, hätten für Moskau wenig Wert, wenn sie nicht mit grundlegenden Veränderungen der Nato-Präsenz in Europa verbunden seien.
In Washington geht man allerdings US-Medienberichten zufolge davon aus, dass die Tür zu weiteren Verhandlungsrunden offen bleibt. Auch Lawrows Hinweis auf die Möglichkeit „ernsthafter Gespräche“ zeigt, dass die russische Seite eine Fortsetzung des Dialogs zumindest für möglich hält.
Der Außenminister sagte, die Antwort der Amerikaner sowie die Antwort der Nato würden zunächst eingehend studiert, die Ergebnisse würden dann Präsident Putin vorgestellt. „Er wird eine Entscheidung über unsere weiteren Schritte treffen.“
Ukraine-Treffen in Berlin im Februar
Eine Fortsetzung des Dialogs soll es auch im so genannten Normandie-Format geben. Die außenpolitischen Berater der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs, vereinbarten am Mittwochabend, sich in zwei Wochen in Berlin wiederzutreffen. Die Gespräche über eine Friedenslösung für die Ostukraine gingen nach achteinhalb Stunden zwar ohne konkrete Fortschritte zu Ende, doch ein Durchbruch war nach Jahren des Stillstands auch nicht erwartet worden.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Donnerstag über die Gespräche: „Ob dabei etwas herauskommt, wissen wir nicht.“ Gemeinsam mit Frankreich vermittelt Deutschland zwischen der Ukraine und Russland, um einen dauerhaften Frieden im Donbass zu erreichen.
„Wir wollen jederzeit Dialog“, sagte Baerbock am Donnerstag außerdem. „Wer redet, schießt nicht“, hob sie hervor. Es gehe aber auch um „Härte, die unmissverständlich deutlich macht: Die Grundpfeiler der europäischen Friedensordnung sind nicht verhandelbar“, sagte die Ministerin. Deutschland und seine Verbündeten hätten „klipp und klar deutlich gemacht, dass ein erneutes militärisches Vorgehen gegen die Ukraine massive Konsequenzen für Russland hätte“.
Ähnlich äußerte sich am Donnerstag auch die US-Regierung. „Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren (...), wird Nord Stream 2 nicht weitergeführt“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, am Donnerstag im Gespräch mit dem Sender CNN.
Bemerkenswert ist, dass sich in Paris am Mittwoch alle Beteiligten auf eine gemeinsame Erklärung verständigten. Die vier Berater bekräftigten, dass die Minsker Vereinbarungen die Grundlage für den Friedensprozess darstellten, und verpflichteten sich, „die gegenwärtigen Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Weg abzubauen“. Hinter diesem diplomatischen Satz versteckt sich ein Dissens zwischen Moskau und Kiew, an dem bisher weitere Schritte im Friedensprozess scheiterten.
Sowohl die Vermittler Deutschland und Frankreich als auch die Ukraine wollen so bald wie möglich einen neuen Gipfel der vier Staats- und Regierungschefs einberufen. Das letzte Treffen fand im Dezember 2019 in Paris statt.
Russland lehnt allerdings einen Gipfel ohne Vorbedingungen ab und verlangt von der Ukraine, zunächst ihre Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen zu erfüllen. Aus Sicht Kiews müssten zuvor aber die russischen Kämpfer und Waffen aus dem Donbass abgezogen werden. Russland bestreitet jedoch, selbst Konfliktpartei zu sein. Zudem gilt es als ein Konstruktionsfehler der Minsker Vereinbarungen, dass darin keine zeitliche Abfolge der einzelnen Schritte vorgesehen ist.
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Es kann zwar als kleines positives Zeichen gewertet werden, dass die Gespräche schon in zwei Wochen weitergehen sollen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einer „guten Nachricht“. Andererseits treffen sich auch beim nächsten Mal noch nicht die Außenminister, sondern wieder nur die Berater. Das deutet darauf hin, dass nicht mit greifbaren Fortschritten gerechnet wird.
Die Europäische Union bleibt derweil in den diplomatischen Bemühungen um eine Entschärfung der Spannungen weiter außen vor. Lawrow betonte, es gebe in den laufenden Gesprächen derzeit keinen Platz für die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Kreml setzt weiter auf direkte Verhandlungen mit den USA.
Die Ukraine zeigte sich zufrieden mit der amerikanischen Reaktion auf die russischen Forderungen. Die Bitte der US-Regierung um Vertraulichkeit hatte in der Ukraine die Befürchtung geweckt, die Amerikaner könnten in ihrem Schreiben vielleicht doch Zugeständnisse gemacht haben, die zu Lasten der Ukraine gehen.
Um solche Befürchtungen auszuräumen, legten die USA das Schreiben der ukrainischen Regierung vor, bevor es der Botschafter in Moskau übergab. Die Ukraine habe „keine Einwände“ gehabt, schrieb Außenminister Kuleba am Donnerstag auf Twitter.