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Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen)
© Paul Zinken/picture alliance/dpa

Justizsenator will Forschung ohne Tierversuche: Der Grünen-Politiker setzt die Zukunft Berlins aufs Spiel

Unter Senator Dirk Behrendt steuert Berlin darauf zu, die Forschung mit Tierversuchen zu verhindern. Warum lässt ihn der Regierende gewähren? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es wirkt grotesk, wie der Berliner Senat sich immer wieder selbst ein Bein stellt. Die Stadt hat eine Zukunftsstrategie. Sie will zu einem Zentrum der Biomedizin werden - mit einer Spitzenstellung in der Welt, so wie Berlin sie vor hundert Jahren hatte.

Dafür braucht die Stadt ein Zusammenspiel von Spitzenforschung, Spitzenmedizinern in Spitzenkliniken, Start-ups und biotechnischen Konzernen, die gemeinsam neue Ideen entwickeln, in die Realität umsetzen und neue Arzneimittel und andere Produkte mit ökonomischem Gewinn in den Alltag bringen. Berlin will schließlich von irgendetwas leben. Und dazu gut leben.

Aber Berlin hat auch Parteien, die Klientelinteressen gelegentlich über das Gemeinschaftsinteresse und die Zukunft der Stadt stellen.

Eine besonders beliebte Gelegenheit für solche Sonderwege bietet der heraufziehende Wahlkampf. Der grüne Senator für Justiz und Verbraucherschutz, Dirk Behrendt, treibt seit Tagen die Forderung nach mehr Tierschutz. Er hat die Veterinärmedizinerin Kathrin Herrmann zur Tierschutzbeauftragten des Landes ernannt. Deren erklärtes Ziel ist es, Forschung mit Tierversuchen unmöglich zu machen.

Biomedizinische Forschung in Berlin geht nicht ohne Tierversuche

Wie, bitte, passt das zur Zukunftsstrategie der Stadt? Tierschutz ist selbstverständlich richtig und wichtig. Und der Druck, zu überlegen, welche Experimente mit Tieren eventuell vermieden werden können, ist ein berechtigtes Anliegen. Aber die Reduzierung auf Null in aller Schnelle ist kein realistisches Ziel.

Kann die biomedizinische Forschung hier und heute auf Tierversuche verzichten? Nein, sagen Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Charité-Dekan Axel Pries, Thomas Sommer vom Vorstand des Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin (MDC) und Günter Ziegler, Chef der Freien Universität (FU).

[Mehr zum Thema: Biomedizin-Boom in der Hauptstadt - Berlin soll zur „Zellklinik“ werden]

Und: Hat Berlin eine Zukunft, wenn es sich selbst den Weg zu einem globalen Zentrum der Biomedizin verbaut? Sehr viele Alternativen, was potenzielle Quellen der Prosperität betrifft, hat die Stadt nicht.

Der Corona-Impfstoff wurde mit Tierversuchen entwickelt

Auch für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe und für ihre Zulassung waren Tierversuche unumgänglich. Das berechtigte Ziel des Tierschutzes muss gegen andere Werte abgewogen werden, darunter der Schutz menschlicher Leben.

Ist Senator Behrendt dazu willens? Er ist auch Herr über die Tierversuchskommission. Ohne deren Stellungnahme können Tierversuche zu Forschungszwecken nicht beginnen. Und mit der nötigen Empfehlung hapert es seit Monaten. Auch darüber haben sich die Forscher in einem Brandbrief beschwert.

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Doch Behrendt möchte die Kommission nun mehrheitlich mit Tierschützern besetzen. Forscher sollen dort eine Minderheit sein. Menschen, die die Wirtschaftsinteressen der Stadt und ihrer Bewohner vertreten, sind gar nicht vorgesehen.

Pharmafirmen drohen mit Abzug

Nun kündigen Pharmafirmen wie Bayer, Pfizer und Sanofi den Abzug ihrer Forschung aus Berlin an für den Fall, dass Tierversuche drastisch eingeschränkt oder völlig verhindert werden. Klar doch, in ideologisch gefestigten Kreisen wird man das als unverschämte Drohung böser Konzerne einordnen.

Die Realität aber ist, dass andere Bundesländer und andere Staaten sie mit offenen Armen empfangen werden, falls diese Firmen den Umzug ihrer Forschungsabteilungen beschließen, weil der Senat ihnen die Arbeit hier mutwillig erschwert.

Die Entwicklung ist ein Debakel für die Berliner Standortpolitik. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach haben zwar erkannt, dass Biomedizin ein Herzstück der Zukunft Berlins ist. Aber es fehlte Müller an der Entschlossenheit und Härte, die nötig wäre, um solche Debakel zu verhindern.

Wenn ein Koalitionspartner in derart provozierender Weise die Zukunft der Stadt unterminiert, muss man nicht nur miteinander reden. Dann stellt sich die prinzipielle Frage, ob diese Koalition auch nur einen Tag weitermachen kann.

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