„Besorgniserregende Aussagen“ zu Tierversuchen: Pharmaforscher erhöhen Druck auf Berlins Justizsenator Behrendt
Wer Tierversuche weiter einschränke, gefährde die Forschung in Berlin, schreiben Pfizer und Bayer. Senator Behrendt weist im Abgeordnetenhaus Kritik zurück.
Wenn am Donnerstag die Berliner Abgeordneten im Plenum den Senat befragen dürfen, wird es wohl insbesondere ein Regierungsmitglied treffen – der Druck auf Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) wächst, nachdem am Mittwoch ein zweiter Brandbrief das Rote Rathaus erreichte.
Wieder geht es um den Blick des Senators auf Tierversuche in der Medizinforschung. Erst kürzlich verschickten die Spitzen von Robert-Koch-Institut (RKI) und Charité ein mahnendes Schreiben an Senatschef Michael Müller (SPD).
Nun schreiben Vorstände aus der Pharmabranche, dass Berlins Forschung gefährdet sei: Die von Behrendt ernannte Tierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann hatte zum Monatsanfang gesagt, Berlin solle „Hauptstadt der tierfreien Forschungsmethoden“ werden.
„Sollte beabsichtigt sein, Tierversuche im Land Berlin zu unterbinden, wird dies zur Folge haben, dass Studien für neue Medikamente, wie zum Beispiel Therapien zur Behandlung von Covid betroffenen Patienten, mit sofortiger Wirkung gestoppt werden müssten“, schreiben Stefan Oelrich, der Pharma-Chef des Bayer-Konzerns, Peter Albiez vom Pfizer-Vorstand, Hans Lindner vom Forschungsdienstleister Nuvisan und Fabrizio Guidi von der Sanofi-Geschäftsführung. Der Brief ging auch bei Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ein und liegt dem Tagesspiegel vor.
Bayer und Pfizer: Tierversuche sind zwingend erforderlich
Die vier Pharma-Chefs schreiben, allein die Ankündigung sei wegen des „sehr hohen Tierschutzstandards in Deutschland sowie der gegenwärtigen regulatorischen Rahmenbedingungen für die Arzneimittelforschung sehr besorgniserregend, da für die Arzneimittelzulassung Tierversuche zwingend erforderlich“ seien. Eine „Verlagerung der entsprechenden Infrastruktur aus Berlin weg“ könnte die Folge sein.
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Behrendt wies den Vorwurf zurück, er blockiere Forschungsvorhaben. Im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses sagte der Senator am Mittwoch, die Koalition habe vereinbart, Tierversuche auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren. Er habe also zwei Aspekte berücksichtigen müssen: Einerseits mehr Tierschützer in die zuständige Kommission einzubinden und zugleich dafür zu sorgen, dass das Gremium so schnell wie möglich arbeiten könne, um die Anliegen der Forscher voranzubringen.
Der Justiz- und Verbraucherschutzsenator ist für jene Tierversuchskommission zuständig, die vor entsprechenden Experimenten angehört wird. Bislang wird das Gremium von Forschern dominiert, Behrendt möchte dort mehr Tierschützer platzieren. Nach Tagesspiegel-Informationen warten seit Wochen 20 Forschungsanträge auf Genehmigung, darunter auch ein Covid-19-Experiment. RKI-Präsident Lothar Wieler zufolge drohe „eine gravierende Benachteiligung“ des Forschungsstandorts.
Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) hatte Behrendt am Montag öffentlich angegriffen. „Natürlich wünschen wir uns alle so wenige Tierversuche wie möglich.“ Aber Wissenschaft sei keine Spielwiese für „Wunschdenken“. Es gehe auch nicht um Hautcreme, sondern um Krebs und Corona, sagte Krach: „Da helfen Globuli nicht weiter.“
Prompt brach Koalitionsstreit aus. Behrendt beschwerte sich bei Müller: Der Regierungschef möge Staatssekretäre davon abhalten, Senatoren derart anzugehen, war aus Koalitionskreisen zu hören. Doch Krach legte am Mittwoch nach, mokierte sich via Twitter über Behrendt: Es sei offenbar „Majestätsbeleidigung“, wenn Staatssekretäre „beim Justizsenator in höherer Stellung Missfallen finden“.
Ex-Senator Czaja: Müller sollte selbst über Tierversuche entscheiden
Auch in der Opposition wird der Grüne kritisiert. So sagte Ex-Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU): „Gerade in der Coronakrise kann es sich Berlin als Medizinmetropole nicht leisten, solche Fragen einem Senator zu überlassen, der den Wert der Forschung in dieser Stadt nicht erkennt. Der Regierende Bürgermeister sollte Dirk Behrendt deshalb die Verantwortung für die Tierversuchskommissionen entziehen – und als Wissenschaftssenator selbst darüber entscheiden.“ Tatsächlich könnte Müller seine Richtlinienkompetenz geltend machen.
Tausende Beschäftigte arbeiten für die genannten Pharmafirmen in Berlin. Deren Vorstände appellieren an den Senatschef: „Wir bitten Sie daher, sich im Rahmen der Gespräche innerhalb der Landesregierung dafür einzusetzen, diesen Kurs, der sich bereits in der verzögerten Bearbeitung von Tierversuchsanzeigen sowie der schleppenden Besetzung der Tierversuchskommission zeigt, zu korrigieren.“
Grünen-Politiker Behrendt möchte die Zahl der Begutachter erhöhen, auch wegen der vielen Forschungsvorhaben. Es soll nun zwei Kommissionen geben, in denen mehr Tierschützer vertreten sind. Bislang setzte sich die Kommission aus einem Ethiker, zwei Vertretern von Tierschutzverbänden und vier Forschern zusammen. Wie berichtet soll den neuen Kommissionen je ein Ethiker, ein Biostatistiker, zwei Wissenschaftler und vier Tierschützer angehören. Am 26. November soll eines der Gremien starten.