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Hilfe gegen den Hunger. Millionen Jemeniten sind auf die Verteilung von Lebensmitteln angewiesen.
© Yahya Arhab/dpa

Krieg und Not: Der geschundene Jemen

Seit zwei Jahren führt Saudi-Arabien einen Krieg gegen schiitische Aufständische im Nachbarland. Millionen Menschen leben in Angst und Armut.

Die Euphorie war groß, der Übermut noch größer. Nur ein paar Wochen würde es dauern, dann seien die Aufständischen im Jemen bezwungen, tönte es in Riad siegessicher. Eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz werde im Nachbarstaat rasch Chaos und Anarchie beenden und den vertriebenen Regierungschef wieder in sein Amt einsetzen. Überschwänglich verabschiedeten denn auch Vertreter des Königshauses Soldaten und Kampfpiloten in den Kampf. Der Einsatz bekam noch einen zur Stimmung passenden Namen: „Sturm der Entschlossenheit“.

Seither sind fast genau zwei Jahre vergangen. Im März 2015 hatte die Intervention begonnen, die einige Beobachter heute mit drei Worten beschreiben: das saudische Desaster. Denn der sunnitischen Monarchie ist es trotz massiven Einsatzes von Waffen und Söldnern bisher nicht gelungen, die schiitischen Rebellen zurückzudrängen, geschweige denn entscheidend zu schlagen.

Ein schneller Sieg? Wunschdenken

Vielmehr kontrollieren die Huthis nach wie vor weite Teile des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa. Inzwischen hat die saudische Führung der Operation zwar den Namen „Wiederherstellung der Hoffnung“ gegeben. Doch davon ist der südliche Nachbar des Königreichs weit entfernt. Waffenruhen werden ständig gebrochen, Friedensverhandlungen scheitern regelmäßig, tagtäglich sterben Menschen durch Luftschläge des saudischen Militärbündnisses. Der von den Verantwortlichen in Riad erhoffte schnelle Sieg erweist sich als Wunschdenken. Im Jemen herrschen vielmehr Tod, Not und Verzweiflung. Terrormilizen wie Al Qaida und der „Islamische Staat“ profitieren von der Situation. Die Dschihadisten sind auf dem Vormarsch und verüben immer wieder Anschläge.

Wo Hilfe gebraucht wird
Wo Hilfe gebraucht wird
© Bartel

Der Konflikt im Jemen ist ein alter. Die Huthi aus dem Norden des arabischen Landes kämpfen seit vielen Jahren gegen die von Saudi-Arabien protegierte Zentralregierung. Sie gehören der schiitischen Minderheit der Zaiditen an und fühlen sich von der sunnitischen Mehrheit gezielt benachteiligt. Vor drei Jahren eskalierte der Streit schließlich. Huthi-Milizen verbündeten sich mit dem gestürzten jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, eroberten große Teile des Jemen und zwangen im Februar 2015 den gewählten Staatschef Abed Rabbo Hadi ins saudische Exil zu gehen.

Vizekronprinz als Feldherr

Wenige Wochen später begann das Herrscherhaus in Riad mit seiner Jemen-Offensive. An deren Spitze steht kein Geringerer als Vizekronprinz Mohammed bin Salman. Vor gut einem Jahr attestierte der Bundesnachrichtendienst dem 31-Jährigen übertriebenen Ehrgeiz, weil der Königssohn sich als „Anführer der arabischen Welt profilieren“ wolle. Dazu gehöre, dass Saudi-Arabien offenbar seine außenpolitische Agenda mit einer „starken militärischen Komponente“ erweitern wolle.

Im Jemen scheint genau dies zum Tragen zu kommen. Der dortige Konflikt ist nicht zuletzt ein Ringen um Macht in der Region. Und der Gegner der Saudis heißt Iran. Seit Langem beobachten die Herrscher in Riad mit großem Argwohn, wie die schiitischen Machthaber in Teheran als Erzfeinde versuchen, den Einfluss der Islamischen Republik auszuweiten. Das gilt für Syrien, den Irak, den Libanon und ebenfalls für den Jemen.

Starke Kraft. Die aufständischen Huthis kontrollieren nach wie vor große Teile des Jemen.
Starke Kraft. Die aufständischen Huthis kontrollieren nach wie vor große Teile des Jemen.
© Khaled Abdullah/Reuters

Denn die aufständischen Huthis – auf ihren Fahnen steht: Allah ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Verflucht seien die Juden – können auf den Iran zählen. Zwar ist unklar, wie weit die Unterstützung reicht. Doch dass es sie gibt, daran besteht wenig Zweifel. Nach Lesart der Saudis beweist dies das Expansionsstreben des Rivalen. Grund genug für die Golfmonarchie, am sehr kostspieligen und wenig erfolgreichen Krieg festzuhalten.

Die Leidtragenden dieses geopolitischen und religiösen Machtkampfes sind die Jemeniten. Deren Lage ist nach zwei Jahren Krieg verheerend. Täglich gibt es Luftangriffe und Artilleriefeuer. Scharfschützen schießen aus dem Hinterhalt auf Zivilisten. Es kann immer passieren, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort ist – mit tödlichen Folgen. Keine der Kriegsparteien hält sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts.

Armenhaus der arabischen Welt

Nach UN-Schätzungen sind bereits 10.000 Menschen ums Leben gekommen. Hunderttausende haben kein Zuhause mehr. 70 Prozent der 27 Millionen Einwohner gelten als bedürftig, mehr als zehn Millionen brauchen Überlebenshilfe. Im Armenhaus der arabischen Welt hungern drei Millionen. Zwei Millionen Kinder sind mangelernährt, zum Teil lebensbedrohlich.

Und es ist sehr kompliziert, sie zu versorgen. Der Jemen ist fast vollständig auf Importe angewiesen. Aber Hilfsgüter gelangen nur schwer ins Land. Häfen sind zerstört, der Flughafen der Hauptstadt Sanaa ist geschlossen.

Fatal wirkt sich vor allem der weitgehende Zusammenbruch der medizinischen Versorgung aus. „Viele Krankenhäuser sind inzwischen zerstört, es gibt zu wenige Ärzte und Pflegekräfte. Medikamente fehlen oder sind nur gegen sehr viel Geld zu bekommen“, berichtet Will Turner von Ärzte ohne Grenzen im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Tödliche Krankheiten

Die Hilfsorganisation hat nach eigenen Angaben zwischen März 20015 und Dezember 2016 mehr als 56.000 Verwundete versorgt, bei 23.000 Geburten assistiert und fast 5000 extrem mangelernährte Kinder in ein therapeutisches Programm aufgenommen. Hinzu kommen laut Turner Infektionen, die sich immer weiter ausbreiten, zum Beispiel Durchfallerkrankungen. „Gerade bei geschwächten Kindern und Jugendlichen kann so etwas tödlich enden.“ Dramatisch sei auch die Situation für Schwangere. „Fast nirgendwo gibt es ausreichende Betreuung.“

Dass sich in absehbarer Zeit daran etwas ändert, gilt als unwahrscheinlich. Ein Ende des Kriegs ist nicht in Sicht. Für die Jemeniten bedeutet das ein Leben ohne Wasser, Strom, Nahrung und medizinische Versorgung. Und ohne Hoffnung.

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