Jasmin Adam: „Felsenmond“: Rebellion unter dem Schleier
In „Felsenmond“ versuchen fünf junge Frauen, in einem konservativen, vor dem Krieg stehenden Land ihren Weg zu finden. Jasmin Adam schreibt ihre Geschichten ehrlich und realistisch.
Die Umwälzungen, die von Tunesien aus die arabische Welt 2011 erfassten, haben im ganzen Nahen Osten unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während Tunesien sich als demokratischer Staat entwickelt, versinken Länder wie Syrien oder Libyen im blutigen Bürgerkrieg. Aber auch im Jemen wird gekämpft und bombardiert, sterben Menschen und werden Kulturgüter vernichtet. Dieser Kampf findet etwas abseits der Weltöffentlichkeit statt, Jemen ist ein Land, das keine Lobby hat. Und wir wissen zu wenig über dieses eigentlich malerische, schöne, aber auch arme Land, in dem eine junge Bevölkerung zunehmend gegen die starren Formen der Tradition ankämpft.
Jasmin Adam hat mehr als zehn Jahre in der arabischen Welt gelebt und in der Entwicklungszusammenarbeit reichhaltige Erfahrungen auch über die gesellschaftlichen und familiären Verhältnisse im Jemen gewonnen. Auf dieser Basis hat sie mit „Felsenmond“ einen beachtlichen Roman geschrieben, der am Beispiel von fünf ganz unterschiedlichen jungen Frauen Einblicke in eine uns weitgehend verschlossene Gesellschaft bietet. Da ist zunächst Latifa, die in einem armen, staubigen Bergdorf lebt und ihrer Mutter im Haushalt hilft. Sie leidet zunehmend unter ihrem 14-jährigen kleinen Bruder Ahmed, der sich bei der Abwesenheit des Vaters verbissen als herrisches Familienoberhaupt aufspielen will, während Latifa das Gefühl hat, dass es jenseits dieser hohen Berge noch etwas anderes geben muss: „Als ob ein Zauber von dort ausginge und ihr irgendwann ein geheimes Zeichen geben müsse. Ein Zeichen nur für sie, dass schlagartig alles verändern würde ... Diese undefinierbare und doch alles bestimmende Sehnsucht war ein untrennbarer Teil ihrer selbst, war ihr enger Vertrauter geworden.“
Denkverbote der konservativen Gesellschaft
Dass sie noch nicht verheiratet ist, hat sie ihrer Mutter zu verdanken, die immer wieder schwanger wird und auf ihre Hilfe im Haushalt angewiesen ist. Doch eines Tages kehrt der Vater mit der Verwandtschaft zurück aus der Stadt, ein Festessen muss ausgerichtet werden, doch die geliebte Mutter Amina wirkt bedrückt, bis Latifa merkt, dass dies alles ihretwegen geschieht. Sie wird herausgeputzt und wie ein Kamel auf dem Markt von der Familie begutachtet. Kurzum, sie soll gegen ihren Willen verheiratet werden. Eindringlich schildert Jasmin Adam die Nöte Latifas, wie aus der Freude über den Besuch der Verwandtschaft fürchterliche Gewissheit wird, wie dieses junge Mädchen ihrem Schicksal vermeintlich willenlos ausgeliefert ist. Die Widersprüche dieser patriarchalischen Stammesgesellschaft treten offen zutage.
Doch bevor Jasmin Adam Latifas Schicksal weitererzählt, führt sie im nächsten Kapitel Sausan, Latifas Cousine ein, die am städtischen College Englisch studiert. Sie erzählt von ihrem Alltag, von ihr und ihrer Schwester, wie sie sich für das Morgengebet vorbereiten, kurzum, wie diese Gesellschaft im Alltag funktioniert. Sausan geht mit Malika, einer Mitstudentin aus der Nachbarschaft, zum College, denn alleine darf sie eigentlich nicht auf die Straße. Sausan ist eine aufgeweckte Studentin, die gerne Fragen nach dem „Warum“ und „Wozu“ stellt und sich nicht an die Denkverbote der konservativen Gesellschaft hält. Ihre Fragen sammelt sie seit ihrem zwölften Lebensjahr in einem kleinen Heft. Irgendwann, so hofft sie, wird sie auf jemanden treffen, der sie ihr beantwortet. Sausan wirkt wie ein erfrischender Hoffnungsschimmer in dieser konservativen Gesellschaft, ein selbstständiges Mädchen, das seinen Weg wohl gehen wird.
Ein neuer amerikanischer Englischlehrer scheint Perspektiven zu eröffnen, mehr von der Welt zu erfahren. Selbst die sehr religiöse Malika scheint an einem Disput über den wahren Glauben mit dem Fremden interessiert. Und dann ist da der schüchterne Mitstudent aus den Bergen, der Sausan um Hilfe bei den Hausaufgaben bittet, da er zu einem Familienfest in die Berge muss.
Was in Europa völlig normal ist, wird hier im Jemen zu einer Geheimoperation. Niemand darf von dieser zunächst harmlosen Beziehung erfahren, das Handy darf keine Spuren hinterlassen, da der große Bruder es regelmäßig überprüft, aus purer Angst um die Ehre der Familie. Ganz schnell wird dann die liebe Schwester zur Hure, die Vorhaltungen der Männer sind ungeheuer anmaßend und von Doppelmoral gekennzeichnet.
Verständnis wecken
Aber Jasmin Adam schildert in Hanna auch ein junges Mädchen, das sich nichts sehnlicher wünscht, als in jungen Jahren einen reichen Saudi zu heiraten, eine Verheißung eines besseren, wohlhabenderen Lebens, allerdings nur als Zweitfrau für die Sommerferien. Aber auch Hanna wird ihren Preis zahlen, eine zunächst unerwartete Wendung.
Adam ist immer solidarisch mit ihren fünf Mädchen, bei aller Verschiedenheit gehört ihnen ihre Sympathie. Sie versucht, Verständnis für ihr Verhalten zu wecken, die Zwänge von Tradition und Familie darzustellen. Das, was die Mädchen dabei aushalten müssen, geht dabei manchmal an die Grenze des Erträglichen, etwa bei Aischa, die sich gegen die Zumutungen ihrer parasitären Schwiegermutter wehren muss. Aber dieser ehrliche Realismus macht „Felsenmond“ zu einem wichtigen und zugleich spannenden Buch über den Kampf der jungen Frauen in einer Gesellschaft, die zudem von Krieg bedroht ist. Adam kennt keinen Ausweg aus der Misere, doch zeigt sie, dass die Mädchen trotz aller Widrigkeiten für sich einen Weg finden, die Situation in Zukunft zu verbessern, auch wenn die gegenwärtige schwere Krise, der eskalierende Krieg im Jemen, dies von heute aus betrachtet, noch utopischer erscheinen lässt.
Jasmin Adam: Felsenmond. Fünf Mädchen im Jemen. Cbj Kinder- und Jugendbuchverlag, München 2015. 320 Seiten, 8,99 €. Ab 12 Jahren.
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