Streit um Stasikontakte: Der Anwalt Gregor Gysi wird zum Fall
Für die einen war der DDR-Rechtsanwalt Gregor Gysi mutig, als er sich im Februar 1989 mit dem "Spiegel" zum Interview verabredet hat. Andere würden den Linken-Politiker gern jagen, weil er sich mit der Stasi über diese Begegnung unterhalten hat.
Aus dem Blickwinkel von Ostdeutschen hat Gregor Gysi im Februar 1989 eine hochriskante Unternehmung gestartet. Der heutige Linken-Politiker war damals Vorsitzender des Rechtsanwaltskollegiums in der DDR. Dass er sich in dieser Funktion auf ein Interview mit dem „Spiegel“ einließ, wirke, schrieb Christoph Dieckmann in der „Zeit“, noch heute „wie Glasnost-Glöckchengeklingel“. Das Interview Gysis mit zwei Redakteuren des Hamburger Magazin sei „eine Sensation“ gewesen, meint Dieckmann. Er nutzt damit denselben Begriff wie Gysi-Biograf Jens König. Der fügte im „Stern“ hinzu, Gysi habe Sätze gesagt, die für einen Anwalt mutig gewesen seien: „Im Politbüro mussten sie das als Provokation lesen.“
Zwei Tage nach dem „Spiegel“-Gespräch hatte sich Gysi mit zwei Stasi-Offizieren zur Auswertung getroffen – der pensionierte Richter, der Gysi im Frühjahr vergangenen Jahres bei der Staatsanwaltschaft Berlin angezeigt hat, sieht einen Widerspruch zu einer eidesstattlichen Versicherung Gysis vom Januar 2011, wonach dieser „zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet“ haben will. Im Herbst entschied sich die Staatsanwaltschaft Hamburg, die den Fall übernommen hat, zu förmlichen Ermittlungen. Noch bis Anfang März hat Gysi Gelegenheit zu einer Stellungnahme, nachdem sein Anwalt bereits Einsicht in die Ermittlungsakten genommen hat.
Laut Gysis Sprecher Hendrik Thalheim haben die Hamburger Ermittler Mitte der 90er Jahre bei einer „ähnlichen Anzeige gegen eine ähnliche eidesstattliche Versicherung“ die Ermittlungen gegen Gysi eingestellt. Der Sprecher der Hamburger Behörde, Carsten Rinio, bestätigte, dass das damalige Verfahren mit dem Aktenzeichen 141 Js 569/95 – als „Tatzeit“ wird der 12. Oktober 1994 angegeben – tatsächlich mangels hinreichenden Tatverdachts im Juni 1996 abgeschlossen worden sei. Die Akte selbst sei inzwischen vernichtet worden. Auch bei der Linkspartei gilt sie als „verschollen“.
Ob der Vergleich mit dem damaligen Fall Gysi nutzen kann, ist offen. Die Anzeige 1994 hatte ein Redakteur der inzwischen eingestellten „Wochenpost“ erstattet. Gysi kommentierte das im Juni 1995: „Auch heute würde ich jede eidesstattliche Versicherung, die ich in diesem Zusammenhang abgegeben habe, genau so abgeben und unterschreiben. (…) Solange Rechtsstaatlichkeit gilt, wird der Wunsch der ,Wochenpost‘, mich hinter Gittern zu sehen, unerfüllt bleiben.“
Die „Wochenpost“ hatte sich in der Ausgabe vom 29. September 1994 des Falls Gysi angenommen. Autor war der Schriftsteller Jürgen Fuchs, der fünf Jahre später starb. Unter der Überschrift „Der IM ,Notar‘ wird eingesetzt“ berichtete Fuchs über „den Verdacht, dass der Anwalt im Auftrag des MfS Mandanten ,beeinflusste‘“. Eine Titelschlagzeile, mit der Gysi als „überführt!“ angeprangert werden sollte, wurde in der Redaktion diskutiert – sie hielt einer hausinternen juristischen Prüfung nicht stand und wurde nicht gedruckt. Chefredakteur der „Wochenpost“ im Herbst 1994 war der heutige Vorstandschef der Axel Springer AG, Mathias Döpfner. Konzernsprecherin Edda Fels sagte, Döpfner könne sich zum Rechtsstreit Gysi ./. „Wochenpost“ frühestens Anfang kommender Woche äußern.
Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, bedauerte im Magazin „Cicero“, dass weder die Medien noch Politiker von SPD und Grünen den Ehrgeiz hätten, Gysi zum Rücktritt zu drängen. Dessen „jahrelange Strategie der Leugnung“ habe viele ermüdet. „Der in anderen Fällen übliche Jagdeifer ist erlahmt.“ Gysi, der sich im Skiurlaub in Österreich eine Verletzung an der Schulter zugezogen hatte und deshalb operiert werden musste, wurde am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen.