Ermittlungen gegen Gregor Gysi: Im Rechtsstaat gegen den Linken
Bereits seit letztem Jahr befassen sich die Ermittler erneut mit Gregor Gysi und den IM-Vorwürfen gegen ihn. Über seine Stasikontakte wird immer wieder gestritten – womöglich nutzt ihm das aber sogar.
„Kein Feld-, Wald- und Wiesen- Fall“, sagt Carsten Rinio, der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, zu den Ermittlungen gegen Linksfraktionschef Gregor Gysi. Die unendlich erscheinende Geschichte um dessen Stasi-Kontakte als Rechtsanwalt in der DDR hat die Behörde nach der Anzeige eines früheren Richters noch einmal aufzurollen. Rinio macht klar, dass das auf die Schnelle kaum zu machen ist. Der Fall sei „sehr komplex“, es könne „noch lange dauern“, mehr lasse sich gegenwärtig seriös nicht sagen, meinte er.
Klar ist inzwischen, dass die Ermittler sich schon seit vergangenem Jahr erneut mit Gysi befassen. Am 10. Dezember unterrichtete die Staatsanwaltschaft den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU). Vier Tage später bekam Linken-Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann offiziell Bescheid, die gleich darauf ihren Fraktionsvorsitzenden informierte. Gemeinsam entschieden die beiden Linken-Politiker, nicht zu versuchen, die parlamentarische Immunität von Gysi wiederherzustellen. Der schaltete einen Anwalt ein. Inzwischen ist Gysi von der Staatsanwaltschaft um Stellungnahme gebeten worden, dafür hat er noch ungefähr einen Monat lang Zeit. Zu weiteren Ermittlungsschritten will Rinio nichts sagen.
Kernpunkt der Auseinandersetzung ist eine eidesstattliche Versicherung, die Gysi im Streit um eine vor zwei Jahren ausgestrahlte Dokumentationssendung des NDR-Fernsehens zum Fall Gysi abgegeben hat. Am 18. Januar 2011 schrieb er: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet.“ Und: „Mir war die Staatsräson zu keinem Zeitpunkt wichtiger als das Schicksal meiner Mandanten.“
Die Linke sieht in den Vorwürfen eine Kampagne. Von einer „Hexenjagd“ spricht Vize-Fraktionschef Ulrich Maurer. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn versichert: „Gregor Gysi genießt die volle Solidarität der gesamten Partei.“ Gysis Sprecher Hendrik Thalheim sagt, auch der neue Versuch, eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit zu belegen, werde scheitern. Gysi habe allerdings, fügt er hinzu, nicht behauptet, „niemals einen Kontakt zu Staatssicherheitsleuten gehabt zu haben“. Thalheim verweist – ohne Einzelheiten zu nennen – darauf, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft bereits Mitte der 1990er Jahre „bei einer ähnlichen Anzeige gegen eine ähnliche eidesstattliche Versicherung“ ein Ermittlungsverfahren gegen Gysi eingestellt habe, weil sich ein Tatverdacht nicht bestätigt habe. Behördensprecher Rinio sagt, er habe zu diesem früheren Fall „keinen Datensatz finden können“. Möglicherweise sei die alte Akte bereits vernichtet.
IM-Vorwürfe gegen Gysi gab es immer wieder – der Politiker geht regelmäßig juristisch dagegen vor, bisher stets mit Erfolg. 1998 aber stellte der Immunitätsausschuss des Bundestages eine inoffizielle Stasitätigkeit „als erwiesen“ fest. Ein Versuch der Unionsfraktion vor viereinhalb Jahren, im Bundestag ein neues Verfahren gegen Gysi in Gang zu setzen, schlug dann aber fehl. Mehrfach wurden die Abgeordneten vorstellig bei Marianne Birthler, damals Chefin der Stasiunterlagenbehörde. Am 12. September 2008 schrieb sie, über das bekannte Material hinaus habe sie keine wesentlichen neuen Hinweise zur Frage, ob Gysi für die Stasi tätig gewesen sei. Der Ausschuss gab den Plan eines neuen Verfahrens daraufhin auf. Birthlers Nachfolger Roland Jahn sagt jetzt, es gebe „jede Menge“ Material zu Gysi. Die Linken-Politikerin Enkelmann entgegnet: „Aber nichts Neues.“ Sie erwartet wie alle ihre Genossen, dass das Ermittlungsverfahren demnächst eingestellt wird.
Auch der SPD-Politiker Wolfgang Thierse zweifelt, ob Gysi juristisch beizukommen ist: „Ich glaube nicht, dass da was folgen wird“, sagt der Bundestagsvizepräsident zum neuen Rechtsstreit. Gysi sei ein „sehr geschickter Jurist, der sehr genau gewusst hat, wie er seine eidesstattliche Erklärung formuliert“. Nachteile für die Linke im Bundestagswahlkampf verneint Thierse. Die Anhängerschaft von Gysi und seiner Partei lasse sich durch solche Vorwürfe „in keinster Weise irritieren“. Sie seien für sie vielmehr „Anlass zu vermehrter Solidarität und emotionaler Bindung an den angefochtenen und besudelten Spitzenmann“. In Anspielung auf frühere Entscheidungen im Fall Gysi fügt Thierse hinzu: „Da in Hamburg verhandelt wird, und in Hamburg gewinnt Gregor Gysi immer, wird er auch diesmal obsiegen.“