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Harte Zeiten. Mit einer gebrochenen Schulter kehrte Gregor Gysi am Wochenende aus dem Skiurlaub zurück – und sieht sich mit neuen alten Vorwürfen konfrontiert.
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Update

Gregor Gysi und die Stasi: Schatten der Vergangenheit

Der Spitzenkandidat der Linken, Gregor Gysi, wird beschuldigt, über sein Verhältnis zur Stasi gelogen zu haben – und das auch noch an Eides statt. Er selbst bestreitet den Vorwurf.

So richtig gut läuft es für Gregor Gysi nicht in diesem Winter. Schon im innerparteilichen Wettbewerb um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl hat sich der Vorsitzende der Bundestagsfraktion nicht durchsetzen können – stattdessen ist er nur einer von acht in einem Team von mehr oder weniger bekannten Leuten. Eben noch war er zur Erholung im Skiurlaub in Österreich, erst am Samstag kehrte er nach Berlin zurück. Nur leider hat er sich in den Winterferien einen Bruch an der Schulter zugezogen, an diesem Montag muss er deshalb ins Krankenhaus.

Genau dazwischen liegen nun Schlagzeilen, die Gysi den Wahlkampf verhageln könnten. Die Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigte am Sonntag, dass ein früherer Richter den Linken-Politiker angezeigt hat, weil Gysi eine falsche eidesstattliche Erklärung zu seinen angeblichen früheren Stasi-Kontakten als Rechtsanwalt in der DDR abgegeben haben soll. Ein Sprecher der Ermittlungsbehörde sagte, „dass ein solches Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig ist“.

Neu aufgerollt wird damit ein schon Anfang 2011 diskutierter Fall. Gysi hatte sich damals gegen die Ausstrahlung einer Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks (NDR) gewehrt. Und versichert, „zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemand wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet“ zu haben. Gysis Sprecher Hendrik Thalheim erklärte am Wochenende, dies sei keine Falschaussage gewesen. Einen Bericht der „Welt am Sonntag“ – unter Hinweis auf dem Blatt vorliegende, aber nicht neue Dokumente der Stasiunterlagenbehörde, wonach die Gysi-Aussage falsch gewesen sein könnte, wies er mit Nachdruck zurück. Selbstverständlich aber müsse die Staatsanwaltschaft jeder Anzeige nachgehen, sagte Thalheim.

Offenkundig nervig findet die Linke die Angelegenheit aber doch. Auch deshalb, weil im Immunitätsausschuss des Bundestages der Fall Gysi in der letzten Sitzung kurz vor den Winterferien aufgerufen wurde, ohne dass es wie sonst üblich eine Tischvorlage für die Obleute der Fraktionen gab. Dagmar Enkelmann, die Parlamentsgeschäftsführerin der Linksfraktion, war nicht anwesend. Vertreter der Linken war der sächsische Abgeordnete Jörn Wunderlich, selbst in den 90er Jahren Richter in Chemnitz. Er aber konnte seine Genossen nicht über die Aufhebung von Gysis Immunität nicht informieren, denn er war just in dem Moment aus dem Saal, als Ausschusschef Thomas Strobl das Thema aufrief. Der CDU-Politiker Strobl versicherte der „Welt am Sonntag“ zwar, dass das Gremium „sehr diskret und sensibel“ umgehe mit Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete. Dann aber zog er doch gegen Gysi mit dem Hinweis zu Felde, „gerade einem Rechtsanwalt“ könne eine falsche eidesstattliche Versicherung „nicht unbedacht herausrutschen“. Zwar gebe es „noch“ keine gerichtliche Entscheidung, dass Gysis Aussage falsch war, „aber natürlich wiegt schon der Vorwurf schwer“ – in einem Strafverfahren schwerer als in einem Stasi-Überprüfungsverfahren, das keine Sanktionen gegen einen als Stasispitzel überführten Abgeordneten kenne. Die meisten Linken-Abgeordneten aber wurden am Wochenende von den Ermittlungen gegen Gysi kalt überrascht.

Gysi hatte in der Vergangenheit fast immer Rechtsmittel gegen Veröffentlichungen in den Medien eingelegt, in denen er der Zusammenarbeit mit dem MfS bezichtigt worden war. Gegen den Zeitungsbericht vom April 2012, in dem über den dreiseitigen Vermerk des MfS zu einem Gespräch Gysis mit zwei Stasi-Offizieren über ein Interview im „Spiegel“ berichtet wurde, klagte Gysi hingegen nicht. Ohnehin dürfte es für den Linkspartei-Politiker inzwischen deutlich schwieriger geworden sein, sich gegen einschlägige Veröffentlichungen zu wehren. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat in einem Urteil vom 11. Dezember vergangenen Jahres die Rechte der Presse gestärkt: Wurde in der Vergangenheit die Beweiskraft von Stasiakten in gerichtlichen Auseinandersetzungen oft als gering und das öffentliche Aufklärungsinteresse als nachrangig gegenüber den Persönlichkeitsrechten eingeschätzt, entschied der BGH nun, dass die Presse den von der Stasiunterlagenbehörde herausgegebenen Akten ein „gesteigertes Vertrauen“ entgegenbringen dürfe.

In jenem Fall ging es um den ehemaligen Leipziger Uni-Professor und späteren Chef der Linksfraktion in Sachsen Peter Porsch. Er hatte sich zunächst erfolgreich gegen Presseberichte gewehrt, wonach er als Inoffizieller Mitarbeiter „Christoph“ Informationen an die Stasi geliefert haben soll, was er selbst bestritt. Der Bundesgerichtshof entschied gegen ihn. Gysi sagt, sein Fall sei mit dem von Porsch nicht vergleichbar. Für Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz dagegen sind die Fälle Gysi und Porsch „faktisch ähnlich“ gelagert. Porsch selbst hält die neuen Veröffentlichungen gegen Gysi nicht für Zufall. Er sagte am Sonntag dem Tagesspiegel: „Spannend ist doch, dass die Dinge immer in Wahlzeiten kommen. Das war bei mir auch so.“

Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn, wollte sich nicht zu der Frage äußern, ob Gregor Gysi als Stasi-IM zu bezeichnen sei. „Unser gesetzlicher Auftrag für diesen Fall ist es nicht, den Einzelfall zu bewerten, sondern, wenn nötig, Akten zur Verfügung zu stellen“, sagte er am Sonntag dem Tagesspiegel. Insofern wolle er die Aktenlage nicht weiter kommentieren. Dass es nun Ermittlungen gegen Gysi gebe, sei eine Normalität im Rechtsstaat. „Wenn es strittige Fragen gibt, ist es immer hilfreich, sie rechtlich zu klären“, sagte er. Eine offizielle Anfrage der Hamburger Staatsanwaltschaft bei seiner Behörde liege mit Stand vom Sonntag nicht vor, sagte Jahn.

Matthias Meisner, Matthias Schlegel

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