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Ein Tiger ist in Berlin vor dem Maxim Gorki Theater im Tigergehege mit der Aufschrift "Flüchtlinge Fressen" zu sehen.
© dpa

"Flüchtlinge fressen" am Gorki-Theater: Die Tiger-Ente

Der Tigerkäfig am Gorki Theater zog immer wieder Schaulustige an. Sie hofften auf eine überraschende Volte, etwas Kunstvolles - und wurden enttäuscht. Ein Kommentar.

Hat irgend jemand ernsthaft geglaubt, dass Menschen in den Tigerkäfig am Gorki Theater gehen, um sich für eine Kunstaktion zerreißen zu lassen? War das überhaupt Kunst, was das Zentrum für politische Schönheit unter dem Motto „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ zwei Wochen lang in Berlin aufgeführt hat? Hat die Medien-Show – und das war es ja in erster Linie – auch nur einem Menschen in Bedrängnis geholfen?

Das alles lässt sich mit einem klaren Nein beantworten. Aber die Sache ist komplizierter. Nehmen wir nur mal die Kunstfrage: Wer über Biennalen wandert, wird den Unterschied von Kunst, politischer Aktion, Happening und Werbemaßnahme (gern in eigener Sache) nicht so leicht finden. Es ist diese Unschärfe, die weite Teile der zeitgenössischen Kunst ausmacht. Die Grenzen sind aufgelöst, und was radikal daherkommt, wie die Versuchsanordnung mit großen Raubkatzen, rutscht leicht ins Banale ab. Und dennoch waren immer Schaulustige und nicht wenige Medienvertreter zugegen, weil sie sich etwas erhofften. Sicher keine Circus-Maximus-Fütterung, aber vielleicht eine überraschende Volte, etwas Kunstvolles. Sie wurden enttäuscht. Die Aktivisten vom Zentrum beließen es bei einer schlappen Erklärung. Nichts ist passiert. Und natürlich flog auch keine Chartermaschine aus der Türkei nach Berlin, mit 100 Flüchtlingen an Bord, die keine Papiere haben. Alles Schwindel, falscher Alarm. Am Ende der logistisch beeindruckenden Darbietung stand eine Ente. Eine Tiger-Ente.

Das Zentrum für politische Schönheit ist spezialisiert auf solche Simulationen. Es zielt auf den Moment ab, dass die Öffentlichkeit fragt: Was trauen sie sich als Nächstes? Geht es noch geschmackloser?

Mauerkreuze, Särge – sie spielen mit den letzten Dingen. Mit der Pietät, mit den Toten und ihrer Ruhe. Hier aber haben sie Menschen in Not möglicherweise Hoffnung gemacht, und das Geiern auf den Schauwert überlagerte die brennenden Fragen der Flüchtlingspolitik. Man darf sie nicht zusätzlich dramatisieren und aufladen mit angetäuschtem Menschenopfer. Wie weit ist es da noch bis zur Scheinerschießung, einer alten Foltermethode? Die Realität übertrifft jede „politische Schönheit“. Immer. Im Übrigen sind Tiere auf der Bühne eine sehr spezielle Sache. Bei Castorf gab es neulich ein Kamel, das tat nicht viel. Und vor ein paar Jahren stand einmal ein Esel im Hebbel-Theater und ignorierte die Zweibeiner, die um ihn herumschlichen. Tiere in der Kunst werden nicht gefragt, ihr Einsatz hat etwas Unmenschliches.

Rüdiger Schaper

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