Artikel 22 Grundgesetz: Das ungeregelte Verhältnis von Bund und Berlin
Vor zehn Jahren wurde im Grundgesetz festgelegt, dass Berlin die Hauptstadt der BRD ist. Bis heute fehlt aber das Gesetz, das die Zuständigkeiten zwischen Stadt und Bund regelt. Ein Kommentar.
Der zehnte Geburtstag, das wäre so ein Termin gewesen. Aber es passte dann doch nicht. Die Politik hatte anderes im Kopf, Wahlkampf, und der klärt nicht, der vernebelt oft. Worum es geht? Am 1. September 2016 hat sich die Verabschiedung des neuen Artikel 22 des Grundgesetzes durch den Bundestag zum zehnten Mal gejährt. Darin steht, dass Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik ist, dass die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt Aufgabe des Bundes sei, und dass Näheres durch ein Bundesgesetz geregelt würde.
Das Gesetz gibt es bis heute nicht, und der Jahrestag wäre ein Datum gewesen, diese Lücke zu beklagen, deren Ausfüllung anzumahnen. Aber da blickte alles auf den 18. September, den Wahltag in Berlin. Schade. Denn was der Bund in Berlin tut und was nicht, was er fördert und was er liegen lässt, all das ist mehr oder minder eine Frage des Gutdünkens und der persönlichen Kontakte, der Eitelkeiten, der passenden partei-politischen Couleurs. Das ist nicht gut, obwohl es bequem ist. Die Beendigung genau dieses Zustandes mahnt nun wieder die Stiftung Zukunft Berlin an. Sie tat es schon vor zwei Jahren. In dieser Zeitung erschien dazu eine Reihe von Artikeln prominenter Persönlichkeiten des Landes.
Die neue Koalition könnte das Thema engagierter angehen
Jetzt schickte die Stiftung allen Fraktionen des gerade gewählten Abgeordnetenhauses ein Thesenpapier mit Vorschlägen, wie Berlin von sich aus Signale an den Bund geben könne, dass es an der Regelung durch ein Bundesgesetz dringend interessiert ist. Heute wird bei den rot-rot-grünen Koalitionsgesprächen darüber geredet. Die Anzeichen sind gut, dass diese neue Landesregierung das Thema mit mehr Engagement als die alte angeht.
Immerhin hat der Regierende Bürgermeister, der ja nach wie vor Michael Müller heißt, bereits am 23. Juni ein „Berliner Hauptstadtgesetz“ gefordert, was nicht weniger als die Entschlossenheit ausdrückt, die Sache nicht weiter schleifen zu lassen.
Die große Gefahr am Fortdauern des Schwebezustandes ist seine Ambivalenz. So lange es Kulturstaatsminister und Kanzler gibt, die der Stadt wohlgesonnen sind und sich selbst ein Denkmal setzen wollen, erhält das Deutsche Historische Museum schöne Anbauten, wird in die Sanierung der Staatsoper viel Geld investiert.
Missstände in Berlin färben auf das ganze Land ab
Aber erschöpft sich die im Grundgesetz geforderte Repräsentanz des Gesamtstaates in der Hauptstadt in solch paternalistischen Gesten? Muss da nicht mehr Verlässlichkeit sein? Mehr Kontinuität, mehr Berechenbarkeit? Und das heißt nicht nur, dass man im Roten Rathaus weiß, welche Mittel für was und wann zur Verfügung gestellt werden. Es heißt vor allem, dass Berlin nicht nur Ansprüche, sondern auch Selbstverpflichtungen hat. Edzard Reuter, ein großer Sohn der Stadt, hat das genauso im Tagesspiegel in der erwähnten Artikelreihe formuliert. Monika Grütters sagte Gleiches anders: Was in der Hauptstadt kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben – was dort misslingt, dafür wird, von außen jedenfalls, das ganze Land verantwortlich gemacht.
Wie wahr. Das heißt aber: Wird diese Stadt besser regiert, werden Missstände in der Verwaltung endlich konsequent behoben, profitieren davon nicht nur die Bürger Berlins, sondern alle Bürger Deutschlands. Dann traut euch endlich mal, möchte man den Koalitionären zurufen. Erfüllen wir unseren Anteil an dem Gesetz, das wir vom Bund fordern.
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