Artikel 1 der Landesverfassung: Berlin hat keine Zeit
Das Abgeordnetenhaus will Artikel 1 der Landesverfassung vor der Wahl nicht ändern. Ein Kommentar.
Das Abgeordnetenhaus des Landes Berlin ist überarbeitet und außerdem sind bald Wahlen. Da bleibt in dieser Legislatur keine Zeit mehr für Lappalien. Auf diesen Nenner kann man eine Auskunft bringen, die der SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann auch im Namen seiner Kollegen von CDU, Grünen und der Linken unlängst der Stiftung Zukunft Berlin gab. Das wäre wohl kaum so schnell publik geworden, wenn der Tagesspiegel nicht bei der Stiftung nach dem Stand der Dinge gefragt und um Auskunft gebeten hätte.
Die Art der Repräsentation des Bundes in der Hauptstadt ist nicht geregelt
Die Nebensächlichkeit, für die keine Zeit mehr ist, betrifft eine angestrebte Neufassung des Artikels 1 der Landesverfassung. In dem heißt es zur Zeit sinngemäß, Berlin ist ein deutsches Land, eines der Bundesrepublik zudem, und zugleich ist es eine Stadt, in der das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik bindend gelten. Über solche Selbstverständlichkeiten, formuliert 1995, kann sich nur wundern, wer nicht weiß, dass im geteilten Deutschland die Gesetze der Bundesrepublik in West-Berlin nicht automatisch galten, sondern formell übernommen werden mussten.
Wirklich erstaunlich aber ist, dass weder in Artikel 1 noch sonst irgendwo in der Landesverfassung erwähnt wird, dass Berlin auch die Hauptstadt der Bundesrepublik ist. Im Grundgesetz ist das, keine Sorge also, in Artikel 22 festgeschrieben, das nimmt uns niemand. Was uns, den Berlinern, aber auch bisher niemand gibt, ist ein Bundesgesetz, dass die Art der Repräsentation des Bundes in der Hauptstadt regelt. Dass dieses Gesetz kommen soll, steht seit 2006 im Artikel 22. Geschehen ist freilich nichts. Darauf wiesen die Stiftung Zukunft Berlin und der Tagesspiegel 2014 in einer Reihe von Artikeln prominenter Zeitgenossen hin. Aber immerhin könnte ja Berlin seinerseits schon mal was tun.
So kam es, als erste Bilanz, zu einer Konferenz zum Thema im September 2015 und, zweitens, einer Begegnung Berliner Politiker von SPD, CDU, Grünen und Linken im Januar 2016 mit der Stiftung. Man einigte dabei sich auf einen Vorschlag für eine Neuformulierung des Artikels 1 der Landesverfassung. Da sollte künftig die Mitwirkung der Hauptstadt Berlin bei der gesamtstaatlichen Repräsentation festgehalten werden. Und außerdem sollte es, als Mahnung vor Provinzialismus, heißen: „Berlin ist als Hauptstadt den gesamtstaatlichen Interessen verpflichtet“.
Taugt allenfalls als Reklame für einen Vorstadtpuff
Dieser neue Artikel 1 wäre vor allem gegenüber dem Bundestag eine schöne, inhaltsreiche Geste zum 20. Juni dieses Jahres gewesen. Da jährt sich nämlich zum 25. Mal der Beschluss unseres Parlamentes vom 20. Juni 1991, Berlin zur Hauptstadt des vereinten Deutschland zu machen. Berlin ohne Hauptstadtfunktion – das wäre heute eine verarmte, heruntergekommene Millionenstadt, ohne Glamour, ohne all das, was durch den Regierungsumzug an Jobs, an Architektur, an Bedeutung entstanden ist. Klaus Wowereits Spruch von der Stadt, die arm, aber sexy sei, wäre nie zum globalen Synonym für eine wirklich aufregende Metropole geworden, sondern würde allenfalls als Reklame für einen Vorstadtpuff taugen.
Für den Dank an den Bund reicht nun also die Zeit nicht mehr. Berlin, du kannst so schäbig sein …