Kanzleramt – oder Absturz?: Das Projekt „Olaf 21“ sucht Unterstützer
„Aus Fehlern lernen“: Bei ihrer Klausur steckt die SPD den Kurs für das Wahljahr ab, will mehr Staat. Doch Olaf Scholz hat Probleme, für Aufbruch zu sorgen.
Martin Schulz erzählt die Geschichte oft und sieht das noch immer als großen Fehler. Als er nicht mehr er selbst sein durfte, als sich der Kandidat 2017 von allen Seiten drängen ließ, weniger auf seine Kernkompetenz Europa zu setzen.
Auch Olaf Scholz ist am stärksten, wenn er Olaf Scholz ist. Auf zentralen Zukunftsfeldern hat er schon zu Hamburger Zeiten frühzeitig Pflöcke eingeschlagen, etwa bei der Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus und einer grüneren Industriepolitik.
Bei der Vorstandsklausur an diesem Sonntag und Montag galt es nun die Pflöcke für das sehr ungewisse Wahljahr einzuschlagen – das vom Kanzleramt bis hin zu einem historischen Absturz alles für die SPD bringen kann.
Der Druck, aus dem 15-Prozent-Umfragetief herauszukommen, sich mehr zu profilieren, zeigte sich zuletzt deutlich. Einen positiven Niederschlag fand es bisher noch nicht.
Der in scharfem Ton formulierte Fragenkatalog an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), was schief gelaufen ist bei der Impfstoffbestellung, war nicht die Idee des Finanzministers, Vizekanzlers und Kanzlerkandidaten, sondern die von mehreren SPD-Ministerpräsidenten. Dass er dann im Corona-Kabinett sagte, das sei alles „scheiße“ mit dem Impfprozess gelaufen, war eine Tonalität, die nicht zu dem Hanseaten passt.
Der jüngste ARD-Deutschlandtrend machte ihn zum Absteiger des Monats, 46 Prozent Zustimmung zu seiner Arbeit, satte neun Punkte weniger als im Vormonat.
Der Wahlkampf soll ganz auf ihn, den erfahrenen Krisenmanager zugeschnitten werden, alle betonen die Harmonie nach den krisenhaften Vorjahren.
Die Kanzlerkandidatur wird aber nur funktionieren, wenn Scholz, sich nicht in Rollen hineinbegibt, die nicht zu ihm passen, wird intern deutlich betont.
Die große Bürde sind die inneren Widersprüche. Scholz wollten sie nicht als Parteivorsitzenden, aber als Kanzlerkandidaten. Und ein Linkskurs passt auch nicht zu ihm.
Ob die bei vielen SPD-Politikern aufgestellte Rechnung aufgeht, dass Scholz gegen den von der SPD erwarteten Kanzlerkandidaten der Union, CDU-Chef Armin Laschet, mit seiner Erfahrung und Seriosität punkten kann, ist eine weitere offene Frage.
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Wie die SPD im Wahljahr punkten will
„Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie störanfällig unsere Systeme sind und wie stark die Substanz in manchen Bereichen angegriffen ist“, wird in den Leitgedanken für das Regierungsprogramm betont, die zur Klausur am Sonntag vorgelegt wurden. „Plötzlich sind wir alle auf digitale Formen der Organisation, der Kommunikation und Zusammenarbeit angewiesen und müssen feststellen, wie sehr wir in diesen Märkten nur Konsument*innen sind oder gar Ware.“ Scholz hat sich bisher die Zähne daran ausgebissen, die versprochene Mindestbesteuerung auf OECD-Ebene der immer mächtigeren Konzerne durchsetzen. Der Druck wächst in der SPD für eine Digitalsteuer.
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Scholz will seine „Zukunftsmissionen zu einer zentralen und politisch gebündelten Aufgabe einer neuen SPD-geführten Bundesregierung machen“. Dazu gehören Klimaneutralität bis 2050, eine schnellere Digitalisierung, eine Wasserstoffoffensive und jährliche Investitionen von 50 Milliarden Euro. Und nach dem Aufweichen der Hartz-Reformen Gerhard Schröders versucht die SPD, nun Unwuchten der Globalisierung, auch ausgelöst durch eine Deregulierungspolitik zu rot-grünen Zeiten, einzuhegen.
Es geht viel um eine „Agenda 2030“: die Mobilität mit klimafreundlichen Innovationen und Technologieoffenheit so umzubauen, dass sie für alle gut erreichbar, bezahlbar, umweltfreundlich, schnell und sicher ist. Und bis 2030 soll die Gesundheitsversorgung von Profitzwängen befreit werden. Die Wirtschaft soll wieder mehr den Menschen dienen.
In den Leitlinien für das Wahlprogramm wird betont: „Vor uns türmt sich eine Jahrhundertaufgabe: Wir müssen unsere Produktion ökologisch revolutionieren, die Regeln der Globalisierung ebenso neu verhandeln wie die der digitalen Welt und dabei sichere und gut bezahle Arbeitsplätze schaffen.“
Im Fokus des Wahlkampfes sollen auch Themen wie Respekt und Wertschätzung stehen. „Der Kassierer im Supermarkt, die Busfahrerin, die Pflegekraft, die Reinigungskraft, der Erzieher – sie haben unseren Alltag aufrechterhalten. Trotz der ständigen Gefahr sich anzustecken.“ Es gehe nicht nur um Applaus für sie, „sondern um sichere Arbeitsplätze, gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen“. Aber die ganzen Finanzierungsfragen für alle diese Vorhaben nach der Pandemie sind bisher offen, bekanntermaßen will die SPD Vermögende stärker zur Kasse bitten - und sieht die Schuldenbremse in diesen Niedrigzinszeiten kritisch.
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Das verschwundene Vertrauen
Entscheidend wird sein, ob die Bürger wieder mehr der Bundes-SPD vertrauen – gemessen an dem, was sie in der großen Koalition durchgesetzt haben, verzweifeln viele Genossen an der Umfragelage. Im Willy-Brandt-Haus hat fast jeder die Analyse des Schulz-Wahlkampfes 2017 mit dem Titel „Aus Fehlern lernen“ gelesen. Und so startet die SPD mit ihrer Vorstandsklausur eigentlich wohlsortiert in das Wahlkampfjahr, programmatisch steht das meiste anders als früher, größere Konflikte sind da nicht zu erwarten. Und die Kür des Kandidaten war keine Sturzgeburt, es gibt keine parallelen Planeten, da das Team des Kandidaten, da die Maschine des „WBH“.
Aber die Bundestagswahl wird auch über Personen und ein klares Profil entschieden, „Olaf wird auch mal einen Konflikt mit Saskia (Esken) riskieren müssen“, warnt ein führender Sozialdemokrat, ein zu starker Linkskurs und das Verheddern in Identitätspolitik könnten Scholz‘ Glaubwürdigkeit gefährden.
Einige vermissen auch ehrliche Debatten, ob der Linkskurs angesichts der Umfragen wirklich zielführend ist, ob weniger Twitter und Akademikerpolitik und dafür mehr reales Leben nicht angebrachter wären. Gerade in der Industriearbeiterschaft verliert die SPD mit ihrem Hinterherlaufen grüner Positionen an Zustimmung.
Verwiesen wird von Sozialdemokraten wie dem Autor Nils Heisterhagen auch auf das Beispiel der mit einer restriktiveren Asyl- und Migrationspolitik erfolgreicheren Genossen in Dänemark.
Scholz musste sich zuletzt immer wieder verrenken. Im Koalitionsstreit um die von der Parteiführung erwirkte Blockade einer Entscheidung über bewaffnete Kampfdrohnen fand er keine klaren Worte.
Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sagt, die SPD sei sicherheitspolitisch dabei, ihre Regierungsfähigkeit zu gefährden. „Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder als Bundeskanzler und die bisher fünf SPD-Verteidigungsminister haben gewusst, dass man nur regieren kann, wenn die Deutschen der SPD auch zutrauen, für Sicherheit zu sorgen.“
Auch in Sachen Wirtschaftskompetenz sieht es für die SPD im Bund schlecht aus, während Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern mit pragmatischen, bürgernahen Politikansätzen punkten.
Kommt es im März zum Ampel-Signal?
Während die Spitze, besonders Vize Kevin Kühnert mit einem Linksbündnis mit Grünen und Linkspartei liebäugeln, steht Scholz eigentlich auch eher hierfür - und für eine Ampel-Koalition. Letztlich hängt alles davon ab, ob die SPD es noch einmal schafft, die Grünen zu überholen; das Annähern an deren Positionen sehen viele Genossen kritisch - am Ende wird meist das Original gewählt. Die erste Hoffnung machende Zwischenetappe könnte für Scholz der Wahltag am 14. März sein: Sowohl in Baden-Württemberg (unter Führung der Grünen) als auch in Rheinland-Pfalz (unter SPD-Führung) könnte es zu Ampel-Bündnissen kommen. Es wäre ein Signal in Scholz‘ Sinne.
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