zum Hauptinhalt
Als Vizekanzler betont Olaf Scholz seinen Entscheidungswillen - aber zeigt er den auch gegenüber seiner Partei, der SPD?
© dpa

Olaf Scholz: Der Kandidat, der nicht kämpft

Im Streit um Kampfdrohnen unterwirft sich SPD-Kanzlerkandidat Scholz der Parteilinie – wie auch in manchen anderen Fragen. Warum profiliert er sich nicht?  

Anne Bressem ist Sozialdemokratin, hat in der Bundeswehr Karriere gemacht und kandidiert bei der Bundestagswahl in einem nordthüringischen Wahlkreis. Die Verschiebung der Entscheidung über bewaffnete Drohnen durch die Partei- und Fraktionsspitze der SPD hält die Oberstleutnantin der Bundeswehr für falsch - gemeinsam mit vielen anderen Sicherheitsexperten ihrer Partei.

Bresser, die in einem Landesministerium arbeitet, vermisst einen Ordnungsruf von Olaf Scholz. „Ich hätte mir gewünscht, der Kanzlerkandidat würde sich in dieser Debatte deutlicher positionieren und klar machen, dass er für Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz den bestmöglichen Schutz und damit auch die Bewaffnung der Drohnen befürwortet“, sagt die Kandidatin: „Damit würde er Führungsstärke zeigen und Vertrauen aufbauen.“

Damit ist eine Debatte in den Reihen der Sozialdemokraten angekommen, die bisher vor allem von der Union geschürt worden war. Es geht darin um den Führungswillen und die Durchsetzungsfähigkeit von Vizekanzler Scholz in der Drohnendebatte, nachdem SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans und Fraktionschef Rolf Mützenich eine sicherheitspolitische Wende der Sozialdemokraten herbeigeführt haben.

Während die Experten der SPD-Fraktion sich im Sommer nach jahrelanger, intensiver Debatte zum Einsatz des neuen Waffensystems unter strikten Bedingungen bekannt hatten, verlangten beide den Aufschub der Entscheidung bis nach der Bundestagswahl.

Die Union warf dem Koalitionspartner daraufhin vor, er gebe seine Regierungsfähigkeit auf und verweigere den Soldaten Schutz, die er in Auslandseinsätze schicke. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte, ohne Kampfdrohnen werde Deutschland seine Bündnisfähigkeit verlieren.

Volker Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) spricht für viele Experten, wenn er sagt: "Die Freiwilligen, die in der Bundeswehr dienen, setzen ihr Leben zu unserem Schutz ein, dem unseres Staates und seiner Werte. Deshalb trägt die Bundesregierung die Verantwortung, ihnen die bestmöglichen Waffen auch zu ihrem eigenen Schutz in die Hand zu geben."

Der Vizekanzler hörte zu, meldete sich aber nicht

Scholz war in der entscheidenden digitalen Sitzung seiner Fraktion zugeschaltet, beteiligte sich nach Angaben von Teilnehmern aber nicht an der Debatte. Dabei gilt der Kanzlerkandidat als ein Politiker, der anders als manche anderen Sozialdemokraten Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht skeptisch gegenübersteht, der die Aufgaben Deutschlands in der Nato ernst nimmt und eine starke deutsche Rolle auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik befürwortet.

Sein Verhalten im Drohnenstreit aber entspricht nicht diesem Profil. Nachdem Scholz mehrere Tage lang zum sicherheitspolitischen Schwenk geschwiegen hatte, verteidigte er kurz vor Weihnachten die Entscheidung, nach zehn Jahren Diskussion doch nicht darüber zu entscheiden. Es gehe um eine Legitimationsfrage, erklärte er, „weniger um die eigentliche Technologie, also die Fernsteuerung von bewaffneten Fluggeräten, sondern darum, wie diese Drohnen von anderen, auch befreundeten Ländern, in den vergangenen Jahren genutzt worden sind“.

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Gezielte Tötungen hätten schwere völkerrechtliche Fragen aufgeworfen. Die SPD wolle eine breite öffentliche Debatte, um herauszufinden, ob sich längerfristig ein gesellschaftlicher Konsens erzeugen lasse. „Das wird seine Zeit brauchen. Es geht ja um keine geringe Sache.“

Die Positionierung des Vizekanzlers scheint vor allem einem Ziel zu folgen: keinen Streit zwischen Partei und Kanzlerkandidat zu riskieren. Schon im Mai hatte Mützenich ein zentrales Element deutscher Sicherheitspolitik infrage gestellt: Der SPD-Fraktionschef forderte damals den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und stellte sich gegen die Modernisierung von Bundeswehr-Kampfflugzeugen, die diese Waffen im Ernstfall ins Ziel tragen sollen.

Auch damals widersprach Scholz öffentlich nicht, obwohl er ebenso wie Außenminister Heiko Maas (SPD) die nukleare Teilhabe befürwortet. Der Außenminister stellte anders als Scholz klar, dass er wie die Bundesregierung insgesamt weiter zur nuklearen Abschreckung der Nato steht. Der Vizekanzler, so spottete daraufhin Unions-Vizefraktionschef Johann Wadephul, sei in der Außen- und Sicherheitspolitik bisher „eine Leerstelle“.

Verteidiger von Scholz in der SPD verweisen darauf, dass es für einen Spitzenpolitiker durchaus klug sein könne, sich in umstrittenen Fragen nicht zu positionieren. Dieses Verhalten habe schließlich auch Bundeskanzlerin und Ex-CDU- Chefin Angela Merkel weit gebracht, heißt ihr Argument.

Um ihre Bewaffnung dreht sich der Streit: Drohne vom Typ Heron TP, die in Israel hergestellt wird.
Um ihre Bewaffnung dreht sich der Streit: Drohne vom Typ Heron TP, die in Israel hergestellt wird.
© dpa

Sozialdemokratische Kritiker des Vizekanzlers dagegen warnen, der Eindruck der Botmäßigkeit gegenüber der schwächelnden Partei könne gerade verhindern, dass der Kandidat seine Stärken ausspiele. So schwieg der Vizekanzler auch, als SPD-Chefin Saskia Esken rassistische Strukturen in der Polizei zum Thema machte und damit die Gewerkschaft der Polizei gegen sich aufbrachte. Dabei hatte Scholz als Bürgermeister von Hamburg auf „Law and order“-Politik gesetzt und die Sicherheitskräfte gegen Vorwürfe stets entschieden verteidigt.

Langjährige Weggefährten des Politikers erkennen in diesem Verhalten ein altes Muster: Schon als Vizechef der Jusos habe Scholz empathielos selbst dann in Gremien mit der Mehrheit gestimmt, wenn er selbst entschieden anderer Meinung gewesen sei. Streit zu vermeiden, so der Vorwurf, sei ihm wichtiger gewesen als für die richtige Sache zu kämpfen.

Nun aber machen auch auch erste Sozialdemokraten das Verhalten ihres Kanzlerkandidaten im Drohnenstreit zum Thema. Bundestagskandidatin Anne Bressem hält die Verzögerung der Entscheidung über Drohnen wie viele andere Sicherheitsexperten der SPD für fatal.

Als Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis Eichsfeld, Nordhausen, Kyffhäuserkreis müsse sie ihren Kameradinnen und Kameraden schon vor der Bundestagswahl erklären, wie die SPD zu dieser Frage stehe, sagte sie dem Tagesspiegel: „Sonst werde ich unglaubwürdig und verliere mein Gesicht.“

Sie könne das Thema nicht wie gewünscht aus dem Wahlkampf heraushalten, denn viele Menschen erwarteten eine Antwort. Der Kandidat, warnt Bressem, vertue eine Chance, wenn er nicht interveniere. Bisher aber gibt es keine Anzeichen, dass Scholz dem Rat folgen will.

Zur Startseite