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Bundesfinanzminister Olaf Scholz SPD im Rahmen der Konferenz "Europe 2021" in den RBB Studios in Berlin.
© imago images/photothek

Olaf Scholz erwägt erneut Aussetzen der Schuldenbremse: „Wir sind abgebogen und werden nie wieder zurückkehren“

Es ist eine unbequeme Wahrheit: Finanzminister Scholz prüft die weitere Aussetzung der Schuldenbremse und sieht schwere Folgejahre für Deutschland und die EU.

Olaf Scholz erinnert an Helmut Schmidt, dessen politische Karriere und Ruf wesentlich geprägt worden ist von der Bewältigung der Hamburger Sturmflut 1962.

Der Bundesfinanzminister ist etwas genervt, dass sich einige zu einfache Antworten im Kampf gegen das Coronavirus suchen. „Wenn eine große Sturmflut da ist, dann diskutieren wir über alles Mögliche, über Deiche, über Sandsäcke, Schutzmaßnahmen. Wenn der Vesuv ausbricht, diskutieren wir über alles Mögliche, wie wir die Leute in Sicherheit bringen.“

Niemand habe gegenwärtig eine Idee, nach dem Motto: auf einen Knopf drücken und die Krise ist gelöst, das Virus weg. „Manche Debatte in Deutschland ist so, als wäre das eine Handlungsoption.“ Der Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat spannt bei der digitalen Konferenz „Europe 2021“ den großen Bogen, setzt auf ein Billionen-Zukunftsprogramm zur Stärkung der Demokratie in Europa, Mindestlöhne – und hält das Reißen der Maastricht-Regeln für verkraftbar.

Scholz will nicht gegen die Krise ansparen, mehr Keynes, weniger schwäbische Hausfrau.

Aber er betont auch, dass bei der gemeinsamen Impfstoffbestellung Fehler gemacht worden sind, die den Krisenausweg verkomplizieren. „Es hätte wohl mehr bestellt werden müssen. Das will ich klipp und klar sagen, gerade wenn ich den europäischen Weg unterstreiche. Auch Europa kann Fehler machen. Wichtig ist, aus diesen Fehlern für die Zukunft zu lernen.“

„Es hätte mehr Impfstoff bestellt werden sollen“

Jetzt gelte es, mit Nachdruck auf möglichst schneller Lieferung von Impfstoff zu bestehen. „Und wir müssen die Produktionskapazitäten für die Impfstoffe in Europa ausweiten, sehr rasch, mit allen Möglichkeiten, die wir dafür haben.“

Er betont das gemeinsame Wiederaufbauprogramm in Höhe von einer Billion Euro, damit Europa wirklich aus der Krise gut herauskommt – und das gemeinsame Demokratie-Projekt bestand haben und vertieft werden kann. Aber manchem wird eher schwindelig bei den Summen und der offensiven Geldpolitik der EZB, die jeder Sparer anhand nicht existenter Zinsen spürt.

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Eine gemeinsame Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene ist seit Corona kein Tabu mehr. „Die EU wird die aufgenommenen Schulden für das Wiederaufbauprogramm nach Plan zurückzahlen“, verspricht Scholz – daran haben viele so ihre Zweifel.  

„Das ist Europas Hamiltonian Moment.“

„Um dies tun zu können, braucht sie eigene Einnahmen“ Scholz sagt: „Das ist Europas Hamiltonian Moment.“ Dazu muss man wissen, dass er ein großer Fan von Ideen eines Brüsseler Think Tank ist, der einen Plan des US-Finanzministers Alexander Hamilton aus dem Jahre 1790 als Blaupause auch für befristete Verschuldungsmöglichkeiten der Euro-Staaten zur Befriedung der Krise empfohlen hat.

Dem Hamilton-Plan zufolge wurden Kompetenzen auf der Ebene des Zentralstaats gebündelt, um eigene Einnahmen zu erzielen und eigene Verschuldungsfähigkeiten zu ermöglichen. „Was wäre passiert, wenn wir diejenigen wieder allein gelassen hätten, die weniger finanzielle Polster haben als wir?

Der ökonomischen Spaltung wäre die politische Spaltung gefolgt“, meint Scholz. Um die EU handlungsfähiger zu machen, fordert er aber auch vom Einstimmigkeitsprinzip weg und in bestimmten Fragen zu Mehrheitsentscheidungen im Rat überzugehen. „Wir können es uns nicht mehr erlauben, dass der Langsamste das Tempo bestimmt.“

Schuldenbremse kann auch 2022 fallen

Aber bevor überhaupt an ein Herauswachsen aus der Krise zu denken ist, bereitet er auch Deutschland nochmal auf höhere Schulden vor. „Wir haben die Kraft, gegen die Krise durchzuhalten und wir werden sie einsetzen.“ Und gibt es, wenn der Lockdown noch länger dauert und vieles bis in den April geschlossen bleiben sollte, ein Ende der finanziellen Möglichkeiten?

„Diesen Punkt werden wir in diesem Jahr nicht erleben und da wir dieses Jahr die Krise hinter uns lassen werden, gar nicht.“ Und er kritisiert, dass Halbsätze der Kanzlerin aus internen Runden („Uns ist das Ding entglitten“) immer wieder aus dem Kontext gerissen werden.

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In Zeiten der Videokonferenzen dringt mehr nach draußen, was vertrauliche Aus- und Absprachen erschwert. Einige in der Koalition sorgen sich bereits, wie sicher überhaupt die Videokonferenzen gegen ausländische Hackerangriffe sind.

Der Vergleich mit der Autobahn

Auch wenn viele Milliarden-Programme im aktuellen Haushalt längst nicht erschöpft sind und es hohe Rücklagen gibt, bereitet Scholz die Bürger darauf vor, dass die Schuldenbremse auch 2022 ausgesetzt werden könnte. Das verspricht muntere Debatten in der großen Koalition.

„Eins ist ganz klar, und das hat sich glaube ich, noch niemand klar gemacht. Wir werden auf den Pfad der Einnahmenentwicklung, den wir 2019 vorhergesagt haben, nicht zurückkehren.“

Eine leere Autobahn im ersten Lockdown - Olaf Scholz sieht Deutschland durch die Finanzprobleme auf einer Abkehr vom bisherigen Weg.
Eine leere Autobahn im ersten Lockdown - Olaf Scholz sieht Deutschland durch die Finanzprobleme auf einer Abkehr vom bisherigen Weg.
© dpa

Er werde bis März Eckwerte für den Haushalt 2022 auf den Weg bringen. „Und ich werde die Finanzplanung für die ganze nächste Legislaturperiode skizzieren“, erläutert Scholz. Angesprochen darauf, dass die Pandemie im kommenden Jahr überwunden sein und deshalb die Notlagenklausel für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse rechtlich angreifbar sein könnte, sagt er, dass auch die spanische Grippe vor hundert Jahren nachgelagerte Sondersituationen hervorgerufen habe.

Bei der Konstruktion der Schuldenbremse sei eine globale Pandemie nicht im Blick gewesen sei. Er werde Vorschläge machen, die mit Recht und Gesetz vereinbar sein. In Richtung der CDU, deren neuer Vorsitzender Armin Laschet sich klar für das Beibehalten der Schuldenbremse ausgesprochen hat, sagte Scholz, die Lage sei komplizierter als viele dachten.

Laut „Spiegel“ plant das Finanzministerium mit knapp 60 Milliarden weiteren neuen Schulden in 2022, was den gesetzlich möglichen Spielraum der Schuldenbremse von Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei weitem überschreiten würde.

Kanzleramtschef Helge Braun hatte die Union in Aufruhr versetzt mit der Idee, die Schuldenbremse bis zu einem bestimmten Datum über mehrere Jahre zu lockern und größere Verschuldungsspielräume einzuräumen. Einige würden denken, „wir sind da auf der Autobahn unterwegs und da gibt es jetzt eine Baustelle, da werden wir abgeleitet, fahren über ein paar Dörfer und dann fahren wir auf die Autobahn zurück und fahren auf der gleichen Straße weiter, auf der wir abgebogen sind“, erläutert Scholz.

„Nein, so ist das jetzt nicht. Wir sind von dieser Autobahn abgebogen und werden auf die nie wieder zurückkehren, sondern immer auf einer anderen Straße fahren.“

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