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Nachttisch einer Patientin, die mit Sterbefasten ihr Leben beendet.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kippt das Sterbehilfe-Gesetz?: Darum geht es bei dem Urteil zum assistierten Suizid

Seit 2015 steht die gewerbsmäßige Sterbehilfe unter Strafe. Das Verfassungsgericht entscheidet am Vormittag, ob das Gesetz Bestand haben kann. Ein Überblick.

Die einen wünschen sich nichts mehr als ein selbstbestimmtes Sterben. Die anderen warnen eindringlich vor einer Gesellschaft, in der sich alte und kranke Menschen zum Suizid gedrängt fühlen. Die Kontroverse um Möglichkeiten des assistierten Sterbens wird sehr emotional geführt. Nun wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden: Am Mittwoch gegen 10 Uhr verkünden die Karlsruher Richter ihr Urteil.

Worum genau geht es?

Seit Dezember 2015 stellt Paragraf 217 im Strafgesetzbuch Sterbehilfe als Dienstleistung unter Strafe. Es drohen bis zu drei Jahre Haft. Strafbar macht sich, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“.

Die Politik will damit professionellen Sterbehelfern das Handwerk legen, die tödliche Medikamente stellen oder eine Sterbewohnung organisieren – teils gegen Bezahlung. Sterbehilfe soll nicht gesellschaftsfähig werden.

Was bedeutet das für die Rechtslage?

Das Grundrecht auf Selbstbestimmung umfasst das Recht, frei über den eigenen Tod zu entscheiden. Anders als die aktive Sterbehilfe – die Tötung auf Verlangen – ist die Beihilfe zum Suizid deshalb grundsätzlich straffrei.

So nimmt auch Paragraf 217 ausdrücklich Angehörige und „Nahestehende“ aus. Außerdem ist allgemein anerkannt, dass Mediziner auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten haben, wenn der Patient das nicht mehr möchte. Auf der Palliativstation oder im Hospiz dürfen Ärzte auch schmerzstillende Medikamente geben, die das Risiko bergen, dass der Patient früher stirbt (Hilfe beim Sterben). Paragraf 217 soll eine Lücke schließen.

Wie wirkt sich das Verbot aus?

Der Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch hat seine Aktivitäten weitgehend auf Eis gelegt. Bis 2015 hatten sich laut Vereinsstatistik 254 zahlende Mitglieder das Leben genommen.

Inzwischen gibt es allerdings den Schweizer Ableger StHD: Deutsche Sterbewillige können seit 2018 einen Angehörigen nach Zürich schicken, der mit tödlichem Medikament und „detaillierter Anleitung“ zurückkommt.

Andere weichen ganz in die Schweiz aus: Dort haben sich allein über den Sterbehilfe-Verein Dignitas zwischen 1998 und 2019 insgesamt 1322 Deutsche das Leben genommen, das sind knapp 44 Prozent aller Dignitas-Fälle. Außer den Vereinen klagen in Karlsruhe kranke Menschen, die deren Hilfe nun nicht mehr in Anspruch nehmen können.

Wie ist die Situation der schwerkranken Kläger?

Zwei Kläger, denen Sterbehilfe Deutschland nach den vorgesehenen Prüfungen Suizidunterstützung zugesagt hatte, sind während des langen Verfahrens gestorben.

„Ich habe durchgehalten“, sagt der krebskranke Horst L. im April 2019 in der Verhandlung. Die Kraft dafür habe er aus dem Wissen geschöpft, zur Not selbst die Reißleine ziehen zu können.

Seit dem Verbot sei die Gelassenheit dahin. Ein anderer Kläger, der unheilbar an der Lungenkrankheit COPD leidet, sagt vor dem Urteil dem „Spiegel“: „Ich akzeptiere nicht, dass ein paar Hundert Parlamentarier darüber entscheiden, wie ich zu sterben habe.“

Wie sehen die Verfassungsrichter Paragraf 217?

Sie scheinen das Verbot für zu weitgehend zu halten. In der Verhandlung betont Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ein Grundrecht auf Selbsttötung.

Und gibt zu bedenken: „Sie werden im Augenblick wahrscheinlich keinen Arzt finden, der Sie dabei unterstützt.“ Denn „geschäftsmäßig“ hat nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet so viel wie „auf Wiederholung angelegt“.

Auch Palliativmediziner befürchten deshalb, sich strafbar zu machen – wenn sie Schwerstkranken Opiate zur Linderung in potenziell tödlichen Dosen mit nach Hause geben oder beim „Sterbefasten“ Menschen begleiten, die nicht mehr essen und trinken wollen. Andere Ärzte haben geklagt, weil sie Schwerstkranken mit Todeswunsch in ausweglosen Situationen gern helfen würden.

Welche anderen Lösungen wären denkbar?

Letztlich wäre es Sache der Politik, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu entwickeln. Darüber, welche Vorgaben Karlsruhe machen könnte, lässt sich nur spekulieren. In der Verhandlung wird von der Richterbank kritisch angemerkt, dass der Staat ausgerechnet die sanfteste Art der Selbsttötung faktisch unmöglich gemacht habe. Dabei gebe es offensichtlich eine relevante Gruppe von Menschen, die sich diese Variante wünsche.

Mehrmals taucht damals die Idee einer Beratungslösung auf, ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch – flankiert durch strengste Sicherungsmechanismen wie eine Kontrollkommission oder verbindliche Wartefristen bis zum Vollzug. Voßkuhle damals: „Dann hätte Herr L. noch eine Chance.“

Welche Auswirkungen hat das Urteil noch?

Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 ein aufsehenerregendes Urteil gesprochen: „Im extremen Einzelfall“ dürfe der Staat einem unheilbar Kranken ein Betäubungsmittel nicht verwehren, das diesem „eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht“. Das ist nicht Bestandteil des Karlsruher Verfahrens.

Unter Verweis auf Paragraf 217 lässt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seither aber das zuständige Bundesinstitut sämtliche Anträge kranker Menschen ablehnen – inzwischen mehr als 100. Nun wird sich Spahn möglicherweise neu positionieren müssen. Oder er wartet die nächste Entscheidung ab: Nach Klagen abgelehnter Antragsteller hat das Verwaltungsgericht Köln mehrere Verfahren ausgesetzt – und die Fälle in Karlsruhe vorgelegt. (Anja Semmelroch, dpa)

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