Konflikt über Sterbehilfe: Die Ausrede des Jens Spahn
Der Gesundheitsminister kaschiert seine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Ignoranz gegenüber einem geltenden Gerichtsurteil. Ein Kommentar.
Ende Dezember ist er eingegangen, der vorläufig letzte Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), eine tödliche Dosis für einen Schwerkranken zu genehmigen. Es ist der 102. Und es dürfte ihm ähnlich ergehen wie denen davor. Sie werden abgelehnt. Das CDU-geführte Gesundheitsministerium sperrt sich, den Staat am Thema Sterbehilfe zu beteiligen. Wer sich umbringen möchte, mag es bitte ohne amtliche Hilfe tun, lautet die Botschaft.
Dahinter steht eine ethisch gewiss begründbare Maxime, die aber seit 2017 unter juristischen Druck geraten ist. Damals hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Bundesinstitut in Extremfällen helfen muss. Minister Jens Spahn persönlich hat jedoch auf einem gelben Post-It-Zettel verfügt, das Urteil zu übergehen. Er hält es für falsch und möchte einer eher konservativ und nach wie vor christlich geprägten Wählerschaft nicht erklären müssen, dass der Suizid vom Tabu zum Verwaltungsvorgang wird.
Ärzte und Patienten sind Bei der Sterbehilfe verunsichert
Wird er das? Ende Februar entscheidet das Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren, dass mit Spahns Dilemma im Prinzip wenig zu tun hat. Hier geht es um das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe, das gedacht war, einschlägigen Vereinen das Handwerk zu legen. Tatsächlich trifft es nicht nur diese, sondern verunsichert auch Ärztinnen und Patienten.
Viel spricht dafür, dass es ein Grundsatzurteil zur Autonomie am Lebensende wird. Die vom Grundgesetz geschützte Willensfreiheit, das könnte ein Ergebnis sein, reicht bis in den Tod. Eine derartige Einsicht wäre so neu nicht. Denn was ist letztlich die vollbewusste Entscheidung eines Sterbenskranken für den Behandlungsabbruch anderes als ein Suizid? Und die ist längst akzeptiert und rechtlich abgesichert.
Beispiellose Ignoranz beim Thema Sterbehilfe
Ein solcher Richterspruch kann, aber muss keine Handlungsanweisung für den Gesundheitsminister enthalten. Insofern war und ist es eine Ausrede Spahns, ihn abwarten zu müssen. Er kaschiert damit seine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Ignoranz gegenüber einem für die Regierung geltenden Gerichtsurteil, das längst gefällt worden ist.
Dass Spahns Verhalten jetzt verstärkt in die Debatte kommt, ist erfreulich, denn sein Ministerium hat viel dafür getan, sie mit Informationsblockaden zu unterdrücken. Und wenn er sie führt, dann bevorzugt über jene Medien, die ihm und seiner Linie politisch gewogen sind.
Das Kölner Verwaltungsgericht hat nach einer Tagesspiegel-Klage gegen das Ministerium das Nötige gesagt: Es tut Regierungen in einer Demokratie gut, wenn über ihre Arbeit auch kritisch berichtet werden kann.
Dazu sind interne Regierungsinformationen zuweilen unentbehrlich. Sie müssen für die Presse und damit für die Öffentlichkeit verfügbar sein. Dass Spahn auch diesen Beschluss nicht hinnehmen will, spricht für sich.
Wenn Spahn seine Haltung zur Sterbehilfe korrigiert, werden Verwaltung und Justiz Maßstäbe finden, mit Sterbewilligen umzugehen. Es werden Ausnahmefälle bleiben. Suizid-Optionen wie etwa in den Niederlanden wollen in der Bundesrepublik die wenigsten. Wir haben eine konservative Kultur im Umgang mit dem Tod, und bis auf weiteres ist das auch gut so.