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Die letzte Notlagen-Verlängerung? Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag
© imago images/Achille Abboud

Einigung auf neue "Hospitalisierungs-Inzidenz": Corona-Notlage gilt jetzt bis Ende November – aber warum?

Trotz viel Widerstand werden die Corona-Sonderrechte um drei Monate verlängert. Dafür gilt nun statt der Inzidenz die Hospitalisierungsrate als Richtschnur.

Ein einzelner Demonstrant steht vor dem Reichstagsgebäude, er hat sich ein Pappschild mit der Aufschrift: „Nein zum Pandemie-Ermächtigungsgesetz“ umgehängt. Kein Vergleich zu den tausenden, teils aggressiven Demonstranten bei früheren Bundestagsabstimmungen über die Corona-Sonderdurchgriffsrechte wegen einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Drinnen sagt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): „Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei“. Es gehe darum, dass die Länder und Behörden vor Ort eine Rechtsgrundlage für Maßnahmen wie Maskentragen in Bussen und Bahnen bräuchten, so lange es noch eine hohe Zahl Ungeimpfter gebe.

"Wir erleben im Moment eine Pandemie der Ungeimpften", sagt Spahn. Doch dieses Mal stimmen neben FDP, AfD und Linkspartei auch die Grünen, und damit die gesamte Opposition, gegen eine weitere Verlängerung.

Denn die zentrale Frage ist: Ist die Lage überhaupt noch so gegeben? Am Ende verhelfen die Regierungsfraktionen von Union und SPD mit 325 Stimmen der dreimonatigen Verlängerung bis Ende November zur Mehrheit. Dagegen stimmen 253 Parlamentarier, fünf enthalten sich. Damit wird der Beschluss der Bund-Länder-Runde vom 10. August umgesetzt.

Die Feststellung dieser Not-Lage gibt dem Bund nach dem Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit, ohne Zustimmung des Bundesrates Corona-Verordnungen zu erlassen – etwa zu Tests, Impfungen, Homeoffice-Pflichten oder Einreiseregeln. Und die Länder können Maskenpflichten und Kontaktbeschränkungen verfügen.

Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begründet dies mit der weiter bestehenden „ernsthaften Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland“.

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Droht wirklich noch die Überlastung des Gesundheitssystems?

Es gebe keine epidemische Lage von nationaler Tragweite mehr - dank der Impfungen, betont dagegen etwa der Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek. Der stellvertretende Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) kritisiert immer wieder, dass die Bundesregierung den zentralen Grund für eine Verlängerung, eine weiterhin drohende Überlastung des Gesundheitssystems, überhaupt nicht darlegen könne.

Derzeit sind 836 Menschen wegen einer Covid-19-Erkrankung in intensivmedizinischer Behandlung, knapp 400 davon müssen beatmetet werden. Bei 19.000 verfügbaren Intensivbetten ist damit derzeit keine Überlastung zu erwarten. Bei nun 100 Millionen verabreichten Impfdosen sind 60 Prozent der Bevölkerung komplett geimpft. Nachdem die Ständige Impfkommission die Impfungen auch für Zwölf- bis 17-Jährige empfohlen hat, steigen hier die Impfzahlen – ein wichtiger Faktor, um einen Schulbetrieb mit viel Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Erstmals hatte der Bundestag die Notlage am 25. März 2020 festgestellt, seither wurde sie drei Mal verlängert. Der Bundestag hatte zuletzt am 11. Juni festgestellt, dass die Sonderlage wegen der Pandemie fortbesteht – und nun erneut. Allerdings wird die Pandemiepolitik immer stärker von regionalen Lösungen der Bundesländer bestimmt.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht wegen der vielen Ungeimpften keine Alternative zur Verlängerung.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht wegen der vielen Ungeimpften keine Alternative zur Verlängerung.
© Kay Nietfeld/dpa

Die 50er-Inzidenz ist weg, nun kommt der "Krankenhaus"-Grenzwert

Die wichtigste Änderung, die auch bei Kritikern in der großen Koalition erst den Weg frei gemacht hat, um zuzustimmen: Der Schwellenwert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen ist nun nicht mehr der zentrale Maßstab für den Erlass von Einschränkungen und neuen Auflagen sein.

Künftig wird entscheidend sein, wie hoch die Covid-19-Hospitalisierungsrate ist. Diese Regelung soll über die Änderung des Paragraphen 28a Infektionsschutzgesetzes in einer weiteren Bundestagssitzung am 7. September noch eingefügt werden, der Regierungsentwurf liegt dem Tagesspiegel vor - und damit gibt der Bund die Verantwortung endgültig in die Hände von Ländern und Kommunen: "Wesentlicher Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der stationär zur Behandlung aufgenommenen COVID-19-Patienten je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen (Hospitalisierungs-Inzidenz)", heißt es im Vorschlag der großen Koalition von Union und SPD.

"Der Schwellenwert ist jeweils unter Berücksichtigung der regionalen stationären Versorgungskapazitäten festzusetzen mit dem Ziel, eine drohende Überlastung der regionalen stationären Versorgung zu vermeiden." Das heißt, er wird nicht bundesweit festgelegt, sondern hängt von den Klinikkapazitäten vor Ort ab. Die regionalen und landesbezogenen Hospitalisierungs-Inzidenzen sollen durch die zuständigen Landesbehörden erhoben und veröffentlicht werden.

Länder und Kommunen legen "Hospitalisierungs-Inzidenz" selbst fest

Das bedeutet, dass die Inzidenzen auch bei 200 oder 300 liegen können - wenn dies aber - dank der Schutzwirkung durch die Impfungen - zu weniger schweren Verläufen führt, könnte dies folgenlos für die Freiheiten der Bürger bleiben. Zugleich könnten so aber gerade Schulen und Kitas zu neuen Hotspots werden – also die jüngeren Generationen „durchseucht“ werden, die bis 12 Jahre nicht geimpft werden können.

Nur zur Erinnerung und als Beleg, wie die Impfungen die Lage auch bei der Maßnahmenpolitik von Bund und Ländern ändern: Bis zum Juni galt im Rahmen der ausgelaufenen Bundesnotbremse noch, dass ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 - wie sie in Nordrhein-Westfalen bereits wieder überschritten ist - Ausgangssperren zu verhängen sind.

Die Hospitalisierungsrate - also die Zahl der Klinikeinweisungen in Verbindung mit Corona pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen - gab das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwoch mit 1,47 an. Eine Woche zuvor lag sie bei 1,19. Laut Bundesregierung bewegte sie sich im vergangenen Winter teilweise bei 10 bis 12. Diese Neuregelung soll in einer weiteren Sitzung des Bundestages am 7. September beschlossen werden.

Die Verlängerung der Sonderdurchgriffsrechte jetzt erfolgt auch, da sich nach der Bundestagswahl erst der neue Bundestag (26. September) konstituieren muss und womöglich nicht schnell genug reagieren könnte, falls sich die Infektionslage wieder verschlimmern sollte. Auch die 16 Bundesländer hatten darum gebeten.

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Hamburgs 2-G-Modell als Vorbild

Im Fokus aller Bemühungen steht, die Impfquoten weiter zu steigern, erst bei einer Quote von 85 Prozent gilt die Pandemie aus Sicht des Robert Koch-Instituts dauerhaft kontrollierbar. Um diesem Ziel näher zu kommen, hat Hamburg einen Sonderweg eingeschlagen. Der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat mit seinem Senat beschlossen, dass in der Hansestadt von Samstag an volle Kinos, Kneipen und Theater möglich sind und auch die Sperrstunde fällt – sofern Veranstalter und Wirte nur Geimpfte und Genesene einlassen. Es kann neben diesem Zwei-G-Optionsmodell aber auch weiter das Drei-G-Modell genutzt werden. Dieses bezieht getestete Ungeimpfte mit ein. Dann gelten aber die Auflagen wie begrenzte Personenzahl und Abstände.

Großer Unterschied bei Inzidenz zwischen Ungeimpften und Geimpften

Die 7-Tage-Inzidenz in Hamburg lag Anfang der Woche unter Ungeimpften bei 78; bei Geimpften dagegen nur bei 3,36. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht die Zwei-G-Regelungen aber dennoch kritisch: „Damit verbunden ist so etwas wie eine indirekte Impfpflicht – und eine solche lehnen wir ab.“

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte hingegen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wenn die Fallzahlen weiter so rapide steigen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, dann wird es notwendig werden, die Regeln für Ungeimpfte zu verschärfen.“ Dazu zähle dann auch „eine möglichst konsequente 2G-Regel, zumindest in den Bereichen, wo ein sehr hohes Risiko besteht“.

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