Mehr Freiheiten für Immunisierte: Zu lange wurde die Meinung der Impf-Zögerer bestärkt
Die Debatte über Schnelltests kommt zu spät. Die Politik hätte den Vorrang des Impfens klarer postulieren müssen. Ein Kommentar.
Klarheit ist meist eine gute Richtschnur in der Politik. Dass in einer nicht zuverlässig berechenbaren Situation wie der Corona-Pandemie die gewünschte Klarheit der Aussagen und Prognosen nicht zu leisten ist, darf man der Politik zugestehen. Die zweite Welle schaukelte sich höher, die dritte Welle im Frühjahr lief schneller aus als gedacht. Auch jetzt ist die Lage nicht mit letzter Eindeutigkeit einzuschätzen. Aber in welche Richtung es nach menschlichem Ermessen geht, ist klar: Der kommende Winter wird weniger dramatisch werden als der vorige.
Der Grund dafür ist nicht umstritten: Das Impfen hilft. Ein großer Teil der Bevölkerung hat sich bereits für die Vernunft entschieden. Einige können sich nicht impfen lassen. Viele aber wollen nicht. Sie vor allem sind das Problem in den kommenden Monaten. Nicht wenige werden sich anstecken, dann könnten sie bald darauf als Genesene eingestuft werden. Das Risiko, das sie eingehen, ist in den meisten Fällen gering – aber was ist, wenn sie andere anstecken, bei denen man das nicht behaupten kann?
Höherer Schutz
Auch Geimpfte können ansteckend sein, in manchen Fällen wirkt die Impfung nicht. Aber der Schutz ist erheblich höher, darüber gibt es keine ernsthafte Debatte, und die Weitergabe des Virus ist deutlich eingeschränkt. In einer Gesellschaft von Geimpften wäre Corona in diesem Winter eine relativ unproblematische Angelegenheit, wenn nichts Schlimmeres hinzukommt. Mit einem hohen Prozentsatz an Ungeimpften ist das nicht so.
Aber man habe doch die Tests, damit komme man auch durch, lautet eine gängige Annahme der Impfgegner. Und Testen ist ja auch eine erprobte Möglichkeit, das Leben mit dem Virus zu organisieren. Es wurde monatelang zur (wenn auch vorübergehenden) Normalität.
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Und da ist man wieder beim Punkt Klarheit. Wenn hier ein Fehler gemacht wurde, dann war es das betonte Gleichsetzen von Test und Impfung im Frühjahr. Geimpfte würden nun Getesteten gleichgestellt – man hat den Satz noch im Ohr aus den Tagen, als Anfang April die „Bundesnotbremse“ eingeführt wurde und sich parallel dazu die Frage aufdrängte, welche Grundrechtseinschränkungen man Geimpften eigentlich noch zumuten könne.
Damals wurde gebremst, bis hinauf ins Kanzleramt. Es bestand die Furcht, dass es zu Unmut kommen könnte – in der zuerst noch recht großen ungeimpften und teils auch gar nicht impfwilligen oder indifferenten Mehrheit. Und man wollte nicht, dass Geimpfte als Bevorteilte dastehen.
Falsches Signal
Aber das Signal war eben falsch. Es hätte schon damals mit aller Klarheit heißen müssen, dass Impfen mehr Freiheiten bedeutet. Dass Impfen Vorrang haben muss vor allem anderen. Und man kann sich auch nicht herausreden mit dem Verweis darauf, dass ja nicht alle angesichts des Impfstoffmangels zügig einen Termin bekämen. Man wusste, dass im Lauf des Sommers alle Impfwilligen zumindest ihren ersten Piks haben würden.
Zu lange wurde die Meinung bestärkt oder jedenfalls akzeptiert, mit Testen allein komme man auch durch. Das Ergebnis ist, dass nun angesichts einer nicht ganz befriedigenden Impfquote Druck ausgeübt werden muss auf Impfskeptiker und Impffaulenzer. Oder man sich peinliche "Anreize" ausdenkt. Das müsste nicht sein, wenn man früh mit aller Klarheit auf die Folgen der Nicht-Impfung hingewiesen hätte.
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