Trump contra Biden bei Wahl 2020: Chancen der US-Demokraten auf Mehrheit im Senat steigen
Wer den Senat kontrolliert, bestimmt über Verfassungsrichter, Minister, Behördenleiter. Bidens Vize könnte zum Zünglein an der Waage werden. Eine Analyse.
Mit Blick auf die US-Wahl richten sich alle Augen auf das Duell Donald Trump gegen Joe Biden. Dabei haben andere Wahlergebnisse ebenfalls eine weitreichende Bedeutung für die Machtverteilung in den USA, allen voran der Ausgang des Kampfs um die Mehrheit im Senat.
Der Senat entscheidet über die Berufung von Verfassungsrichtern, Ministern und Behördenleitern. Er hat auch Gewicht in der Außen- und Sicherheitspolitik. Neuerdings stehen die Chancen der Demokraten, die Mehrheit im Senat zu erobern, gar nicht mehr so schlecht.
Generell wird die Frage, ob der nächste US-Präsident relativ unbeschränkt agieren kann oder der Kongress ein Gegengewicht bildet, erst durch das Zusammenspiel der Ergebnisse am Wahltag 3. November entschieden. Der Kongress hat eine Menge Macht – jedenfalls dann, wenn sich die beiden Kammern nicht gegenseitig blockieren. Wenn sie sich hingegen einig sind, können sie die Macht des Präsidenten spürbar beschneiden oder seine Macht erheblich erweitern – je nachdem, ob seine Partei beide Kongresskammern kontrolliert oder das Gegenlager dort die Mehrheit hat.
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Alle drei Institution in der Hand einer Partei – Weißes Haus, Repräsentantenhaus, Senat – das war, zum Beispiel, in den beiden ersten Amtsjahren Barack Obamas der Fall. In die Jahren 2009 bis 2011 fielen alle seine bedeutenden Reformen; danach war er durch die republikanische Kongressmehrheit blockiert.
Auch Trump konnte sich in seinen ersten beiden Amtsjahren auf eigene Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat stützen. So setzte er seine Steuerreform durch und erzielte bedeutende Fortschritte bei der Ernennung konservativer Richter am Supreme Court und an den Obergerichten.
Derzeit haben die Republikaner die Mehrheit: 53 zu 47
Derzeit haben im Repräsentantenhaus die Demokraten die Mehrheit, im Senat die Republikaner. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich das ändert, galt bisher als gering. Das hat sich nun jedoch geändert. Der parteipolitisch neutrale „Cook Report“ bewertet die Wahrscheinlichkeit des Mehrheitswechsels im Senat mit 50 zu 50. Das sagte seine Expertin für den Senat, Jessica Taylor, der "Washington Post".
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Momentan kontrollieren die Republikaner 53, die Demokraten 47 Sitze. Die Demokraten müssten also netto vier Mandate hinzugewinnen, um die Mehrheit zu kippen. Oder zumindest netto drei unter der Annahme, dass Biden die Präsidentschaftswahl gewinnt und sein weiblicher "Running Mate" – er will mit einer Frau antreten – Vizepräsidentin wird. Bei Stimmengleichheit im Senat gibt das Votum der Vizepräsidentin den Ausschlag.
Drei oder vier Sitze hinzugewinnen: Das ist nach neuen Umfragen aus den am stärksten umkämpften "Swing States", in denen derzeit die Republikaner den Senatssitz kontrollieren, nicht aussichtslos. Die besten Chancen eröffnen sich für die Demokraten in Colorado und Maine, gefolgt von Arizona, Iowa, Montana und North Carolina.
Sweet Home Alabama – ein Plus für die Konservativen
Freilich muss man auch hier auf den Unterschied zwischen "Netto" und "Brutto" achten. Für jeden Senatssitz, den die Demokraten an die Republikaner verlieren, müssen sie zusätzlich einen mehr von den Republikanern zurückgewinnen, um "netto" auf die erforderliche Zahl für die Mehrheit zu kommen. Es gilt als nahezu sicher, dass sie mindestens ein Mandat an die Republikaner abgeben werden: den Senatssitz für Alabama, den sie in einer Ausnahmekonstellation erobert hatten. Die Song-Zeile "Sweet Home Alabama" gilt politisch für Trumps Partei. Gefährdet ist auch die Wiederwahl des Demokraten Gary Peters in Michigan. Das würde aus den netto drei bis vier Mandaten brutto fünf bis sechs Mandate machen, die die Demokraten erobern müssen.
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Auch das ist nicht unmöglich. Alles in allem ist die Schlachtordnung für den Kampf um die Senatsmehrheit 2020 für die Republikaner schwieriger. 35 der 100 Senatssitze stehen zur Wahl. 23 davon müssen die Republikaner verteidigen, die Demokraten zwölf. 2018 war das noch umgekehrt.
In zehn Staaten mit knappen Senatsrennen haben die demokratischen Herausforderer mehr Spendengelder eingesammelt als die republikanischen Amtsinhaber: Alaska, Arizona, Colorado, Georgia, Kansas, Kentucky, Maine, Montana, North Carolina and South Carolina. Umgekehrt gibt es nur einen Fall: Die republikanische Senatorin in Iowa, Joni Ernst, hat ein gut gefülltes Wahlkampfkonto. Wer für die Demokraten gegen sie antritt, steht noch nicht fest. Die Person wird einen Startnachteil haben.
Knappe Senatsrennen folgen dem Trend Trump gegen Biden
Entschieden ist noch gar nichts. Die Momentaufnahme fünfeinhalb Monate vor der Wahl zeigt lediglich, dass sich die Aussichten der Demokraten auf eine Senatsmehrheit verbessert haben – von eher unwahrscheinlich auf 50 zu 50.
Viel hängt davon ab, wie sich das Präsidentschaftsrennen zwischen Trump und Biden entwickelt. Denn die republikanischen Senatsbewerber haben keine andere Wahl, als sich an Trump anzuhängen. Würden sie sich ausdrücklich von ihm distanzieren, sinken ihre Chancen, darin sind sich die Wahlstrategen beider Seiten ziemlich einig.
2020 folgen knappe Senatsrennen stärker als sonst dem Trend an der Spitze, analysieren diese Experten. Biden liegt im Schnitt der Umfragen derzeit 4,4 Prozentpunkte vor Trump. Zur Momentaufnahme gehört auch der Eindruck, dass Trump die Coronavirus-Krise schlecht manage. Zudem befürchten viele US-Bürger eine sich lange hinziehende Wirtschaftskrise.
Wenn sich dieses Bild verfestigt und wenn sich die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt bis zum Herbst nicht spürbar bessern, könnte mit dem Weißen Haus auch der Senat unter demokratische Kontrolle kommen. Gelingt Trump hingegen die Stimmungswende, kann er in einer zweiten Amtszeit wohl auch weiter auf einen republikanischen Senat bauen.