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Der Kongressabgeordnete Justin Amash aus Michigan tritt für die Libertären im Präsidentschaftswahlkampf an.
© BILL PUGLIANO / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / AFP

Justin Amash im US-Präsidentschaftswahlkampf: Der dritte Mann, der bei Trump und Biden zugleich wildern kann

Justin Amash tritt für die Libertären im Kampf ums Weiße Haus an. Wem nimmt er mehr Stimmen weg: Trump oder Biden? Er könnte die Wahl entscheiden. Eine Analyse

Die Nachricht ließ die Alarmglocken in den beiden großen Wahlkampfzentralen klingeln, bei Demokraten wie Republikanern: Der parteilose Kongressabgeordnete Justin Amash aus Michigan steigt in den Präsidentschaftswahlkampf ein. Der 40-Jährige will für die Libertäre Partei antreten.

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Ist das ernst zu nehmen? Unbedingt. Nicht weil Amash Aussichten hätte, Präsident zu werden. In dem Sinne ist er chancenlos.

Doch seine Kandidatur kann den Kampf ums Weiße Haus entscheiden - je nachdem, welchen der beiden Hauptbewerber Amashs Bewerbung mehr Wählerstimmen kostet, Amtsinhaber Donald Trump oder Herausforderer Joe Biden. In beiden Lagern gibt es zahlreiche Anhänger, die ihr Kreuz im November bei Amash machen könnten, weil sie mit dem Personalangebot ihrer Partei unzufrieden sind. Das gilt erst recht für "Independents", die nicht parteigebundenen Wähler.

Zwei Mal in den letzten drei Jahrzehnten hat solch ein dritter Kandidat den Favoriten ins Stolpern gebracht. Im Wahljahr 1992 hatte das republikanische Lager um Amtsinhaber George H. W. Bush einen Vorsprung vor dem Demokraten Bill Clinton. Doch dann trat Milliardär Ross Perot als Unabhängiger an. Seine Hauptforderung: Schluss mit dem Schuldenmachen, Rückkehr zu ausgeglichenen Budgets. Er bekam 18,9 Prozent der Stimmen und kostete Bush Vater die Wiederwahl. Bill Clinton wurde Präsident; er erhielt 43 Prozent der Stimmen, Bush 37,4 Prozent.

Im Jahr 2000 spielte der Verbraucheranwalt Ralph Nader eine Schlüsselrolle im Rennen um das Weiße Haus, freilich mit geringeren Stimmanteilen. Nader trat für die Green Party an. Er gewann 2,74 Prozent der Stimmen, der Demokrat Al Gore 48,4 Prozent, der Republikaner Georg W. Bush 47,9 Prozent.

Ideologische Schnittmengen mit Linken und mit Rechten

Der Wahlausgang nach Wahlmännerstimmen wurde in Florida entschieden. Der Staat wurde nach mehreren Gerichtsverfahren Bush zugesprochen mit 537 Stimmen Vorsprung. Nader hatte in Florida 97.421 Stimmen gewonnen. Nader galt fortan als "Spoiler" (Spielverderber), der Gore den Sieg gekostet und Bush zur Präsidentschaft verholfen hatte.

Und nun, 2020, also Justin Amash. Er war Republikaner und hatte sein Kongressmandat 2010 als Unterstützer der "Tea Party"-Bewegung errungen. Am 4. Juli 2019, dem "Independence Day", hat er die Republikanische Partei verlassen. Jetzt will er mit Hilfe der Libertarian Party seinen Einfluss auf die US-Politik steigern. Seine Eltern sind palästinensische Christen, die 1956 in die USA einwanderten. Justin Amash hat Jura an der University of Michigan studiert.

Joe Biden (l), der ehemalige Vizepräsident der USA und der einzig verbliebene Präsidentschaftsbewerber der US-Demokraten, und US-Präsident Donald Trump
Joe Biden (l), der ehemalige Vizepräsident der USA und der einzig verbliebene Präsidentschaftsbewerber der US-Demokraten, und US-Präsident Donald Trump
© ROURKE/SEMANSKY/AP/dpa

Mit dem Verständnis, was Libertäre sind und was an ihrem Weltbild anziehend auf viele Wähler wirkt, tun sich Deutsche und andere Europäer mitunter schwer, weil die Bewegung nicht in die hiesigen Vorstellungen von Rechts und Links passt. Sie wollen, zum Beispiel, den Staat und das Militär klein halten und wenden sich gegen die Vielzahl amerikanischer Auslandseinsätze.

Das klingt nach linkem Antiimperialismus. Anders als Sozialkonservative führen sie keine Glaubenskriege gegen Homosexuelle oder Abtreibung, denn die sexuelle Orientierung gehe den Staat nichts an. Generell soll der Staat nicht so oft regelnd eingreifen. Das klingt liberal. Wie viele Konservative lehnen sie aber auch den Ausbau des Sozialstaats ab und setzen auf die Eigenverantwortung der Bürger.

So hat die libertäre Bewegung ideologische Schnittmengen mit Linken wie Rechten, mit Demokraten wie Republikanern. Ihre prominentesten Vertreter in den USA waren in den letzten zwei Jahrzehnten der texanische Arzt, Kongressabgeordnete und Präsidentschaftsbewerber Ron Paul sowie sein Sohn Rand Paul, aktuell Senator für den Staat Kentucky.

Besonders attraktiv wirken die Libertären auf junge Amerikaner. Ron Paul, der 1988, 2008 und 2012 für das Weiße Haus kandidierte, zog in den besten Zeiten bis zu einem Drittel der Erstwähler an und hatte Zehntausende freiwillige Wahlkampfhelfer, vor allem Teens und Twens.

Viele Wähler sind doppelt unzufrieden: mit Trump und mit Biden

Unter diesen Voraussetzungen ist nicht ausgemacht, aus welchem Lager ein Präsidentschaftskandidat Justin Amash mehr Stimmen abzieht. Ob er also eher eine Gefahr für Donald Trump ist, weil Amash aus der Republikanischen Partei kommt und dort bis zu seinem Austritt zu den dezidierten Trump-Kritikern zählte? Er hat für die Amtsenthebung Trumps gestimmt. Oder ob er eher Bidens Chancen verringert, weil er Wählern, die Trump ablehnen, aber Biden auch nicht so gut finden, eine Alternative bietet?

Die Frage, wo Amash mehr wildert, bei Konservativen oder Progressiven, geht freilich an der Motivation der Libertären vorbei. Ihr Ziel ist, dass möglichst viele US-Bürger die Gelegenheit haben, ihre doppelte Unzufriedenheit auszudrücken. Ihre Unzufriedenheit mit Trump wie ihre Unzufriedenheit mit Biden.

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