Was vom Koalitionsgipfel bleibt: Beschlüsse für fast zehn Milliarden Euro – Impfkrach schwelt weiter
Bloß kein vorgezogener Wahlkampf: Im Kanzleramt reißen sich die Koalitionsspitzen bei Armin Laschets Premiere zusammen. Aber der schöne Schein trügt.
Einige, die nicht im Bundeskabinett sitzen, wunderten sich schon, warum in den ersten Minuten beim Koalitionsgipfel eine gewisse Spannung im Saal zu spüren war. Offensichtlich hallte noch ein ungewöhnlicher Wutausbruch von Olaf Scholz nach.
Der Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat hatte zu Wochenbeginn im Corona-Kabinett dem Vernehmen nach gesagt: Dass mit der Impfstoffbestellung der EU-Kommission sei „scheiße gelaufen“, die EU hätte mehr Impfstoff bestellen sollen. Und man müsse jetzt aufpassen, „dass beim Impfen nicht die nächste Scheiße passiert“.
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Aber dank des „Neuen“ in der Runde, dem frisch gekürten CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, legte sich die Anspannung schnell. Für jeden Teilnehmer von CDU, CSU und SPD gab es von Laschet als Einstandsgeschenk einen Band mit Gedichten von Heinrich Heine.
Und auch am Tag danach wird vor allem die gute, harmonische Atmosphäre betont. Alle Seiten waren nach den Differenzen beim Impfprozess bemüht, Handlungskraft zu beweisen. Laschet war es wichtig, Gemeinsamkeiten in der Pandemie-Bewältigung durch die Große Koalition zu stärken und Spannungen abzubauen, hieß es aus der CDU.
Über Hilfen für Familien und für mittelständische Betriebe gab es schnell Einigkeit – letztlich wurden fast alle Wünsche erfüllt, jeder konnte seine Handschrift wiederfinden.
Beschlüsse für fast 10 Milliarden Euro
Kinderbonus: Familien erhalten wie schon im vergangenen Jahr einen Kinderbonus. Der Zuschlag auf das Kindergeld soll einmalig 150 Euro betragen, nicht aber 300 Euro wie im vergangenen Jahr. Er wird mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet, aber nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Das bedeutet, dass höhere Einkommen davon nicht profitieren. Die Kosten des weiteren Aufschlags, der auch mit den durch Kita- und Schulschließungen fehlenden kostenlosen Essen begründet wird, beträgt rund 2,1 Milliarden Euro.
Corona-Zuschuss/Grundsicherung: Einen einmaligen Corona-Zuschuss von 150 Euro sollen auch erwachsene Grundsicherungsempfänger bekommen, das war wie der Kindebonus der SPD ein wichtiges Anliegen, da vor allem die Ärmsten in der Gesellschaft besonders betroffen seien. Die Kosten hierfür werden auf 0,9 Milliarden beziffert. Für plötzlich in Not geratenen Selbstständige und Beschäftigte mit kleinen Einkommen wird der erleichterte Zugang in die Grundsicherung bis Ende 2021 verlängert.
Mehrwertsteuer: Eigentlich galt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Speisen in Cafés und Restaurants nur bis Ende Juni. Da die Gastronomie aber besonders betroffen ist von den Folgen des Lockdowns mit Schließungen seit November und sie entsprechend davon – außer für Abhol-Speisen – kaum profitieren konnte, soll der verminderte Satz auf Wunsch der Union bis Ende 2022 gelten: Kosten: rund 3,4 Milliarden.
Kultur: Das Rettungs- und Zukunftsprogramm „Neustart Kultur“ wird verlängert. Dazu wird ein Anschlussprogramm mit einer Ausstattung von einer weiteren Milliarde Euro aufgelegt, die bisherige Milliarde ist praktisch aufgebraucht. Zudem gibt es einen Ausfallfonds für Veranstaltungen, die jetzt für die zweite Jahreshälfte geplant werden, aber dann wegen möglicher erneuter Einschränkungen nicht stattfinden könnten.
Unternehmen: Die große Koalition greift Unternehmen mit coronabedingten Verlusten stärker unter die Arme. Durch einen erweiterten Verlustrücktrag können sie diese Einbußen künftig in der Steuererklärung umfangreicher als bisher mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnen. Vorgesehen ist, den Verlustrücktrag zu verdoppeln - auf maximal 10 Millionen Euro und 20 Millionen bei Zusammenveranlagung. Die Kosten hierfür könnten bei knapp einer Milliarde Euro liegen.
Haushalt: Nach SPD-Angaben können die neuen Hilfen ohne einen Nachtragshaushalt im bestehenden Finanzrahmen finanziert werden. Dennoch hält die SPD-Seite auch für den Haushalt 2022 ein Aussetzen der Schuldenbremse für notwendig. Darüber wird in den nächsten Tagen weiter beraten, bis März müssen die Haushalts-Eckwerte stehen. Und die Union wird hier noch Farbe bekennen müssen, nachdem der Vorschlag von Kanzleramtschef Helge Braun für ein mehrjähriges Lockern mit größeren Verschuldungsregeln auch von Laschet klar abgelehnt worden ist.
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Ein bisschen Frieden
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt, die gute Stimmung sei nicht zwingend zu erwarten gewesen, „weil man ja bei den einen oder anderen Äußerungen im Vorfeld schon das Gefühl hatte, dass man sich auch im Wahlkampfmodus befinden könnte“. Dieser Verdacht habe sich „so nicht bestätigt“.
Aber natürlich ist das auch ein wenig Show – spätestens wenn feststeht, ob Laschet oder Markus Söder die Union in den Wahlkampf führt, wird es rauer und schwieriger werden.
Doch nicht alles, was sich gut anhört, trifft bei den Bürgern auf Begeisterung. In einem Bürgergespräch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Eltern und Alleinerziehenden betont eine junge Mutter am Tag nach dem Koalitionsgipfel, der Kinderbonus von 150 Euro sei "nur ein Tropfen auf den heißen Stein".
Die Hälfte gehe an den Unterhalt zahlenden Vater, 75 Euro seien für die Tochter, die etwa in der Schule medizinische Masken tragen müsse, viel zu wenig. Merkel verspricht nochmal mit Familienministerin Franziska Giffey (SPD) zu sprechen, vor allem wegen der hälftigen Abgabe an den Vater, obwohl die alleinerziehende Mutter alle Lasten trage.
Scholz hat übrigens letztens auch mit Familien aus dem ganzen Land gesprochen, aber ohne eine Live-Übertragung. Merkel ist sichtlich um Empathie bemüht, um die Nöte der Eltern zu verstehen. "Wir wollen die Schulen ja als erstes wieder aufmachen."
Impfstreit schwelt weiter
Nachdem zuletzt das Zutrauen in das Krisenmanagement deutlich gesunken war, spüren auch die Koalitionäre, dass die Stimmung zu kippen droht, das zeigt auch Merkels Bürgergespräch. Und das Impfthema setzt alle unter großen Druck, die Fragen sind zu komplex für einfache Schuldzuweisungen.
Aber während Angela Merkel in der ARD sagte, „im Großen und Ganzen ist nichts schiefgelaufen“, sieht Scholz das ganz anders. Er steht auch unter Druck, als Kanzlerkandidat aus der Regierung heraus, mehr klare Kante zu zeigen. Zudem gibt es in vielen Bundesländern erheblichen Unmut über falsche Erwartungen und fehlende Klarheit für Impftermine. Doch die härtere Linie in der Koalition zeitigt bisher keinen Niederschlag in besseren Umfragen. Es ist vor allem die FDP, die mit ihrer beharrlichen Kritik etwas zulegen kann.
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Zumindest konnte bei dem jüngsten Impfgespräch den Herstellern die Zusicherung abgerungen werden, jeweils für rund drei Wochen Liefermengen zuzusichern, um auf dieser Basis Hochrechnungen anstellen zu können und verbindliche Impfeinladungen auszusprechen. Aber selbst über 80-Jährige berichten zum Teil, jetzt erst für Ende März mit der ersten Impfung rechnen zu können.
Vor allem Merkel versucht EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) in Schutz zu nehmen, während andere unter Verweis auf die Zeit als Verteidigungsministerin betonen, von der Leyen habe auch schon in früheren Verwendungen etwas Probleme mit dem Beschaffungswesen gehabt. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll wiederholt auf Verzögerungen und Probleme bei den Verhandlungen unter Federführung von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hingewiesen haben.
Das Thema köchelt weiter – aber in den nächsten Wochen wird es erstmal entscheidend darauf ankommen, ob ein stufenweiser Ausweg aus dem Lockdown gelingt. So könnten als erstes Grundschulen und Kitas geöffnet werden. Dazu gibt es dann nächste Woche die Entscheidungen – dann wieder bei einer virtuellen Bund/Länder-Schalte am 10. Februar.
Und Merkel scheint zu spüren, dass die Aussage „im Großen und Ganzen“ sei beim Impfen nichts schief gelaufen, gesagt am Dienstag in der ARD, suboptimal war. Daher geht sie gleich wieder ins Fernsehen, an diesem Donnerstagabend stellt sie sich einem Interview bei RTL und ntv.