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Die Corona-Krise trifft die Ärmsten der Gesellschaft besonders hart.
© imago images

Finanzielle Zusatzlasten, weniger Unterstützung: So trifft Corona die Ärmsten

Nach den Sozialverbänden fordert nun auch die SPD einen monatlichen Corona-Zuschuss für Menschen im Hartz-IV-Bezug. Was würde der bringen?

Finanzielle Belastungen, wegfallende Unterstützungsangebote, beengtere Wohnverhältnisse im Lockdown: Die Coronakrise treffe die Ärmsten der Gesellschaft am härtesten, kritisieren Sozialverbände. Nun hat Sozialminister Hubertus Heil (SPD) die Forderung nach einem Corona-Zuschuss für Hartz-IV-Empfänger aufgegriffen: Zusätzlich zum Regelsatz soll es in der Krise einen monatlichen Zuschuss geben. Die SPD-Führung will das Anliegen im Koalitionsausschuss durchsetzen – und hofft darauf, dass der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet dafür ein offenes Ohr hat.

Trifft die Krise Hartz-IV-Bezieher finanziell stärker als andere?

Viele Menschen geben wegen der Pandemie mehr Geld für bestimmte Produkte aus, etwa für Hygieneartikel oder Mund-Nasenschutz. Wer mehr Zeit zu Hause verbringt, kommt in der Regel auch auf eine höhere Strom- oder Heizungsrechnung. Auch wenn die Inflationsrate insgesamt sehr niedrig war, so sind doch die Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr überdurchschnittlich stark gestiegen: Sie verteuerten sich im Schnitt um 2,4 Prozent, die Obstpreise stiegen sogar um mehr als sieben Prozent.

Von solchen Preissteigerungen sind zwar grundsätzlich alle betroffen. Doch wer Hartz IV bezieht, gibt automatisch einen höheren Anteil seines Einkommens für alltägliche Dinge wie Lebensmittel aus, steigende Preise schlagen sich in dieser Personengruppe also stärker nieder. Und ohnehin seien die Hartz-IV-Regelsätze zu knapp bemessen, kritisieren die Sozialverbände schon seit längerem.

So sind beispielsweise für medizinische Produkte gerade einmal 2,63 Euro im Monat vorgesehen, für die Gesundheitspflege werden insgesamt 17 Euro veranschlagt. Während einkommensstärkere Gruppen durch wegfallende Ausgaben für Restaurantbesuche oder Freizeitaktivitäten häufig sogar Geld sparten, hätten Arme solche Effekte nicht, argumentiert etwa der Paritätische Gesamtverband.

Doch es gibt auch Gegenstimmen. Hartz-IV-Bezieher seien nicht die Personengruppe, die finanziell in der Krise besonders getroffen seien, entgegnet der Armutsforscher Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Immerhin wissen sie, dass sie weiter staatliche Unterstützung bekommen, während viele Freiberufler ganz ohne Einkünfte dastehen oder viele Angestellte in Kurzarbeit sind.“

Wie stark leiden Familien im Hartz-IV-Bezug unter der aktuellen Krise?

Weil Schulen und Kitas geschlossen sind, fällt derzeit häufig die Versorgung mit einem kostenlosen Mittagessen aus. Bundesweit betrifft das rund 450.000 Kinder. Zwar hat die Bundesregierung im letzten Jahr in ihr Sozialschutzpaket eine Regelung aufgenommen, nach der wegen der Corona-Pandemie ein solches Mittagessen auch außerhalb der Schule angeboten werden kann – sei es als Essenspaket zum Abholen oder als Mittagessen per Lieferdienst, wie es in Potsdam angeboten wird. Doch in vielen Städten hapert es an der Umsetzung.

Die durch die Pandemie wegfallende Versorgung in der Schule trifft viele Kinder in Deutschland. (Illustration).
Die durch die Pandemie wegfallende Versorgung in der Schule trifft viele Kinder in Deutschland. (Illustration).
© picture alliance / ZB

Außerdem es geht nicht nur um die materielle Situation von Familien: Beengtere Wohnungen, kein eigenes Kinderzimmer – all das macht sich in Zeiten des Lockdowns und des Distanzlernens von zu Hause besonders bemerkbar. Hinzu kommt, dass Eltern aus bildungsfernen Milieus Schwierigkeiten haben, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen.

Was tut die Bundesregierung bisher, um Menschen in Hartz IV zu unterstützen?

Die Bundesregierung habe Hartz-IV-Bezieher in der Krise nicht vergessen, sagt Armutsforscher Grabka. So sei der Kinderbonus – ein Aufschlag von 300 Euro auf das Kindergeld, den es im letzten Herbst in zwei Tranchen gab – auch in der Grundsicherung gezahlt worden. Das Versprechen von kostenlosen FFP2-Masken ist aus Grabkas Sicht eine „weitere Geste“. Ähnlich wie bisher Senioren und Risikogruppen sollen Hartz-IV-Bezieher künftig kostenlos zehn FFP2-Masken zur Verfügung gestellt bekommen.

Die Betroffenen würden „zügig“ ein Schreiben von ihrer Krankenversicherung bekommen, kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor kurzem an. Mit diesem und dem Personalausweis könnten die Masken dann innerhalb von zwei Wochen bei der Apotheke abgeholt werden. Es sei „wichtig, dass wir in dieser Situation die gesamte Gesellschaft im Blick haben und keine sozialen Spaltungen hinterlassen“, sagte Sozialminister Heil. Er machte zugleich deutlich, dass es aus seiner Sicht nicht bei zehn kostenlosen Masken bleiben soll.

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Um Kinder aus ärmeren Familien zu unterstützen, sollen die Jobcenter ab sofort die Kosten für Tablets, Laptops oder auch Drucker übernehmen, damit diese auch von zu Hause aus am Distanzunterricht teilnehmen können. All das löst allerdings noch nicht ein Problem, das DIW-Forscher Grabka beschreibt: In der Coronakrise hätten gerade Kinder aus bildungsfernen Familien unter den momentanen Schul- und Kitaschließungen zu leiden. „Die Netzwerke, die Familien sonst unterstützen, fallen weg.“

Was bedeutet es, wenn Unterstützungsleistungen wegfallen?

Viele Einrichtungen, die es sonst zur Unterstützung in schwierigen Lebenslagen gibt, sind in der Coronakrise geschlossen oder zumindest nur eingeschränkt nutzbar. So geht es zum Beispiel auch den Tafeln. „Vielen Tafeln fehlt es an Helferinnen und Helfern“, heißt es beim Bundesverband. Das liege daran, dass mehr als zwei Drittel der 60.000 Tafel-Aktiven älter seien und damit zur schützenswerten Gruppe gehörten.

Die Essensausgabe von Tafeln ist in der Pandemie stark eingeschränkt. (Archivfoto)
Die Essensausgabe von Tafeln ist in der Pandemie stark eingeschränkt. (Archivfoto)
© picture alliance / Annette Riedl

Zwar können derzeit in den meisten Tafeln wieder Lebensmittel verteilt werden, unter anderem weil die Lebensmittelausgabe ins Freie verlagert wurde oder feste Abholzeiten vereinbart werden. Die Angebote seien vielerorts aber weiterhin stark eingeschränkt. Andere Freizeitangebote können gar nicht stattfinden – vom Seniorencafé bis zum Nachhilfeunterricht.

Der Bundesverband verweist darauf, dass die Tafeln normalerweise nicht nur ein Ort der Lebensmittelausgabe seien, sondern für viele auch ein sozialer Treffpunkt: „Besonders in Krisenzeiten ist es dramatisch für armutsbetroffene Menschen, auf diese Begegnungen und Beziehungen zu verzichten.“

Wie hoch könnte der Corona-Zuschuss konkret ausfallen?

Die Sozialverbände fordern einen Krisen-Zuschuss von monatlich 100 Euro als Ausgleich für die gestiegenen Kosten. Die Grünen sprechen sich für einen Aufschlag von 100 Euro pro Erwachsenen und 60 pro Kind aus. Es spiele eine zentralen Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wie solidarisch in einer so außergewöhnlichen Krise mit Menschen in Not umgegangen werde, argumentiert Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sozialminister Heil hat sich bisher noch auf keine konkrete Größenordnung festgelegt. Doch die Not in dieser Bevölkerungsgruppe sei „offenkundig“, sagt SPD-Chefin Saskia Esken.

Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Willy-Brandt-Haus.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Willy-Brandt-Haus.
© dpa/Kay Nietfeld

Auch unabhängig von der Krise fordern die Sozialverbände eine Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze – ebenso wie die Oppositionsparteien Linke und Grüne. Die Anhebung um 14 Euro zum Jahresanfang sei „realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. „Hartz IV schützt nicht vor Armut, es manifestiert sie“, sagt er – und fordert einen monatlichen Betrag von mindestens 600 Euro, um das Existenzminimum abzudecken. Seit Januar dieses Jahres beträgt der monatliche Regelsatz für Alleinstehende 446 Euro im Monat, hinzu kommen die Zahlungen für die Miete.

Wie stehen die Chancen auf Umsetzung?

Einen ersten Anlauf von Sozialminister Heil hat die Union abgelehnt. Ob die SPD dieses Mal mit ihrem Anliegen durchkommt, wird sich bei den Beratungen des Koalitionsausschusses am kommenden Mittwoch zeigen. Klar ist: Die Frage, ob es in der Krise eine soziale Schieflage gibt, wird heute intensiver gestellt als noch vor einem halben Jahr. Den Vorwurf, Milliardenhilfen an Großunternehmen zu zahlen, aber nicht genug für die Ärmsten in der Gesellschaft zu tun, wollen sich wohl weder Union noch SPD gefallen lassen.

Die Sozialdemokraten haben sich außerdem eine weitere Hartz IV-Reform vorgenommen: So hatte die Koalition während der Krise den Zugang zur Grundsicherung erleichtert. „Das hat sich bewährt und muss beibehalten werden“, fordert nun Parteichefin Esken. So soll laut SPD in den ersten zwei Jahren in Hartz IV die Angemessenheit der Wohnung nicht mehr überprüft werden und auch mit Vermögen etwas großzügiger umgegangen werden. Einen Gesetzentwurf hat Sozialminister Heil bereits vorgelegt.

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