Bundestagswahlkampf: Bei der Bildung klotzen, nicht kleckern
Lehrer müssen weiter über Unterrichtsinhalte entscheiden und regionale Besonderheiten berücksichtigt werden. Aber Bildung ist auch eine nationale Aufgabe. Ein Kommentar.
Kommender Montag, acht Uhr in Deutschland: „Öffnet eure Bücher auf Seite 21!“, sagen zehntausende Lehrkräfte zwischen Garmisch und Kiel wie aus einem Mund – und Hunderttausende von Siebtklässlern landauf, landab beugen sich synchron über denselben Text. Alle sind am selben Tag aus den Ferien zurückgekommen. Festgelegt hat ihn das Bundesbildungsministerium. Es hat auch verfügt, dass Spanisch bundesweit die zweite Fremdsprache ist. Und dass alle 450.000 Abiturienten am 10. Mai Abitur schreiben. Natürlich mit denselben Aufgaben (auf bayerischem Niveau) und immer nach dreizehn Schuljahren.
Die Schule als Paradies für mobile Familien – könnte diese Fantasie wahr werden, wenn nur endlich das Kooperationsverbot fällt, das eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik grundsätzlich untersagt? Wohl kaum, selbst wenn die SPD vor der Wahl „mehr Vergleichbarkeit von Bildungsinhalten und Schulabschlüssen“ verspricht. Eine Föderalismusreform, die dermaßen tief in die Urhoheit der Länder eingriffe, hätte keine Chance auf Umsetzung.
Und das ist auch gut so. Eine geklonte Schulwelt, in der nicht mehr die Lehrkräfte entscheiden, ob sie mit der Klasse lieber ein Gedicht von Schiller oder eins von Goethe durchnehmen, kann sich niemand wünschen.
Gedichte, Ferien, Sprachen: Nicht alles muss synchron laufen
Auch ist hinzunehmen, dass etwa bayerische Eltern andere Vorstellungen von der Sprachenfolge haben können als die im Saarland. Und dass der Gedanke, die Schulpolitik der SPD in den Ländern könnte bundesweit auf die Fläche übertragen werden, nicht allen gefallen würde. Zu akzeptieren ist ferner, dass ein nationaler Stichtag für das Abitur schon deshalb nicht infrage kommt, weil die Tourismusindustrie sich niemals mit nationalen Schulferien von insgesamt nur sechs Wochen begnügen würde.
So wird die Kultusministerkonferenz sich auch zukünftig mit mäßigem Erfolg darum bemühen, die negativen Folgen des Bildungsföderalismus hier und da ein wenig einzuhegen: wie sie es aktuell mit den gemeinsamen Bildungsstandards und dem Aufgabenpool für das Abitur versucht, aus dem sich neuerdings alle Länder bedienen.
Bildung hängt vom Wohnort ab - das muss sich ändern
Deutschlands Bildungswesen ist und bleibt föderal organisiert. Dennoch sollte Bildung auch eine nationale Aufgabe sein. Ihre Bedeutung für die Zukunft des Landes ist einfach zu groß, um den Bund als Impuls- und Finanzgeber auszusperren.
Bildungschancen hängen vom Wohnort ab, stellt die Bertelsmann-Stiftung gerade mit Blick auf die Kitas fest. Das ist nicht hinnehmbar. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat schon 2008 zusammen mit den Ländern die „Bildungsrepublik“ ausgerufen. Ein Ruck ist dadurch nicht durchs Land gegangen. Und das damals verabredete Ziel, den Anteil an Jugendlichen ohne Schulabschluss zu halbieren, wurde auch nicht erreicht.
Ein großer Wurf ist nötig - auch für Selbstverständlichkeiten
Auch darum ist der Wahlkampf für die SPD sowie für die Grünen, die Linken und die FDP eine gute Gelegenheit, einen großen Wurf und die Abschaffung des Kooperationsverbots in seiner jetzigen Form zu fordern, an dem die Union festhält. Dort, wo SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht übergriffig in die Lehrpläne hineinregieren will, sind seine Ideen dafür durchaus sinnvoll: 12 Milliarden Euro soll der Bund zusätzlich in Kitas und Schulen investieren. Schulen sollen saniert werden. Die Schulsozialarbeit soll ausgebaut werden. Der Weg zum Meister soll gebührenfrei werden wie auch alle Alphabetisierungskurse und Kitas. Merkwürdig, dass das in diesem modernen Industrieland nicht längst so ist.
Das große Ganztagsschulprogramm, mit dem die SPD 2004 der Schullandschaft einen Modernisierungsschub verpasste, soll erneuert werden: Schüler sollen sogar einen Rechtsanspruch auf einen Platz an einer Ganztagsschule bekommen. Das ist verwegen und richtig.
Bei der Bildung klotzen, nicht kleckern – natürlich macht das den Unterricht nicht mit einem Schlag besser. Es eröffnet dafür aber zusätzliche Chancen. Darum sollte das Kooperationsverbot fallen.