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Kita-Kinder sitzen an einem Tisch und essen Suppe.
© Georg Wendt/dpa
Update

Ländermonitor frühkindliche Bildung: Qualität der Kita-Betreuung hängt stark vom Wohnort ab

Beim Betreuungsverhältnis von Erziehern und Kindern in Kitas gibt es laut Bertelsmann-Stiftung große regionale Unterschiede. Berlin wehrt sich gegen Kritik.

In der Berliner Kita „Schneckenhaus“ erhielten die Erzieherinnen am Montagmorgen Verstärkung – für kurze Zeit. Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres, selber Erzieherin und Sozialpädagogin, und Bundesfamilienministerin Katarina Barley (beide SPD) kamen auf Wahlkampftour vorbei, packten mit den Kindern eine mitgebrachte Bücherkiste aus. Auf die Kritik der Bertelsmann-Stiftung, dass bundesweit 4,9 Milliarden Euro jährlich fehlen, um Kinder in Krippen und Kitas angemessen betreuen zu können, hat Barley eine Antwort.

Barley plädierte in der Reinickendorfer AWO-Kita erneut für eine Qualitätsoffensive: Bund und Länder sollten 2018 erstmals eine Milliarde Euro in die Verbesserung der Betreuung stecken und dann jedes Jahr eine weitere Milliarde – ab 2022 sollten es dann jährlich fünf Milliarden Euro sein.

Führend ist Baden-Württemberg, Schlusslicht Sachsen

Die Bertelsmann-Stiftung unterlegt ihre Forderung in dem am Montag vorgelegten Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme mit quantitativen Kriterien. Um bundesweit einen „qualitätssichernden“ Personalschlüssel von einer Fachkraft für drei Kinder in Krippengruppen und 7,5 in Kindergartengruppen zu erreichen, müssten 107 000 zusätzliche Fachkräfte in Vollzeit eingestellt werden.

Gegenüber den Vorjahren haben sich die Betreuungsverhältnisse aber weiter verbessert: In Krippengruppen wurden 2012 noch rechnerisch 4,8 Kinder von einer Fachkraft betreut, heute sind es 4,3; bei den Kitas verbesserte sich der Schlüssel von eins zu 9,8 auf eins zu 9,2. Führend ist Baden-Württemberg mit drei Kindern pro Fachkraft in der Krippe und 7,2 in der Kita – in beiden Betreuungsformen hat sich das Land um 0,5 beziehungsweise 0,6 Prozentpunkte verbessert. Schlusslicht ist Sachsen, wo 6,5 Krippen- und 13,4 Kitakinder auf eine Fachkraft kommen. Als Stichtag der Erhebung wird der 1. März 2016 genannt.

Senatorin Scheeres kritisiert veraltete Zahlen

Berlin liegt der Bertelsmann-Auswertung zufolge mit 5,9 Krippenkindern pro Fachkraft über dem Bundesschnitt und mit 8,9 Kitakindern pro Erzieherstelle knapp darunter. Für einen kindgerechten Personalschlüssel brauche die Hauptstadt zusätzlich 12 100 Vollzeitkräfte. Bildungssenatorin Scheeres kritisierte, dass die Stiftung mit veralteten Zahlen arbeite. Zum Start des neuen Kitajahrs am 1. August betreue eine Fachkraft in Berlin bei den Kindern bis zwei Jahre rechnerisch nur noch 4,25 Kinder. Bis August 2019 solle sich der Betreuungsschlüssel dann auf 3,75 verbessern. In dieser Legislaturperiode werde Berlin insgesamt 30 000 Plätze in Krippen und Kitas schaffen, in den Ausbau würden allein in diesem Jahr über 100 Millionen Euro investiert.

Dass die Betreuungsverhältnisse von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ausfallen, hatten schon frühere Untersuchungen gezeigt. Erstmals wertete die Bertelsmann-Stiftung jetzt auch Daten zu 402 Kreisen und kreisfreien Städten aus. Dabei zeigt sich etwa, dass die von einer Kraft betreuten Gruppen in einigen Gebieten Brandenburgs drei Mal so groß sind wie in bestimmten Kreisen in Baden-Württemberg. Ähnlich groß sind die Unterschiede im Kita-Bereich: So liegt der Schlüssel im Südwesten teilweise bei eins zu 6,1, in einigen Kreisen in Mecklenburg-Vorpommern sind es mehr als doppelt so viele Kinder pro Fachkraft.

Im Westen sind nur 28 Prozent der unter Dreijährigen in der Krippe

„Die Bildungschancen von Kindern hängen heute erheblich von ihrem Wohnort ab“, kommentiert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Bund und Länder müssten deshalb für eine „verlässliche Kita-Qualität“ in ganz Deutschland sorgen – mit einheitlichen Standards.

Ost-West-Unterschiede im Krippenbereich relativieren sich teilweise dadurch, dass in Ostdeutschland sehr viel mehr Kleinstkinder außerhalb der Familie betreut werden – 52 Prozent gegenüber nur 28 Prozent in Westdeutschland. Dafür ist der Betreuerschlüssel mit eins zu sechs im Osten denn auch schlechter als im Westen mit eins zu 3,6. Ab dem dritten Lebensjahr sind bundesweit fast alle Kinder in der Tagesbetreuung.

Der Bedarf an zusätzlichen Krippen- und Kitaplätzen und gut ausgebildeten Betreuerinnen und Betreuern steige noch durch die Trendwende bei den Geburtenzahlen und durch die Flüchtlingskinder, heißt es. Bertelsmann-Vorstand Dräger fordert einen „Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen“.

Bertelsmann plädiert für Kita-Gebühren, Scheeres dagegen

An den Kitagebühren solle vorerst festgehalten werden. „Erst wenn die Qualität stimmt und genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stehen, können wir die Beitragsfreiheit angehen“, erklärte Dräger. Familien mit besonders niedrigen Einkommen sollten aber schon heute vollständig von Gebühren befreit werden.

Auch hier widerspricht die Berliner Senatorin. In Berlin müssen Eltern derzeit nur noch für die Betreuung im ersten Lebensjahr zahlen, ab August 2018 sollen die Berliner Kitas für alle Eltern vollständig beitragsfrei sein. „Die Abschaffung der Beiträge ist bildungs- und familienpolitisch der richtige Weg“, sagt Scheeres. Für viele Eltern seien schon 50 Euro Beitrag im Monat „viel Geld und eine Hürde für den Kitabesuch“. Das könne dazu führen, dass Frauen auf den Wiedereinstieg in den Beruf verzichten.

Damit Kitas mehr und mehr zu echten Bildungseinrichtungen werden, ist politisch ein wachsender Anteil von Betreuungskräften mit Hochschulabschluss gewollt. Doch die Entwicklung stagniert bundesweit. Berlin liegt mit 5,8 Prozent im Mittelfeld, führend sind Hessen und Sachsen mit neun Prozent und Hamburg mit 8,2 Prozent.

Amory Burchard

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