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Kriegsalltag. Millionen Kinder sind mit dem Konflikt aufgewachsen. Hier sammelt ein Junge in Idlib Munitionsüberreste, um sie zu verkaufen.
© Aaref Watad/AFP

Nach der Geberkonferenz für Syrien: Assad bestimmt, wem geholfen wird

Eine Geberkonferenz sagt Syrien sechs Milliarden Dollar zu. Das Geld ist bitter nötig. Aber das Assad-Regime redet bei der Verteilung der Güter mit.

Nach zehn Jahren Krieg wird der Alltag für die meisten Syrer immer beschwerlicher. Vor Tankstellen und Bäckereien bilden sich lange Schlangen; Babywindeln sind Luxusgüter: Der Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln liegt bei mehr als 200 Prozent im Jahr.

Fast 13,5 Millionen Syrer sind nach UN-Schätzungen auf Hilfe von außen angewiesen – das sind 20 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Bei der jüngsten Geberkonferenz in Brüssel wollten die UN jetzt zehn Milliarden Dollar einsammeln.

Doch obwohl Deutschland allein 1,7 Milliarden Euro beisteuerte, blieb die Gesamtsumme mit 6,4 Milliarden Dollar weit hinter den Erwartungen zurück. Und: Bei der Verteilung der Hilfsgüter mischt Präsident Baschar al Assad mit, obwohl er als Hauptverantwortlicher für den Krieg gilt.

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Das Regime in Damaskus und sein Verbündeter Russland dringen darauf, dass die Hilfe aus dem Ausland über die syrischen Behörden verteilt wird. Obwohl nach Schätzungen der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ rund 90 Prozent der Syrienhilfe von den USA und Europa bezahlt werden, haben die Geber bisher kaum Einfluss darauf, wer die Hilfsgüter in Assads Machtbereich erhält.

„Wir mussten die Arbeit einstellen“

In den westlichen und südlichen Landesteilen, die von der Regierung kontrolliert werden, müssen sich die UN und Hilfsorganisationen mit den staatlichen Behörden arrangieren. Das geht nicht ohne fragwürdige Kompromisse. So arbeitete das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit einer Stiftung zusammen, die von Assads Frau Asma geleitet wird – sie steht auf der Sanktionsliste der USA und der EU.

Die Regierung bestimmt zudem, mit welchen syrischen Gruppen nichtstaatliche ausländische Organisationen zusammenarbeiten dürfen. Till Küster von Medico International berichtet, ein syrischer Partner seiner Organisation sei von den Behörden unter Druck gesetzt worden, nachdem Assads Truppen das Einsatzgebiet erobert hatten.

„Wir mussten die Arbeit einstellen.“ Heute beteiligt sich Medico International nicht mehr an humanitären Projekten im Regierungsgebiet.

Assad entscheidet mit darüber, wo und wem geholfen wird.
Assad entscheidet mit darüber, wo und wem geholfen wird.
© Syrian Presidency/AFP

In Idlib hat Assad zwar keinen Einfluss, doch dafür wird das Gebiet größtenteils von der islamistischen Gruppe HTS beherrscht. Die Provinz im Norden ist die letzte Region, die von Aufständischen kontrolliert wird, und hat über einen Grenzübergang eine direkte Verbindung zur benachbarten Türkei.

HTS versuche zwar, sich in die Verteilung von Hilfe einzumischen, sagt Fadi al Dairi, Mitgründer der Hilfsorganisation Hihfad. Doch die in Idlib aktiven Helfer können sich nach seinen Worten dem Drängen der Islamisten entziehen.

„Die Hilfsorganisationen arbeiten zusammen und können mit einem Stopp der Hilfe drohen“, sagt Dairi. Weil HTS kein Interesse daran hat, dass die Versorgung der vier Millionen Zivilisten in Idlib zusammenbricht, ist das ein wirksames Gegenmittel.

Doch auch jenseits von Assads Machtbereich könnte die Versorgung Bedürftiger schwieriger werden. Der Grenzübergang in Idlib ist das einzige Nadelöhr, durch das Hilfe aus dem Ausland in Teile Syriens außerhalb der Regierungsgebiete fließen kann.

Deutschland engagiert sich mit mehr als 1,6 Milliarden Euro, um den Menschen in Syrien zu helfen.
Deutschland engagiert sich mit mehr als 1,6 Milliarden Euro, um den Menschen in Syrien zu helfen.
© Help - Hilfe zur Selbsthilfe/obs

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Die UN mussten die Lieferungen über drei andere Übergänge auf Druck Russlands und Chinas im Weltsicherheitsrat schließen. Im Sommer steht in dem UN-Gremium die Entscheidung darüber an, ob auch der letzte noch verbliebene Übergang geschlossen wird.

In diesem Fall müsste die gesamte ausländische Hilfe über das vom Regime kontrollierte Einflussgebiet fließen. „Assad sitzt am längeren Hebel“, sagt Küster.

Experten wie Ralf Südhoff denken bereits über die lebenswichtige Notversorgung hinaus. „Zehn Jahre nach Kriegsbeginn zeigt sich, dass die humanitäre Hilfe in der bisherigen Form weder effektiv noch kostengünstig ist“, sagt der Leiter des Centre for Humanitarian Action.

Wasserkanister liefern oder Wassersysteme aufbauen?

Der von ihm geleitete Thinktank analysiert, was sinnvolle Hilfe heutzutage beinhalten sollte. Mit Blick auf Syrien plädiert Südhoff dafür, die Unterstützung künftig entwicklungsorientierter einzusetzen, also weg von der täglichen, reinen Überlebenshilfe hin zu Investitionen in die Infrastruktur für Daseinsfürsorge.

So sei es wesentlich zweckdienlicher, Wassersysteme zu reparieren oder aufzubauen, statt immer wieder Wasserkanister zu verteilen. Es habe lange Zeit gute Gründe gegeben, bei derartiger Hilfe zu zögern. Schließlich wollte man Assad nicht legitimieren.

Trümmerlandschaft. Nach zehn Jahren Krieg sind weite Teile Syriens zerstört. An Wiederaufbau ist kaum zu denken.
Trümmerlandschaft. Nach zehn Jahren Krieg sind weite Teile Syriens zerstört. An Wiederaufbau ist kaum zu denken.
© Muhammed Said/Anadolu Agency via Getty Images

Inzwischen sei aber klar, dass der Herrscher an der Macht bleibe. Zeit also, dass die humanitäre Hilfe den Gegebenheiten angepasst werde. EU und USA wollen jedoch kein Geld für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen, solange Assad Forderungen nach politischen Reformen zurückweist.

Moskau droht mit Flüchtlingen

Damaskus und Moskau erhöhen in dieser Frage den Druck auf den Westen. Der russische Vize-Außenminister Sergej Werschinin beklagte bei der Geberkonferenz, der Westen blockiere die Wiedererrichtung ziviler Infrastruktur. Für die Europäer sei diese Verweigerung riskant, warnte er mit Blick auf die Furcht der EU vor neuen Zuwanderern aus Syrien.

Sollte das Land zu einem „schwarzen Loch“ werden, könnte eine „große Flüchtlingswelle“ über Europa hereinbrechen.

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