Russland setzt sich bei UN durch: Hilfe für Syrien wird fortgesetzt – aber stark eingeschränkt
Nach langem Streit hat sich der Sicherheitsrat auf einen Kompromiss geeinigt. Der deutsche UN-Botschafter attackiert Moskau und Peking ungewöhnlich scharf.
Nach langem Streit hat sich der UN-Sicherheitsrat doch noch auf eine eingeschränkte Fortsetzung der humanitären Syrienhilfe geeinigt. Die Lösung, die einem Sieg Russlands gleichkommt, könnte jedoch nach Einschätzung von Hilfsorganisationen die Versorgung von Millionen Notleidenden gefährden. Das mächtigste UN-Gremium stimmte am Samstag (Ortszeit) für einen deutsch-belgischen Resolutionsvorschlag bei Enthaltung unter anderem von Russland und China. Deutschlands Außenminister Heiko Maas zeigte sich angesichts der Einigung trotzdem erleichtert.
[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]
Die angenommene Regelung sieht die Offenhaltung von nur noch einem Grenzübergang aus der Türkei für Hilfslieferungen nach Nordsyrien über einen Zeitraum von zwölf Monaten vor. Das entspricht in einem Kernpunkt den Forderungen Russlands. Moskau – einer der wichtigsten Verbündeten Syriens – hatte in den vergangenen Tagen mehrere deutsche Vorschläge mit zwei Grenzübergängen zusammen mit China durch Vetos verhindert.
Hintergrund ist eine seit 2014 bestehende UN-Resolution, die in der Nacht zu Samstag nach sechs Jahren zunächst ausgelaufen war. Sie erlaubte es den Vereinten Nationen, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile Syriens zu bringen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Nach russischem Widerstand wurden die einst vier Übergänge Anfang des Jahres bereits auf zwei reduziert – seitdem hat sich die Versorgungslage für einige Regionen Hilfsorganisationen zufolge deutlich verschlechtert.
Dies könnte sich mit der Einigung vom Samstag zuspitzen, denn im Nordwesten Syriens sind nach UN-Angaben 2,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. „Beide Grenzübergänge sind erforderlich, um die Lieferung aufrechtzuerhalten“, hatte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock Ende Juni vor dem Sicherheitsrat gesagt.
Der Übergang Bab al Salam, der nun geschlossen wird, hätte den direkten Zugang in eine Region mit einer der höchsten Zahlen an Vertriebenen gesichert. Syrien betont immer wieder, dass die Lieferungen auch dort agierenden Terroristen zukämen.
Außenminister Maas bezeichnete es als „gute Nachricht für Millionen von Menschen“, dass der Kompromissvorschlag angenommen wurde. Das sahen die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in einer hitzigen Diskussion nach der Annahme der Resolution anders.
Hilfsorganisationen sehen Leben von vielen Kindern in Gefahr
Deutschlands Botschafter Christoph Heusgen, der die Verhandlungen geleitet hatte, gab den Vertretern Russlands und Chinas eine Nachricht für ihre Regierungen mit: „Sagt ihnen, dass der deutsche Botschafter fragt, ob die Leute, die die Anweisungen dafür gegeben haben, 500.000 Kindern die Hilfe zu entziehen, morgen noch in den Spiegel gucken können.“
[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]
Zuvor hatte der russische Vertreter Dmitri Poljanski Deutschland und Belgien Heuchelei vorgeworfen und auch, bei den Verhandlungen ungeschickt und respektlos gehandelt zu haben. Ein chinesischer Diplomat sagte: „Botschafter Christoph, wir brauchen ihre Vorhaltungen nicht.“ Die Vertreter der USA und Großbritanniens äußerten sich enttäuscht über den Kompromiss, der den Bedürfnissen der syrischen Bevölkerung nicht gerecht werde.
Kritik an der Entscheidung in New York kam von der Hilfsorganisation Save the Children. „Dies ist nicht die Zeit, Hilfe zu reduzieren“, sagte ihr Leiter Inger Ashing. „Während die Verlängerung um zwölf Monate statt sechs willkommen ist, ist es inakzeptabel, dass es jetzt nur einen nutzbaren Grenzübergang gibt.“
Das Leben von Millionen syrischer Kinder hänge von dieser Rettungsleine ab, nun müssten sie die Konsequenzen ertragen. Ashing forderte den Sicherheitsrat auf, die Entscheidung zu ändern. Das Gremium müsse „aufhören, Politik zu spielen und das Leben von Kindern an erste Stelle setzen“.
Russland hatte in den schwierigen Verhandlungen der vergangenen Wochen eine stärkere Verhandlungsposition und machte deutlich, dass es auch ein Scheitern der Verlängerung der humanitären Hilfe in Kauf nehmen würde – das wollte Deutschland auf jeden Fall vermeiden.
Russland unterstützt in Syrien Machthaber Assad
Moskau verfolgt den Ansatz, den Mechanismus wegen des wachsenden Einflusses der syrischen Regierung schrittweise auslaufen zu lassen. Die Einstellung oder Beschneidung der UN-gesteuerten Hilfe würde die Position von Moskaus verbündeten Machthaber Baschar al Assad nach Einschätzung von Beobachtern stärken.
Seit Ausbruch des Syrienkriegs im März 2011 sind Schätzungen zufolge mindestens 500.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Regierungsanhänger kontrollieren mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes, darunter die großen Städte. Zu einer schweren Wirtschaftskrise kommt in dem Land momentan noch die Coronavirus-Gefahr. In Idlib gaben die örtlichen Gesundheitsbehörden gerade den Nachweis eines ersten registrierten Coronavirus-Falls bekannt.
Das syrische Pfund war in den vergangenen Monaten abgestürzt, die Preise stark gestiegen. Auch in den Regierungsgebieten klagen viele Syrer über eine mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms WFP – einem humanitären Nebenorgan der UN – haben rund 9,3 Millionen Syrer nicht mehr genug zu essen und sind deshalb auf humanitäre Hilfe angewiesen – 1,4 Millionen mehr als sechs Monate zuvor. Die Lage im von Regierungsgegnern kontrollierten Nordwesten Syriens ist besonders angespannt. Anfang des Jahres waren rund eine Million Menschen vor einer Regierungsoffensive in die Region geflohen. (dpa)