Krieg in Syrien: Idlib - beherrscht von Islamisten
In der letzten Hochburg der Assad-Gegner haben Dschihadisten die Macht übernommen. Droht nun Syriens Provinz eine Offensive des Assad-Regimes?
Ein Vormarsch islamistischer Extremisten und neue Gefechte erschüttern das Stillhalte-Abkommen für die syrische Provinz Idlib. Das Milizenbündnis Hayat Tahrir al Scham (HTS), das viele Kämpfer des Terrornetzwerkes Al Qaida in seinen Reihen hat, beherrscht nach einem Siegeszug gegen andere Kampfverbände weite Teile der Region an der türkischen Grenze und damit rund fünf Prozent des syrischen Staatsgebietes.
Die Armee von Baschar al Assad reagiert mit verstärktem Artillerie- und Raketenbeschuss. Die eskalierende Gewalt erhöht aber das Risiko einer großflächigen Auseinandersetzung in einem Gebiet mit rund drei Millionen Menschen.
Extremisten weiten ihr Herrschaftsgebiet aus
Idlib ist die letzte größere Gegend in Syrien, die nach fast acht Jahren Krieg noch von Assads Gegnern kontrolliert wird. Der Herrscher hat sich vorgenommen, alle Teile des Staates von den Aufständischen zurückzuerobern. Bisher konnte ein Großangriff aber verhindert werden – mithilfe einer russisch-türkischen Vereinbarung.
Das im September geschlossene Abkommen sieht vor, dass Ankara den Einfluss der Islamisten in Idlib zurückdrängt. Allerdings konzentriert sich die Türkei derzeit mehr auf Pläne zur Schaffung einer Pufferzone gegen die Kurden im Nordosten Syriens. Russland und Assad kritisieren deshalb, dass die Türkei ihren Aufgaben in Idlib bisher nicht nachgekommen sei. Ankara befürchtet dagegen, dass Assad nur nach einem Vorwand sucht, um eine Offensive starten zu können.
Unumstritten ist, dass die HTS-Kämpfer ihre Macht in Idlib in einem Moment ausdehnen, in dem der „Islamische Staat“ (IS) militärisch fast besiegt ist. Dem Syrien-Experten Charles Lister vom Middle East Center in Washington zufolge versucht die Türkei ihre engen Beziehungen zu Rebellengruppen in Idlib derzeit zu nutzen, um HTS zum Beitritt zu einer breiteren Allianz unter türkischer Kontrolle zu bewegen. Auf diese Weise will Ankara der russischen und syrischen Regierung signalisieren, dass die Türkei die Lage in Idlib unter Kontrolle hat.
Assad wird mit einer Offensive wohl nicht mehr lange warten
Doch die Anzeichen, dass Assad nicht mehr lange mit der Offensive warten will, mehren sich. Die syrische Armee tötete nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bei Bombardements in den Außenregionen von Idlib in den vergangenen Tagen mindestens elf Menschen. Der syrische Verteidigungsminister Ali Ayoub und der Kommandeur der berüchtigten Tiger-Brigade der syrischen Armee, General Suheil al Hassan, inspizierten nach Berichten syrischer Medien kürzlich die Gegend um die Rebellen-Provinz.
Wahl zwischen Bomben und Terror
Viele Einwohner Idlibs fühlen sich längst in die Enge getrieben. Ihnen bleibt nur die Wahl zwischen Assads Bomben und einer Terrorherrschaft der Dschihadisten. Denn die HTS hat in den von ihnen beherrschten Gebieten eine „Regierung der Erlösung“ etabliert, die auf den Regeln der Scharia beruht: Frauen müssen sich verschleiern, Demokratie wird kategorisch abgelehnt, jede Art von Opposition unterdrückt.
Die Machtübernahme der „Gotteskrieger“ trifft die Menschen in Idlib noch aus einem anderen Grund schwer: Viele Länder haben ihre Finanzhilfen eingestellt, weil sie keinesfalls ein islamistisches Regime stützen wollen. Damit wird jedoch die Not der Einwohner immer größer. Fast zwei Millionen leiden schon heute unter Hunger und Kälte.