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Menschen warten am Ostersonntag vor einem Impfzentrum in Köln.
© Marius Becker/dpa
Update

Mit acht „Kontaktpersonen“ im Impfzentrum: Ärzte klagen über aggressive, kriminelle Impfwillige

Laut einem TV-Bericht pochen Menschen unberechtigt auf einen Piks. Doch der Berliner Senat und die Linke winken ab: Kein großes Problem.

Mal wird beim Alter gelogen, dann bei der Berufsangabe geschummelt. Einige geben sich als Kontaktperson von Pflegebedürftigen aus, andere von Schwangeren. Es gibt verschiedene Wege, in der Impfschlange auch als junger Mensch ohne Vorerkrankungen ganz weit vorne zu stehen. Viele legale – aber auch einige illegale.

Laut einem Bericht von „Report Mainz“ klagen nun Ärzte und Impfzentren über eine zunehmende Aggressivität der Impfwilligen und kriminelle Energie von Impfvordränglern. Inzwischen gibt es offenbar nicht nur den legitimen Wunsch, wieder seine Grundrechte ausüben zu können. „Die Stimmung wird aggressiver. Den Menschen ist teilweise sehr klar, dass sie nicht berechtigt sind und trotzdem versuchen sie, sich impfen zu lassen“, sagt etwa der Sprecher der Sozialbehörde Hamburg, Martin Helfrich.

Zwar erfassen nicht alle Impfzentren in Deutschland Zahlen zu Impfvordränglern. Laut „Report Mainz“ aber werden zum Beispiel in Saarbrücken bis zu 140 Vordrängler in der Woche erwischt, in München sind es bis zu 350. In einem der SWR-Redaktion bekannten Fall schafften es statt zwei acht junge und gesunde Leute, sich als sogenannte „Kontaktpersonen“ impfen zu lassen: Nach offiziellen Dokumenten wird nicht immer gefragt, oftmals wird einfach auf wahrheitsgemäße Angaben vertraut.

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Das Hamburger Impfzentrum meldete laut SWR zuletzt sogar 2000 Vordrängler in einer Woche. Um vorzeitig an einen Impftermin zu kommen, würden etwa falsche Alters- oder Berufsangaben gemacht.

Vor diesem Hintergrund wird auch der Ruf nach Strafen laut. „Zwar werden Tausende erwischt, aber es fehlt an Sanktionen“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. „Sich beim Impfen vorzudrängen, ist weiterhin keine Ordnungswidrigkeit.“

Auch der Deutsche Hausärzteverband warnt vor wachsenden Spannungen durch Impfdrängler. „Wir erleben jeden Tag Diskussionen mit Leuten, die jetzt unbedingt schnell geimpft werden wollen, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind“, sagte die Vize-Vorsitzende Anke Richter-Scheer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie fügte hinzu: „Die Stimmung wird aggressiv.“ Durch die Ausweitung der Priorisierung sei für einige nicht mehr nachvollziehbar, warum der eine schneller an der Reihe sei als der andere.

Nachfrage bei der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit: Wie sehr wird in der Hauptstadt gedrängelt? "Zunehmende Aggressivität können wir aus unseren Impfzentren nicht bestätigen. Nach wie vor ist die Atmosphäre in den Zentren von einer großen Dankbarkeit der Geimpften geprägt", schreibt eine Sprecherin des Projektbüros Impfzentren Berlin auf eine Tagesspiegel-Anfrage. "Wir können Impfdrängler auch nicht identifizieren, da nur Menschen zur Impfung in die Impfzentren kommen, die auch einen Impftermin haben. Und diese erhalten dann auch ihre Impfung."

„Grundsätzlich richtig, dass sich viele Menschen impfen lassen“

Der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag sieht im Drängeln grundsätzlich auch kein Problem. „Grundsätzlich ist es doch genau richtig, dass sich so viele Menschen wie möglich auch so schnell wie möglich impfen lassen wollen“, sagt er dem Tagesspiegel. Trotzdem sei es geboten, an der Priorisierung noch so lange festzuhalten, bis es wirklich genug Impfstoff für alle gebe.

Allerdings spricht er sich für eine Ergänzung aus. „Ich fordere die Bundesregierung auf, jetzt zusätzlich insbesondere arme Menschen in strukturschwachen Regionen und Stadteilen vorzuziehen und durch mobile Impfteams gezielt anzusprechen.“ Die Landesregierungen sollten zudem prüfen, inwieweit die Impfzentren kurzfristig zusätzliches Personal bräuchten.

Bislang gilt in Deutschland weiterhin eine Priorisierung bei der Impfreihenfolge. Sie richtet sich inzwischen zwar auch nach Berufsgruppen und Vorerkrankungen, im Wesentlichen jedoch nach dem Alter. „Das Risiko für einen schweren Verlauf bei über 60-Jährigen ist 60mal höher als bei unter 60-Jährigen“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag im Deutschlandfunk. Es gebe bei den über 60-Jährigen noch immer fünf bis sechs Millionen Ungeimpfte.

Allerdings: Reihenweise lehnen Über-60-Jährige eine Impfung mit Astrazeneca ab, obwohl für sie dabei kein erhöhtes Risiko für eine Thrombose festgestellt werden konnte. Stattdessen warten sie auf ein Vakzin von Biontech oder Moderna.

Diese Entwicklung bestätigt auch der Hausärzteverband. In den Arztpraxen kommt es demnach zu Ärger mit älteren Patienten, die anstelle von Astrazeneca einen anderen Impfstoff haben wollten.

Manch nachgiebiger Kollege lasse sich dann auf eine Diskussion ein, erklärt Richter-Scheer vom Hausärzteverband. „Besser wäre es, gleich klarzustellen: Wer von seinem Arzt eine Impfung mit Astrazeneca angeboten bekommt, sie aber ablehnt und einen anderen Impfstoff bevorzugt, muss mit längeren Wartezeiten rechnen.“ Derjenige müsse dann warten, bis es so viel Impfstoff gebe, dass die Leute wählen könnten.

Und so wächst der Berg an unverimpften Astrazeneca-Dosen. Bis Ende vergangener Woche waren nach Angaben des Robert Koch-Instituts nur 6,3 Millionen Dosen von den gelieferten 9,3 Millionen Dosen verimpft – es blieben also drei Millionen Dosen übrig. Und in dieser Woche werden noch einmal eine Million neue Impfdosen an die Arztpraxen geliefert, so viele wie noch nie innerhalb von sieben Tagen.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat das Gesundheitsministerium die Priorisierung bei Astrazeneca aufgehoben. Das gilt auch für den Impfstoff von Johnson & Johnson, der hierzulande wohl erst Ende Juni in großer Menge verfügbar sein wird. Denn die beiden Impfstoffe können – allerdings in äußerst seltenen Fällen – schwere Nebenwirkungen haben. Deshalb ist vor einer Entscheidung für eines der beiden Vakzine bei Menschen bis 60 Jahren ärztliche Aufklärung und eine individuelle Risikoanalyse vorgeschrieben.

Ein Drittel geimpft, zehn Prozent vollständig

Dass das Tempo zuletzt stark gestiegen ist, hängt somit auch mit dem Ende der Priorisierung bei zwei Impfstoffen zusammen. Insgesamt haben hierzulande knapp ein Drittel der Menschen mindestens eine Impfung erhalten. Den vollen Impfschutz haben knapp zehn Prozent der Bevölkerung erhalten.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, rät dennoch dazu, an der Priorisierung festzuhalten. Er sagte dem SWR: „Als STIKO und mithilfe der RKI-Impfdaten haben wir berechnet, dass es noch ungefähr zehn Millionen Menschen gibt, die priorisiert sind und die kein Impfangebot erhalten haben.“

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