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Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler
© Reuters/Annegret Hilse/Pool

„Die dritte Welle scheint gebrochen“: Spahn verspricht eine Million Astrazeneca-Dosen für Arztpraxen

Der Gesundheitsminister will die Akzeptanz des Vakzins erhöhen - bei der Zweitimpfung kann es schneller gehen. RKI-Chef Wieler mahnt zur Vorsicht bei Öffnungen.

In der kommenden Woche sollen eine Million Astrazeneca-Dosen an die Arztpraxen in Deutschland geliefert werden, die dann ohne Priorisierung vergeben werden. Das kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin an. Am Vortag hatten Bund und Länder die Priorisierung mit einer festen Vorrangliste für diesen Impfstoff aufgehoben. Künftig ist es dem Arzt in Absprache mit dem Impfling auch freigestellt, den Abstand für eine Astrazeneca-Zweitimpfung von zwölf auf bis zu vier Wochen zu verkürzen.

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Spahn betonte: „Die Wirksamkeit ist umso höher, desto länger der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung ist.“ Die Wirksamkeit einer zweimaligen Impfung im Abstand von vier bis acht Wochen liegt laut Studien bei 50,4 Prozent, bei zwölf und mehr Wochen bei bis zu 82,4 Prozent.

Auf die Frage, ob mit einer Verkürzung des Intervalls die Urlaubsplanung von Impfwilligen zulasten der Wirksamkeit unterstützt werden soll, verteidigte Spahn den Schritt: Viele wollten sich augenscheinlich derzeit nicht mit Astrazeneca impfen lassen, weil sie dann erst im August den vollen Impfschutz bekommen. Da auch die Erstimpfung schon gegen das Virus schütze, sei so eine geringere Akzeptanz aber für die Pandemiebekämpfung insgesamt nicht gut. „In dieser Phase der Pandemie haben wir ein großes Interesse daran, dass viele Menschen sich impfen lassen.“

Die Freigabe von Astrazeneca sei besonders für diejenigen attraktiv, „die nicht so schnell an eine Impfung kommen würden.“ Aber angesichts der beschränkten Liefermengen gelte auch weiter: „Es können nicht innerhalb von drei oder fünf Tagen oder auch von zwei Wochen alle geimpft werden.“ Bei den Über-60-Jährigen seien je nach Bundesland nun rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft. Empfohlen wird das Astrazeneca-Präparat für Menschen ab 60. Zuvor war bekanntgeworden, dass es äußerst seltene, schwere Nebenwirkungen vor allem bei jüngeren Frauen gibt. Aber auch Jüngere können sich damit impfen lassen.

„Die dritte Welle scheint gebrochen“, sagte Spahn. Wegen des umsichtigen Verhaltens der Bürgerinnen und Bürger und der Wirkung der Bundesnotbremse sänken die Infektionszahlen. Aber sie befänden sich noch immer auf hohem Niveau. Nun müsse der Abwärtstrend verstetigt und ein Wiederanstieg der Zahlen verhindert werden. „Das geht aber nicht mit vorschnellen Lockerungen. Zu viele öffnen gerade ziemlich viel bei relativ hoher Ausgangsinzidenz“, sagte Spahn.

Der Minister mahnte: „Jetzt geht's darum, in den nächsten Wochen noch gemeinsam durchzuhalten. Wir reden tatsächlich ja jetzt noch eher über Wochen oder wenige Monate.“ Spahn betonte: „In dieser Phase der Pandemie geht es tatsächlich darum, das Erreichte nicht zu verspielen.“ Es gebe Grund zu Optimismus und Zuversicht. „Zuviel Ungeduld dagegen würde nur dem Virus helfen.“
Spahn rief dazu auf, dass dort, wo Lockerungen stattfinden, diese im Außenbereich gemacht würden. Im Fall von Kulturveranstaltungen in Regionen mit Inzidenzen unter 100 sollten diese etwa draußen vorgesehen werden - und mit Test als Zugangsvoraussetzung.

Wichtige Zahlen aus der Pressekonferenz mit Jens Spahn und Lothar Wieler:

  • Bundesweit sank die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen nach Angaben des Robert Koch-Instituts von Freitag weiter auf nun 125,7.
  • Vor einer Woche waren es 153,4. Es gab 18.485 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages.
  • Zugleich machen die Impfungen deutliche Fortschritte: 26,2 Millionen Menschen sind laut Spahn nun mindestens einmal geimpft - 31,5 Prozent der Bevölkerung.
  • Kommende Woche soll jeder Dritte einmal geimpft sein.
  • 8,8 Prozent hätten den vollen Schutz.
  • Am Donnerstag sind demnach an einem Tag rund 200.000 Zweitimpfungen dazugekommen.

Mit Blick auf die Beschleunigung nach anfangs schleppendem Impftempo sagte Spahn, „dass Deutschland eher gut ist im Elfmeterschießen“.

Auch RKI-Chef Lothar Wieler mahnte zur Geduld und vorsichtige Öffnungsschritte. Die gegenwärtige Entwicklung mit sinkenden Inzidenzen, leicht sinkender Belegung der Intensivstation und immer mehr Impfungen gebe Hoffnung, „dass wir die Pandemie bald kontrollieren können.“

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Dennoch blieben noch Maßnahmen zur Kontaktreduktion und die Einhaltung der Regeln nötig. „Die Pandemie ist quasi wie ein prall gefüllter Luftballon, den wir zusammen unter der Wasseroberfläche halten.“ Das sei ein gemeinsamer Kraftakt. Würden schlagartig alle Maßnahmen aufgehoben, breite sich das Virus wieder rasant aus. „Um im Bild zu bleiben: Wenn wir den Ballon jetzt loslassen, springt er über die Wasseroberfläche. Wir dürfen also nicht ungezielt lockern.“

Mit zunehmenden Impfungen von Woche zu Woche könnten aber nach und nach auch einzelne Maßnahmen zurückgenommen werden. „Der Ballon verliert sozusagen langsam Luft, und es braucht aber immer weniger Kraft, ihn unten zu halten.“ Noch habe der Ballon aber genug Luft. „Zügig impfen, kontrolliert öffnen“, betonte Wieler.

„Die steigende Impfquote wird in absehbarer Zeit sehr spürbare Erleichterungen bringen“, stellte Wieler in Aussicht. Bis man aber weitgehend auf Maßnahmen und Regeln verzichten könne, müsse der Anteil der immunen Menschen in der Bevölkerung deutlich über 80 Prozent liegen. Auch dann werde es noch Infektionen und Ausbrüche geben, aber keine Wellen mehr. „Dann haben wir die Pandemie unter Kontrolle“, sagte Wieler.
Auf den Intensivstationen gebe es bisher nur einen Rückgang der Patientenzahlen bei den leichteren Covid-19-Fällen, so der RKI-Chef. Über 70 Prozent der Intensivbereiche meldeten begrenzte oder ausgelastete Kapazitäten. „Das sind Höchstwerte in dieser Pandemie.“ (dpa)

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