Spahn will Akzeptanz für Astrazeneca erhöhen: Impfabstand soll kürzer werden – Experten warnen
Die Erst- und Zweitimpfung mit Astrazeneca soll flexibler gehandhabt werden. Die Impfkommission und Experten an der Charité sind skeptisch.
Das Alter, Vorerkrankungen oder die Berufsgruppe – all das soll keine Rolle mehr spielen, wenn es um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca geht. Das teilte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag mit und gab das Vakzin für alle Gruppen frei. Zudem soll fortan der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfungen mit Astrazeneca verkürzt werden.
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Hieß es anfangs noch, dass der Impfstoff erst 12 Wochen nach der Erstimpfung die optimale Wirksamkeit garantiert, soll nun schon nach vier Wochen die zweite Impfung folgen können. Der Einsatz des Impfstoffs solle flexibel gehandhabt werden, erklärt Spahn. Ein Abstand von vier Wochen sei innerhalb der Zulassung möglich.
In der kommenden Woche sollen nun eine Million Astrazeneca-Dosen an die Arztpraxen in Deutschland geliefert werden, die dann ohne Priorisierung vergeben werden, kündigte Spahn am Freitag in Berlin an. Er betonte: „Die Wirksamkeit ist umso höher, desto länger der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung ist.“
Die Wirksamkeit einer zweimaligen Impfung im Abstand von vier bis acht Wochen liegt laut Studien bei 50,4 Prozent, bei zwölf und mehr Wochen bei bis zu 82,4 Prozent. Auf die Frage, ob mit einer Verkürzung des Intervalls die Urlaubsplanung von Impfwilligen zulasten der Wirksamkeit unterstützt werden soll, verteidigte Spahn den Schritt: Viele wollten sich augenscheinlich derzeit nicht mit Astrazeneca impfen lassen, weil sie dann erst im August den vollen Impfschutz bekommen.
Da auch die Erstimpfung schon gegen das Virus schütze, sei so eine geringere Akzeptanz aber für die Pandemiebekämpfung insgesamt nicht gut. „In dieser Phase der Pandemie haben wir ein großes Interesse daran, dass viele Menschen sich impfen lassen.“
Nebenwirkungen und Impfreaktionen von Astrazeneca aus einer Untersuchung der Universität Oxford:
- Schmerzen an der Einstichstelle (Impfung: 54 Prozent / Kontrollgruppe 37 Prozent)
- Spannungsgefühl trat häufig (64 Prozent / 40 Prozent)
- Abgeschlagenheit (53 Prozent / 38 Prozent)
- Kopfschmerzen (53 Prozent / 39 Prozent)
- Krankheitsgefühl (44 Prozent / 20 Prozent)
- erhöhte Temperaturen (34 Prozent / 11 Prozent)
Die Freigabe von Astrazeneca sei besonders für diejenigen attraktiv, „die nicht so schnell an eine Impfung kommen würden.“ Aber angesichts der beschränkten Liefermengen gelte auch weiter: „Es können nicht innerhalb von drei oder fünf Tagen oder auch von zwei Wochen alle geimpft werden.“ Bei den Über-60-Jährigen seien je nach Bundesland nun rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft.
Empfohlen wird das Astrazeneca-Präparat nach Bekanntwerden von sehr seltenen schweren Nebenwirkungen vor allem bei jüngeren Frauen für Menschen ab 60. Aber auch Jüngere können sich damit impfen lassen. In den Arztpraxen solle nun zusammen mit den Impflingen nach ärztlichem Ermessen entscheiden werden, wer zu welchem Zeitpunkt welchen Impfstoff bekommt.
Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt, weiterhin bei einem Abstand von zwölf Wochen zwischen den beiden Astrazeneca-Impfungen zu bleiben. Es habe sich gezeigt, dass bei der Impfung mit diesem Vakzin die Schutzwirkung nach zwei Impfstoffdosen bei einer Verlängerung des Impfabstands von sechs auf 12 Wochen sehr deutlich zunehme, heißt es in einer Mitteilung vom 14. April.
Dass ein längeres Impfintervall auch die Effektivität der Impfung positiv beeinflusst, sei bisher zwar formal noch nicht gezeigt, erscheine der Impfkommission aber aus immunologischen Gründen plausibel. Außerdem sollen Menschen, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben, frühestens sechs Monate nach der Diagnose eine einzige Impfung erhalten. An den Empfehlungen der Stiko orientieren sich auch impfende Ärzte und die Impfzentren.
Charité-Experte sieht Spahns Vorhaben skeptisch
Auch Experten an der Berliner Charité sehen Spahns Vorschlag aus virologischer Sicht mit Skepsis. „Studien zeigen, dass die Wirksamkeit über die Zeit zunimmt“, sagt Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Charité dem Tagesspiegel. Eine Zweitimpfung nach zwölf Wochen sei demnach besser wirksam als nach vier Wochen.
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Sander empfiehlt, so vorerst auch weiter zu verfahren. Ein Grund für den geplanten Schritt des Gesundheitsministers könnte das Problem mit der Akzeptanz des Impfstoffs von Astrazeneca sein. „Haben die Menschen die Chance, schneller vollgeimpft zu sein, könnte das motivierend wirken.“ Sicher ist aber: „Die Wirksamkeit ist dann möglicherweise nicht ganz dieselbe und man hat weniger Impfstoff für Erstimpfungen zur Verfügung.“
Auch wenn eine Zweitimpfung bereits vier Wochen nach der Erstimpfung Wirksamkeit zeige, besser wäre es länger zu warten, sagt Sander. An der Charité werde auch in der Regel erst zwölf Wochen nach der ersten die zweite Impfung gegeben.
Ob sich Unterschiede bei Geschlecht und Alter zeigen, wenn das Impfintervall verkürzt wird, könne man zudem noch nicht klar sagen. „Dazu fehlt es an Daten“, so Sander. Es sei aber durchaus möglich. Er hält es ebenfalls „aus immunologischer Sicht weiter für sinnvoll, sich an den Studien und an den Empfehlungen der Stiko zu orientieren und nach zwölf Wochen die Zweitimpfung zu geben.“
Stiko empfiehlt Kombination bei Erst- und Zweitimpfung
Klar sei aber auch, dass sich über die zwölf Wochen schon ein guter Schutz durch eine Astrazeneca-Impfung einstelle. „Liegt die zweite Impfung zu nah an der ersten, schwächt sich die Wirkung der Zweitimpfung deutlich ab“, sagt der Impfstoff-Experte. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt, eine Impfung nach vier Wochen würde er „auf keinen Fall“ empfehlen. „Optimal wirkt der Impfstoff bei der zweiten Impfung nach zwölf Wochen.“ Sollten jetzt viele auf eine frühere zweite Impfung zurückgreifen, sinke die Zahl der Erstimpfungen, sagte Lauterbach.
Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Groningen, widerspricht. „Auf Basis der letzten, noch vorläufigen Daten einer Phase-III-Studie, die in den USA durchgeführt wurde, liegt bei einem vierwöchigen Intervall zwischen den Impfungen der Schutz gegen eine symptomatische Erkrankung bei 76 Prozent, bei Älteren sogar etwas höher“, sagte sie in einem Statement dem Science Media Center Germany (SMC).
Das sei etwa gleich der Effektivität bei einem längeren Impfintervall. Es gebe also Hinweise dafür, dass es nicht nachteilig sein muss, das Intervall zu verkürzen, erklärt Huckriede. Die Daten sind allerdings seit März noch nicht publiziert worden. Ihre derzeitige Einschätzung: „Die Verkürzung wird keinen großen Einfluss auf die Wirksamkeit haben.“
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Die Stiko empfiehlt auch dann einen Abstand von zwölf Wochen, wenn der zweite Impfstoff nicht mehr Astrazeneca ist, sondern ein mRNA-Impfstoff, wie beispielsweise Biontech oder Moderna. Zu dieser Kombination wird durchaus Personen unter 60 Jahren geraten. Eine Empfehlung, die auf dem erhöhten Risiko von Hirnvenenthrombose nach der Astrazeneca-Impfung und einem in dieser Altersgruppe niedrigeren Risiko für schwere Corona-Verläufe basiert.
Außerdem sollte weiterhin an einer Priorisierung festgehalten werden, heißt es in einer Mitteilung vom 6. Mai. Die Impfkommission „appelliert an die Solidarität der Ärzteschaft und der gesamten Bevölkerung, bis auf Weiteres vorrangig besonders gefährdeten Personen eine Impfung zu ermöglichen.“
Eine mögliche Raffung der Impfabstände könnte für viele einen entspannten Sommer bedeuten. Mit dem bisherigen Abstand von zwölf Wochen zwischen den beiden Impfungen würde für Menschen, die sich jetzt mit Astrazeneca impfen lassen, erst Ende August eine vollständige Immunisierung aufgebaut sein. Mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna wäre der vollständige Schutz schon Anfang Juli aufgebaut, da hier ein Abstand von nur sechs Wochen von der Stiko empfohlen wird.
Die vielen Arztpraxen, in denen Astrazeneca vor allem zum Einsatz kommt, stellt der Beschluss vor Herausforderungen: Bereits bestehenden Termine müssen nun wieder verlegt werden. Dass die Regierung gleich entgegen zwei Stiko-Empfehlung handelt, können einige aber auch aus anderen Gründen nicht nachvollziehen. Besonders drastisch formuliert es der HNO-Arzt Christian Lübbers: „Wenn Jens Spahn jetzt beide Empfehlungen aus populistischen Gründen in Frage stellt, macht das den Impfstoff nicht besser, aber die Impfkampagne unglaubwürdiger.“
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