Atomausstieg vor Gericht: Absurdität ist möglich
Karlsruhe verhandelt den Atomausstieg. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die Eigentumsrechte der Atomkonzerne verletzt worden sind. Ein Kommentar.
Zwei Tage hat sich das Bundesverfassungsgericht Zeit genommen, um den zweiten deutschen Atomausstieg von 2011 auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Bis ein Urteil fällt, können noch Jahre vergehen. Die drei Atomkonzerne Eon, RWE und Vattenfall halten das Ausstiegsgesetz für verfassungswidrig, weil sie sich um ihr Eigentum in Form dicker Gewinne gebracht sehen. Die Bundesregierung wiederum argumentiert, sie habe 2011 gute Gründe dafür gehabt, das Restrisiko eines schwerwiegenden Atomunfalls, wie die Kernschmelzen in Fukushima nach dem schweren Erdbeben und den darauf folgenden Tsunami am 11. März 2011, neu einzuschätzen.
Sollte das Gericht zu der Auffassung kommen, dass das Eigentumsrecht verletzt wird, wenn eine vor Jahrzehnten ausgestellte Betriebsgenehmigung zeitlich beschränkt wird, hätte das absurde Folgen. Dann dürften auch gefährliche Chemiefabriken nicht geschlossen werden, selbst wenn sie gesundheitsgefährdend sind. Das wäre ja auch ein Eingriff ins Eigentumsrecht.
Risiko im Normalbetrieb
Die Kraftwerksbetreiber argumentieren gerne, dass schwere Erdbeben wie in Japan hierzulande unmöglich seien und ein Tsunami am Rhein nicht zu erwarten sei. Doch die Atomkatastrophe von Fukushima hat Risiken sichtbar gemacht, denen auch deutsche Anlagen ausgesetzt sein können. Die erste Kernschmelze im fernen Japan war letztlich eine Folge des Stromausfalls. Die Notpumpen, mit denen der Kühlkreislauf hätte aufrechterhalten werden sollen, hat der Tsunami lahmgelegt. Die Stromversorgung war aber schon direkt nach dem Erdbeben ausgefallen. Und das ist eine Fehlerquelle, die auch bei deutschen Atomkraftwerken unter extremen Umständen auftreten kann. Die Bundesregierung hatte also durchaus plausible Gründe, das Risiko des Normalbetriebs von Atomkraftwerken neu zu bewerten.
Nach dem Ausstiegsvertrag brachen die Konzerne den Kontrakt
Es kommt noch dazu: Im Jahr 2000 haben die Konzerne mit der rot-grünen Bundesregierung schon einmal einen Atomausstieg verhandelt. Alle vier Betreiber stimmten dem Vertrag zu – doch kaum war er geschlossen, begannen sie, intensiv für eine Laufzeitverlängerung zu werben. Nach dem Wahlsieg von Union und FDP 2009 hatten sie ihr Ziel fast erreicht. 2010 wurden ihre abgeschriebenen Atomkraftwerke tatsächlich noch einmal vergoldet, ihre Laufzeiten im Schnitt um zwölf Jahre verlängert. Ein halbes Jahr später brannten in Fukushima drei Meiler durch.
Ob das Interesse von Atomkonzernen, die ihren eigenen Vertrag nicht eingehalten haben, über den Interessen der Bevölkerung am Atomausstieg steht, entscheiden nun die Karlsruher Richter. Sollten sie zugunsten der Konzerne urteilen, würde das deren Position in der Frage der Atomausstiegs-Kosten stärken. Für die Steuerzahler käme das aber teuer.
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