Referendum in Katalonien: 90 Prozent stimmen für die Unabhängigkeit
Die spanische Regierung hat alles versucht, das Referendum zu verhindern. Es gibt rund 850 Verletzte. Trotzdem beteiligen sich 42 Prozent der Katalanen.
Nach einem von Polizeigewalt überschatteten und umstrittenen Referendum über die Abspaltung von Spanien ist in Katalonien die Ausrufung eines unabhängigen Staates deutlich näher gerückt. „Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben“, sagte Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont. Für die Unabhängigkeit hätten sich gut 90 Prozent der Wähler ausgesprochen, teilte der Sprecher der separatistischen Regionalregierung, Jordi Turull, in der Nacht zum Montag mit. An der Befragung hätten gut 2,26 Millionen der insgesamt 5,3 Millionen Wahlberechtigten teilgenommen, sagte er. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von rund 42 Prozent.
Da die Gegner einer Abspaltung überwiegend nicht zur Wahl gehen wollten, war eine klare Mehrheit für die Loslösung erwartet worden. Allerdings ging die spanische Regierung auch hart gegen das Referendum vor und entsandte Tausende von Sicherheitskräften in den Nordosten des Landes. Nach Angaben der katalanischen Regionalregierung wurden am Sonntag rund 850 Bürger verletzt, nachdem Polizisten Schlagstöcke und Gummigeschosse eingesetzt hatten. Auch 33 Beamte trugen Verletzungen davon.
Verschiedene Gewerkschaften und Organisationen riefen für Dienstag zu einem Generalstreik in Katalonien auf, um gegen die Polizeigewalt zu protestieren. Eine „schlagkräftige Antwort“ auf die Repression sei nötig, sagte die regionale Sprecherin des nationalen Gewerkschaftsbundes CCOO, Dolors Lobet, am Sonntagabend in Barcelona. Der UGT, neben CCOO der einflussreichste Gewerkschaftsverband Spaniens, wollte am Montag über eine Teilnahme an der Arbeitsniederlegung entscheiden.
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sprach dem vom Verfassungsgericht in Madrid untersagten Referendum am Sonntagabend jede Gültigkeit ab. Er nannte die Abstimmung eine Inszenierung. „Es hat in Katalonien kein Referendum gegeben“, sagte der konservative Politiker. Bei einer Abspaltung der von ausländischen Touristen meistbesuchten Region des Landes würde das EU-Land auf einen Schlag knapp 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verlieren.
Nach dem vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedeten „Abspaltungsgesetz“ könnte die Regionalregierung derweil schon innerhalb der nächsten 48 Stunden die Unabhängigkeit ausrufen. Vor Bekanntgabe der offiziellen Resultate hatte der regionale Regierungschef Puigdemont erklärt, er werde die Ergebnisse des Referendums dem katalanischen Parlament zuleiten.
„Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben“, sagte er. Auf dem Platz Placa de Catalunya im Zentrum Barcelonas brachen Zehntausende von Menschen bei diesen Worten in Jubel aus. Sie sangen auch die katalanische Nationalhymne „Els Segadors“.
Viele Medienbeobachter und Politiker machen unterdessen sowohl Rajoy als auch Puigdemont für die explosive Lage verantwortlich. Beide hätten auf Konfrontation statt auf Dialog gesetzt, hieß es häufig. Die stärkste Oppositionskraft in Madrid, die sozialistische Partei (PSOE), sprach von „Schande und Traurigkeit“. PSOE-Chef Pedro Sánchez rief in erster Linie Rajoy zu Verhandlungen auf. „Er muss verhandeln, verhandeln und nochmal verhandeln und ein Abkommen (mit Katalonien) erzielen. Das ist seine Verantwortung.“
Özdemir fordert erneut Vermittlung durch EU-Kommission
Nach der Chaos-Abstimmung äußerten viele Politiker auch im Ausland Sorge und Unverständnis. „Ich will mich nicht in innenpolitische Angelegenheiten in Spanien einmischen, aber ich verurteile scharf, was heute in Katalonien passiert ist“, schrieb der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, auf Facebook. Es sei „höchste Zeit für eine Deeskalation.“ Die Grünen im Europa-Parlament verlangten, dass sich Brüssel in den Konflikt einschalte. Auch Puigdemont forderte die EU auf, nicht länger wegzuschauen.
Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Madrid zum Dialog auf. „Der massive Polizeieinsatz gegen die Menschen, die wählen wollen, ist ein Fehler. Dieses Vorgehen wird das politische Problem nur verschärfen“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur. Der Ball liege nun in Rajoys Feld. Özdemir plädierte erneut dafür, dass die EU-Kommission diesen Gesprächsprozess unterstützt. Eine entsprechende Vermittlung hatte der Grüne schon am Samstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel gefordert.
Trotz des harten Polizeieinsatzes wurde in Katalonien vielerorts abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der 3215 Wahllokale hätten am Sonntag normal funktioniert. Auch Fußballstar Gerard Piqué vom Topclub FC Barcelona gab seine Stimme ab. „Ich habe abgestimmt. Gemeinsam sind wir beim Schutz der Demokratie nicht zu stoppen“, twitterte der 30 Jahre alte Katalane, der mit Pop-Queen Shakira zwei Kinder hat. (Tsp, dpa, AFP)
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