Separatisten in Europa: Nicht nur Katalonien: Wer alles nach Unabhängigkeit strebt
Viele im Nordosten Spaniens wollen einen eigenen Staat. Doch auch in Schottland, Grönland oder auf der Krim gibt es Separatisten. Ein unvollständiger Überblick.
An diesem Sonntag spitzt sich die Lage in Spanien zu. Polizisten der Zentralregierung hindern Wähler an der Teilnahme am Referendum, beschlagnahmen Urnen und Unterlagen. Während Madrids Bundespolizei das Referendum über einen eigenen katalonischen Staat verhindern soll, wollen Sicherheitskräfte aus Kataloniens Hauptstadt Barcelona die Abstimmung garantieren. Auch deutsche Bundespolitiker hatten die Eskalation mit Sorge beobachtet. Doch nicht nur in Spanien kämpfen Provinzen um eigene Staaten. Ein Überblick in Europa.
KATALONIEN
Es gibt eine Tradition katalanischer Kämpfe gegen die Zentralregierung in Madrid. Unter dem faschistischen Diktator Francisco Franco war die Region eine Hochburg des Widerstandes. Schon 2012 demonstrierten 1,5 Millionen der 7,5 Millionen Katalanen für einen eigenen Staat - und nicht mal alle der Unabhängigkeitsbefürworter sind Katalanen. Die Katalanen sehen sich von Madrid benachteiligt, da sie besonders viele Steuern an Madrid abführen. Für einen eigenen Staat sprechen sich sowohl konservative Politiker als auch linksradikale Jugendverbände aus.
BASKENLAND
Die Basken sind ein Pyrenäen-Volk – mit einer von Spanisch und Französisch unabhängigen Sprache. Im Alltag verständigen sich viele Basken nicht auf Baskisch. Unter Francisco Franco wurden die Basken unterdrückt, die linksnationalistische Untergrundarmee Eta erhielt deshalb Hilfe spanischer Antifaschisten. Die Eta büßte im Laufe der Jahre allerdings viele Sympathien ein, auch weil bei ihrem Kampf 850 Menschen starben. Spaniens Regierung ging hart gegen die Organisation vor. Zudem wurde 2001 die Separatistenpartei Batasuna verboten. Die Eta gab 2017 ihre Waffen ab.
SCHOTTLAND
Sicher, die Abstimmung 2014 haben sie verloren: Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond, damals Kopf der Scottish National Party (SNP), wollte die Unabhängigkeit. Die SNP macht auf das Öl vor schottischen Küsten aufmerksam, lehnt die britischen Atomwaffen und den neoliberalen Kurs Londons ab. Nach dem Brexit-Votum 2016 startete die Diskussion erneut, die meisten Schotten wollen – anders als die Briten – in der EU bleiben. Die neue SNP-Chefin Nicola Sturgeon fordert ein neues Referendum.
NORDIRLAND
Nach wie vor trennen Mauern katholische und protestantische Viertel im nordirischen Belfast. Während katholische Iren zur linksnationalistischen Sinn Fein halten, unterstützen protestantische Briten royalistische Parteien, die sich zum englischen Königshaus bekennen. Die in Marxisten und Linkskatholiken gespaltene Untergrundarmee IRA kämpfte Jahrzehnte gegen die Briten: „The Troubles“ endeten mit dem Karfreitagsabkommen 1998. Neuer Streit droht, da die Grenze zu Irland geschlossen werden müsste, wenn London aus der EU austritt.
FÄRÖER UND GRÖNLAND
Die Färöer-Inseln und Grönland gehören zum Königreich Dänemark – aber nicht zur EU. Beide genießen Selbstverwaltung. Je zwei färöische und grönländische Abgeordnete werden ins Parlament nach Kopenhagen entsandt. Vor allem Grönland macht Druck – mehr Autonomie wollen dort die meisten, viele gar einen eigenen Staat – ohne Schmusekurs mit Brüssel. Grönland sei offen für Investitionen, erklärte die Inselregierung, als die EU 2013 verlangte, China keine Abbaurechte einzuräumen.
KORSIKA
Seit 50 Jahren kommt es auf der Insel, die seit 1769 zu Frankreich gehört, zu Anschlägen von Separatisten – auch wenn die korsische Unabhängigkeitsbewegung friedlicher geworden ist. Villen von Franzosen, Ferienhäuser und Banken werden immer noch angegriffen. Bei einem Votum über mehr Autonomie, dass die Pariser Zentralregierung 2003 auf Korsika durchführen ließ, stimmten 51 Prozent dagegen. Die Separatisten der FLNC haben der Gewalt abgeschworen. Bei der Regionalwahl 2015 wurde die Liste korsischer Nationalisten stärkste Kraft.
BELGIEN
Der Streit zwischen Flamen und Wallonen hat 2010 dazu geführt, dass sich Belgien mehr als ein Jahr nicht auf eine Regierung einigen konnte. Dabei geht es nur teilweise um die Sprache: In Flandern wird belgisches Niederländisch, das Flämische, gesprochen; in Wallonien meist Französisch. Belgien ist eine Föderation mit autonomer, multilingualer Hauptstadt Brüssel. Aber Flandern ist reicher als Wallonien, viele würden die Transferzahlungen gern zurückhalten. Heute regieren in Flandern die gemäßigten Nationalisten der Nieuw-Vlaamse Alliantie.
NORDITALIEN
Seit den 80er Jahren fordert die rechtspopulistische Lega Nord, den reichen Norden vom Süden zu trennen. Der Ex-Chef der Partei, Umberto Bossi, entwarf den Idealstaat „Padanien“, der Friaul-Julisch Venetien, Lombardei, Piemont, Ligurien, Trentino-Südtirol, Emilia-Romagna und das Aostatal umfasste. Seit 2013 regiert die Lega in Piemont, der Lombardei und Venetien. Um Venedig gibt es Aktivisten, die eine Mini-Republik fordern. Die Lega plädiert derzeit für eine Föderalisierung Italiens – soll aber fast pleite sein.
SÜDTIROL
Das österreichische Südtirol wurde nach 1918 Italien zugeschlagen. In den 60er Jahren sprengte der Befreiungsausschuss Südtirol Strommasten, 1972 gewährte Rom den Deutschsprachigen Autonomie, die 1992 ausgeweitet wurde. Südtirol gehört zu den Regionen, die Italiens Süden subventionieren. Seit Rom im Zuge der Finanzkrise mehr Geld fordert, werden die Rufe nach Separation lauter. Die Partei Süd-Tiroler Freiheit, die sich einen eigenen Staat oder die Vereinigung mit Österreich wünscht, stellt Gemeinderäte.
BOSNIEN
Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind angesichts der Kriege im Nahen Osten fast von der Agenda verschwunden. Dabei geht es für für Bosnien-Herzegowina um die Existenz. Das Dayton-Abkommen 1995 sah vor, dass Serben, Kroaten und bosnische Muslime, die Bosniaken, nach Proporz an der Macht beteiligt werden. Heute hat Bosnien 150 Minister, dem 3,8-Millionen-Land geht es so schlecht wie in den 90ern. Obwohl sie ihre Teilrepublik autonom verwalten, wollen die Serben raus aus Bosnien.
KOSOVO
Nach 1945 wurde Kosovo eine jugoslawische Provinz. Als Jugoslawien zerbrach, gehörte Kosovo zu Serbien. Die kosovarischen Albaner begehrten auf; nach dem von der Nato unterstützten Krieg 1999 erklärte sich das Kosovo 2008 für unabhängig. Die meisten Serben haben das Kosovo verlassen. Im Norden gibt es selbstverwaltete Serben-Gemeinden. Sie suchen wie die bosnischen Serben den Anschluss an Belgrad. Im Nachbarland Mazedonien bekämpfen bis heute nationalistische Albaner die Regierung in Skopje.
TRANSNISTRIEN
Auch diese Region ist ein Zerfallsprodukt, diesmal der Sowjetunion. In Transnistrien leben mehrheitlich Russen und Ukrainer, die sich nicht den rumänischsprachigen Moldauern unterordnen wollten. Sie fürchteten die Westanbindung des an Rumänien grenzenden Staates. Allerdings leben auch in (Rest-)Moldau viele Russen, Ukrainer und Bulgaren – also Slawen unbehelligt. Zudem wollen sich gar nicht alle ethnischen Moldauer – also rumänischsprachige Romanen – von Russland abwenden. In Transnistrien sind russische Truppen stationiert.
OSTUKRAINE
Im Osten der Ukraine kämpfen seit 2014 von Kiew entsandte Regierungstruppen gegen von Moskau unterstützte Aufständische. Letztere setzen sich aus Anhängern der Regierung Wladimir Putins, zaristischen Traditionalisten und ex-kommunistischen Funktionären zusammen. Allerdings verweisen die Separatisten, die vor allem die Industriestädte Donezk und Lugansk selbst verwalten, auf die Politik in der ukrainischen Hauptstadt Kiew: Die ukrainische Rechte hatte versucht, Russisch als regionale Amtssprache abzuschaffen. Viele Millionen Ukrainer verstehen sich als Russen.
KRIM
Als die Sowjetunion zerfiel, erklärte sich die ukrainische Teilrepublik 1991 für unabhängig. Die Krim gehörte noch in den 50ern zu Russland, ihre Bewohner betrachten sich meist als Russen. 1992 wurde die Halbinsel zur Autonomen Republik in der Ukraine erklärt. Als Amtssprachen galten: Ukrainisch, Russisch, Krimtatarisch. Im März 2014, als sich in Kiew die EU- und Nato-Anhänger durchsetzten, unterstützten russische Soldaten ein Referendum, dem eine Sezession folgte. Anders als beim Kosovo erkennt Deutschland die Abspaltung nicht an.
Hannes Heine