25 Jahre Asylkompromiss: Wenn Wunschdenken Politik wird
Die Einschränkung des Asylartikels im Grundgesetz erschien 1992 als das Mittel, die deutschen Grenzen abzudichten. Im Rückblick war es nur ein Anfang.
Runde Jubiläen sind normalerweise Grund zum Feiern oder doch für ausführliches Gedenken. Dennoch sind 25 Jahre Asylkompromiss in der vergangenen Woche fast unbemerkt geblieben, auch in dieser Zeitung. Am 6. Dezember 1992 gab die SPD dem Drängen der damaligen Regierung Kohl nach und erklärte sich zur Änderung des Artikels 16 im Grundgesetz bereit, in dem bis dato der schlichte Satz gestanden hatte „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Der sogenannte Asylkompromiss wurde seinerzeit allgemein als tiefer Einschnitt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte empfunden, von den einen bejubelt, von den andern als De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl verteufelt.
Ein Jahrestag, der nicht mehr aufregt
Die Änderung, die im Dezember 1992 beschlossen wurde und im Frühjahr darauf in Kraft trat, definierte schlicht all jene Asylbegehren aus dem Geltungskreis des Artikels heraus, die Staatsangehörige sogenannter sicherer Länder stellten, oder Menschen, die zwar Grund hatten, sich in Sicherheit zu bringen, aber auf ihrem Weg nach Deutschland ein ebenfalls sicheres Land passiert hatten. Es schien der Schlusspunkt unter ein Projekt, das die deutsche Politik rechts der Mitte spätestens seit den 1980er Jahren verfolgt hatte.
Heute, 25 Jahre klüger geworden, lässt sich vielmehr sagen: Der Nikolaustag 1992 war nicht mehr als ein Anfang – womöglich konsequent also, dass dieser Jahrestag nicht so richtig aufregte. Die Neufassung des Artikels schien im Sinne ihrer Erfinder genial: Im Grunde hätten Schutzsuchende seither die deutschen Grenzen überfliegen müssen, um hier erfolgreich einen Antrag auf Asyl zu stellen, und dies möglichst unter Umgehung von Passkontrollen. Doch die Realität hat das als völlig ungenügend demaskiert. Und entsprechend folgten der Änderung des Grundgesetzes weitere, im Sinne der Abschreckung unerwünschter Fremder flankierende Maßnahmen: Nicht ganz ein Jahr danach senkte das Asylbewerberleistungsgesetz die Zuwendungen an sie unters Lebensnotwendige, seit Ende der 1990er entlasteten die Dublinregeln der EU Deutschland auch förmlich von Asylverfahren für alle, die nicht zuerst hier Europa betreten hatten.
Mehr Geld und Fantasie für besseres Migrationsmanagement
Seit dem wieder anschwellenden Strom von Flüchtlingen infolge nicht nur des Syrienkriegs läuft die deutsche Verhinderungsmaschinerie geradezu heiß: Asylpaket I, Asylpaket II, eine wachsende Liste angeblich sicherer Herkunftsstaaten, verminderter Rechtsstatus für die Mehrzahl der Syrerinnen und Syrer („subsidiärer Schutz“), ausgesetzter Familiennachzug, die Neudefinition des 1992 erfundenen sicheren Herkunftsstaats, der jetzt auch eine angeblich sichere Insel in einem Bürgerkriegsland sein darf. Andere Mittel, die sich schon früher als untauglich erwiesen hatten, wurden trotzdem wieder ausprobiert, so die Ausreichung von Lebensmitteln statt Geld an Asylbewerber. Von den bilateralen Abkommen der EU mit Transit- und Herkunftsländern der Migranten zu schweigen.
Die Politik der Abschreckung und des Türenverriegelns funktioniert seit Jahrzehnten nicht. Sie tut es nicht, weil sie sich ihre Ziele von Wunschdenken diktieren lässt. Es ist legitim, sich Einwanderung wegzuwünschen, nur realistisch ist es nicht. Weil auf diesem Feld aber Wünsche statt Realismus die Politik leiten, wird erschütternd viel Kraft, Geld und Fantasie verbrannt, die so viel besser ins Management von Migration investiert würden. Ein paar Beispiele, wie den Verschiebebahnhof Dublin-Rücknahmen: Deutschland gibt an Frankreich oder Polen ab, nimmt von dort aber andere Asylbewerber zurück, produziert mit hohem Aufwand kaum Ergebnisse.
Seit Jahrzehnten in die falsche Richtung
Oder die Verwaltungsgerichte, die unter der Flut von Verfahren ächzen, mit denen Geflüchtete mittelbar den Familiennachzug erreichen wollen. Und mit der Absenkung des Schutzstatus von Genfer-Konventions- auf subsidiären Schutz hat sich die Politik selbst ein Bein gestellt: Wenn der Bürgerkrieg in Syrien sich fortschleppt, werden auch die so Geschützten lange in Deutschland bleiben müssen. Nur sind dann wertvolle Jahre vergangen, in denen man der Illusion anhing, diese Leute bräuchten keinen Familiennachzug und keine Integration, die seien ja bald weg. So produziert Wunschdenken politische Enttäuschung. Die AfD dürfte es freuen.
Eigentlich hätte der Jahrestag des Asylkompromisses ein kleines Gedenken im Bundestag verdient gehabt. Erinnern hilft, das Heute zu verstehen. Aber vielleicht ist es zu riskant, sich einzugestehen, dass man in einer so wichtigen Frage schon seit Jahrzehnten in die falsche Richtung läuft.
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