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"Kein Mensch ist illegal."
© dpa

Asylpolitik: Sie kentern weiter

Der so genannte Asylkompromiss liegt 20 Jahre zurück. Und noch immer gibt es keine gemeinsame Asylpolitik der Europäischen Union.

In dieser Woche lag der sogenannte Asylkompromiss 20 Jahre zurück. Am Nikolaustag 1992 gab die SPD dem Drängen des Regierungslagers – und, ja, auch medialem Sperrfeuer – nach und stimmte der Einschränkung des Artikels 16 im Grundgesetz zu. „Das Boot ist voll“, das Bild war schon schief, als es 50 Jahre zuvor erstmals der schweizerische Justizminister ausmalte, um zu rechtfertigen, warum sein Land die Grenzen gegen jüdische Flüchtlinge abriegelte. Es war 1991 nicht richtiger, als der „Spiegel“ seinen Titel „Ansturm der Armen“ damit illustrierte. Und es stimmte auch ein Jahr später nicht.

Aber um Zahlen geht es sowieso nur vordergründig; sonst würde nun, 20 Jahre später, jemandem auffallen, dass die Zahl der Asylbewerber eines Monats in Deutschland in etwa der Zahl der Flüchtlinge entspricht, die derzeit allein aus dem syrischen Bürgerkrieg in die Türkei flüchten. An einem einzigen Tag. Sonst könnte kein Regierungsmitglied angesichts von nicht ganz 3000 mazedonischen und serbischen Asylanträgen erneut über Überlastung klagen. Und ihnen, die man kurzerhand und pauschal zu Wirtschaftsflüchtlingen umdefiniert, die Unterstützung unters Existenzminimum drücken. Das hat zwar vor wenigen Monaten ein Urteil aus Karlsruhe als verfassungswidrig verboten, aber man möchte sie aus dessen Geltungsbereich einfach hinauswerfen: Ihre Herkunftsstaaten auf dem Balkan gelten als sicher, obwohl sie sie selbst anders erlebt haben. Das scheint zu reichen, um sie aus dem Geltungsbereich des Richterspruchs hinauszudefinieren.

Mit Einführung des angeblich sicheren Drittstaats hält Deutschland seit 20 Jahren schließlich sowieso die meisten Hilfsbedürftigen auf Abstand. Auch deshalb gibt es nach wie vor keine faire oder auch nur gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU. Gerade ist die Einigung wieder verschoben worden. Zu praktisch für die Länder jenseits der Alpen, dass sie keine lange Küstenlinie vor Afrika haben – ein Standortvorteil, den die Starken der EU natürlich nicht gern aufgeben wollen. Den Rest erledigen der Grenzschutz der Festung Europa und immer neue Rücknahmeabkommen mit nordafrikanischen Hauptstädten. Und so landen und stranden immer wieder überfüllte Boote auf Lampedusa oder kentern in den Meerengen von Gibraltar und Messina. Fast 19 000 Menschen kamen in den vergangenen 24 Jahren auf dem Weg durchs Mittelmeer nach Europa ums Leben, allein 1500 sollen es im vergangenen Jahr gewesen sein.

Am Montag bekommt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Der Protest einiger Vorgänger, darunter Menschenrechtsaktivisten wie der südafrikanische Bischof Desmond Tutu, ist verständlich. Aber sie könnte ihre Kritiker überraschen. Etwa durch einen neuen Anlauf bei der Flüchtlingspolitik im kommenden Jahr. Der Tag der Verleihung enthält schließlich eine Art Auftrag: Montag ist Internationaler Tag der Menschenrechte.

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