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Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ufer des Perlflusses in Guangzhou.
© dpa

Ungleiche Partner: So schnell wechselt China sein Gesicht

Dass auf der China-Reise von Angela Merkel nicht alles rosig sein würde, war zu erwarten. Beim wichtigsten Ziel ihrer Reise konnte die Bundeskanzlerin aber einen überraschenden Fortschritt erzielen.

In den vergangenen zweieinhalb Tagen hat Angela Merkel bei ihrer fünften Chinareise ein Kunststück aus der Chinesischen Oper erlebt. „Bian Lian“ nennt sich dieser Moment in der Sichuan Oper, in dem sich der Künstler auf der Bühne blitzschnell und für das Publikum nicht optisch nachvollziehbar eine neue Maske über das Gesicht zieht.

Da hofiert Premierminister Wen Jiabao Angela Merkel am Donnerstag mit den Worten, die Beziehungen zwischen Deutschland und China stünden auf sehr hohem Niveau. Und zwei Stunden später stürzt dieses Niveau auf ein unterirdisches Level, als die chinesische Staatssicherheit verhindert, dass der Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping zu einem Empfang mit der Bundeskanzlerin in die Deutsche Botschaft kommen kann. Am nächsten Morgen wiederum wünscht sich Staatschef Hu Jintao eine lang anhaltende, gesunde und tiefgründige strategische Partnerschaft mit Deutschland. Als sei zuvor nichts geschehen. Zack, zack, zack: So schnell wechselt das offizielle China sein Gesicht.

Trotz dieser Brüskierungen – auch ein Termin mit der kritischen Zeitung „Nanfang Zhoumo“ musste offenbar auf Druck der chinesischen Behörden abgesagt werden – ist die Mission der Bundeskanzlerin in China nicht gescheitert. Mit Knüppeln dieser Art muss man in der Beziehung zu einem autoritären, sozialistischen Einparteiensystem rechnen. Niemand wüsste das besser als die ehemalige DDR-Bürgerin Angela Merkel. Nach den arabischen Revolutionen und vor dem eigenen Machtwechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei im Herbst haben in China Kontrollwut und Nervosität der Machthabenden zugenommen.

Beim wichtigsten Ziel ihrer Reise konnte die Bundeskanzlerin einen überraschenden Fortschritt erzielen.

Die deutsche Botschaft in Peking weiß um die Gefahr, dass regimekritische Gesprächspartner an einem Treffen mit der Bundeskanzlerin gehindert werden könnten. Und veröffentlicht daher gar nicht erst die Namen möglicher Gesprächspartner, damit diese eine bessere Chance haben, die Bundeskanzlerin zu treffen. Mo Shaoping durfte nicht kommen, andere schon. Weshalb Angela Merkel trotzdem die Möglichkeit hatte, sich über die Lage der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit in China zu informieren.

Beim wichtigsten Ziel ihrer Reise konnte die Bundeskanzlerin sogar einen überraschenden Fortschritt erzielen. Plötzlich interessiert sich China doch für das europäische Instrumentarium zur Bewältigung der Schuldenkrise. Die Buchstabenkombinationen EFSF und ESM kamen Spitzenpolitikern wie Dolmetschern flüssig über die Lippen. Vor kurzem noch war für China eine Beteiligung lediglich im Rahmen des Internationalen Währungsfonds denkbar. Die neue Position lässt zwar noch keinen einzigen Yuan fließen, doch sie ist psychologisch wichtig. Es könnte beruhigend wirken, wenn das Land mit den größten Devisenreserven der Welt (3,2 Billionen Dollar) überlegt, eine größere Rolle in der europäischen Schuldenkrise spielen zu wollen.

Angela Merkel hat zu verstehen bekommen, dass China die Zusammenarbeit mit Deutschland auf wirtschaftlicher und politischer Ebene intensivieren will. Deutschland gilt, trotz aller Differenzen über außenpolitische Themen wie Iran sowie bei Menschenrechten und Meinungsfreiheit, als verlässlicher Partner. Deshalb wünscht sich China von Deutschland sogar eine noch größere Führungsrolle in Europa zur Lösung der Schuldenkrise. Zu keiner anderen westlichen Industrienation ist das Verhältnis der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt so gut wie zu Deutschland.

Das lässt sich an Merkels Terminen in Kanton ablesen. Der Besuch bei der Zeitung musste abgesagt werden, dafür sollte am Samstag ein Treffen mit dem katholischen Erzbischof Joseph Gan Junqiu stattfinden. Das ist leider auch nicht selbstverständlich in China, wo die katholische Kirche in die staatlich kontrollierte Patriotische Vereinigung und die vatikantreue, von Verfolgung und Verhaftungen betroffene Untergrundkirche gespalten ist. Zumindest zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand das Treffen noch auf dem Programm. Hier zeigt sich wieder das freundliche Gesicht Chinas.

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