Reise der Bundeskanzlerin: Merkel in China: Hoffen auf den starken Partner
Bei Angela Merkels Besuch in Peking stehen eine Reihe kontroverser Themen auf der Tagesordnung. Die Kanzlerin nimmt auch Europas Probleme mit nach China. Welche Erwartungen sind an die Reise geknüpft?
Aus wirtschaftlicher Perspektive scheint die aktuelle Chinareise von Angela Merkel einem perfekten Plan zu folgen – und ist doch nur ein günstiger Zufall. Nach der Verabschiedung des Fiskalpaktes der Europäischen Union könnte es keinen besseren Zeitpunkt für die Bundeskanzlerin geben, um in China für Investitionen und finanzielle Unterstützung in Europa zu werben. Tatsächlich aber ist die Reise länger geplant gewesen, sie soll das Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China vor 40 Jahren unterstreichen. Aus demselben Anlass hat am Mittwoch in Berlin das chinesische Kulturjahr begonnen, bei dem allerdings der hierzulande bekannteste chinesische Kulturschaffende fehlen wird: Der regimekritische Künstler Ai Weiwei steht bekanntlich seit Mai in Peking unter Hausarrest.
Wie will Angela Merkel von China Hilfe in der Euro- Schuldenkrise erhalten?
Indem sie nicht als Bittstellerin auftritt, sondern deutlich macht, dass es nicht allein um Hilfe für Europa geht – sondern auch um Hilfe für China. Eine wirtschaftlich starke EU muss auch im Interesse Chinas liegen. Zum einen könnte Peking seine Währungsreserven im Wert von rund 2,45 Billionen Euro nicht nur in den kriselnden Dollar anlegen, sondern sie mit Euro diversifizieren. Zum anderen könnte ein chinesisches Engagement beim europäischen Schutzschirm EFSF dessen Hebelfunktion erhöhen und dessen Schutzwirkung verbessern. Auch durch eine stärkere Beteiligung am Internationalen Währungsfonds oder durch Direktinvestitionen in die Länder der EU könnte China seinen größten und wichtigsten Außenhandelspartner Europa unterstützen. Was wiederum auch Peking zugute käme.
Zuletzt ist Chinas Außenhandelsüberschuss im dritten Jahr in Folge gesunken: 2011 um 14,5 Prozent auf 118,7 Milliarden Euro. Der Hauptgrund dafür liegt neben der schwächelnden US-Wirtschaft auch in der anhaltenden Rezession der Eurozone. Seit August 2011 ist auch Chinas Exportwachstum im Vergleich zum Vorjahr im Sinken begriffen. Im Dezember 2011 wuchs es nur noch um 13,4 Prozent. Was in anderen Ländern ein Grund zum Jubeln wäre, ist in China ein Grund zu klagen: Im Januar 2011 hatte das Exportwachstum im Vergleich zum Vorjahresmonat noch 37,6 Prozent betragen.
Was erwartet die deutsche Wirtschaft von dem Besuch in China?
Wachstum, Wachstum, Wachstum – weshalb Angela Merkel von rund 20 hochrangigen Vertretern der deutschen Wirtschaft begleitet wird. Die Delegation wird angeführt von Siemens-Chef Peter Löscher, auch die Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn (Volkswagen), Frank Appel (Deutsche Post), Martin Blessing (Commerzbank), Kurt Bock (BASF) und aus Berlin Axel Schweitzer (Alba) sind mitgeflogen. Auf chinesischer Seite werden wirtschaftliche Schwergewichte wie der Computerhersteller Lenovo und der Logistik-Riese Cosco vertreten sein. In Guangzhou, auf dem zweiten Teil der Reise, werden wirtschaftliche Themen noch stärker in den Mittelpunkt rücken und die Zusammenarbeit auf Gebieten wie Urbanisierung, Stadtentwicklung, Mobilität und Energieeffizienz besprochen. Doch es dürfte neben gegenseitigen Investitionen auch um die bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten in China gehen: erzwungener Technologietransfer, eingeschränkter Marktzugang, mangelnder Schutz geistigen Eigentums.
Welche außenpolitischen Erwartungen hat Deutschland an China?
Angela Merkel ist sich bewusst, dass das außenpolitische Gewicht Chinas und der anderen Schwellenländer in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Im Gegenzug empfindet China Deutschland inzwischen nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch als wichtigsten Partner in der Europäischen Union. Die Kanzlerin wird sich besonders für Chinas Einschätzung über Nordkorea nach dem Machtwechsel zu Kim Jong Un interessieren. Peking ist Nordkoreas wichtigster politischer und wirtschaftlicher Verbündeter. Auch das Ölembargo der EU gegenüber dem Iran steht auf der Agenda. Bisher stand China Teheran in den wichtigsten politischen Fragen treu zur Seite, denn zehn Prozent der chinesischen Ölimporte stammen von dort. Inzwischen aber verhandelt Peking auch mit Moskau, um die Einfuhr russischen Öls zu steigern und die Abhängigkeit vom politisch unberechenbaren Iran zu vermindern. Und schließlich dürfte auch Syrien kontrovers diskutiert werden, denn China verhindert bislang gemeinsam mit Russland eine Resolution des Sicherheitsrates.
Welche Rolle wird das Thema Menschenrechte spielen?
Den Dissidenten Yu Jie kann Angela Merkel nicht mehr wie noch vor einigen Jahren in Peking treffen. Der Freund des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo ist mit seiner Familie in die USA geflohen, weil er die unaufhörlichen Repressalien nicht mehr aushielt – Verhaftungen, Schläge, Demütigungen. Immerhin durfte er offiziell ausreisen und wurde nicht, wie zuletzt der Dissident Chen Xi, wegen „Anstiftung zum Umsturz“ zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt. Chen Xi hatte im Internet Artikel veröffentlicht, in denen er Chinas Einparteienherrschaft kritisierte.
Wenn Angela Merkel am Donnerstag in China eintrifft, kommt sie in ein Land, in dem sich die Menschenrechtslage in den letzten Monaten weiter drastisch verschlechtert hat. Vier Dissidenten sind innerhalb eines Monats zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Seit dem Beginn des arabischen Frühlings geht China noch härter gegen Regimekritiker vor, um eine ähnliche Entwicklung wie in Ägypten und Libyen bereits im Keim zu ersticken. Auch in Tibet und den angrenzenden tibetischen Gebieten in Qinghai und Sichuan hat sich die Lage nach 16 Selbstverbrennungen von Tibetern drastisch verschärft. In Sichuan haben chinesische Sicherheitskräfte in der vergangenen Woche mindestens zwei tibetische Demonstranten erschossen, exiltibetische Gruppen sprechen von sechs Toten. Die Auseinandersetzungen in Draggo sollen ausgelöst worden sein, weil sich die Tibeter nach den zahlreichen Selbstverbrennungen weigerten, das Chinesische Neujahr zu feiern.
Angela Merkel weiß um diese traurige Menschenrechtssituation und wird das Thema, wie auch schon auf ihren vorhergehenden vier China-Reisen, ansprechen. „In meinen Gesprächen spielen Menschenrechte stets eine Rolle“, sagte sie der Zeitung „Die Welt“, „daran werde ich auch nichts ändern, weil deutsche Außenpolitik stets gleichermaßen von ihren Werten und Interessen geleitet ist.“ Auf ihrer Reise soll sie auch mit einigen regimekritischen Chinesen zusammentreffen. Yu Jie aber wird nicht dabei sein.